Mittwoch, 17. Juli 2024

3727 Vom Unteren Belvedere in die Lucy-Bar

 



12:36. Ein braunes, trockenes Blatt fällt ganz hart direkt vor mir kopfüber auf den Asphalt des Gehweges zwischen Unterem und Oberem Belvedere, springt nochmal auf, dreht eine Pirouette und stürzt dann endgültig hochkant zu Boden, wo es umkippt und liegen bleibt, um ein paar Sekunden später von einer leichten Brise herumgeschoben zu werden. Was will mir das Blatt sagen? Dass ich in meinem Leben wie ein Blatt im Wind bin?

Das barocke Treppenwassergefälle rauscht und fließendes Wasser ist erst recht bei dieser Hitze angenehm anzuschauen und anzuhören.

Die Fußwanderung vom Unteren Belvedere hinauf zur Lucy-Bar ist länger als die Fußwanderung von Irdning nach Raumberg.

Werde ich die Ausstellungen hier anschauen? Oder werde ich außer das Untere Belvedere vorhin nur die Lucy-Bar besucht haben? Jetzt löschen wir mal den Durst. Ribiselspritzer, nicht schlecht! (heißt jetzt auch bei uns offiziell Johannisbeere, leider. Aber „Johannis“ gefällt mir optisch und akustisch eh auch, weil es wegen des alten Namengenitivs alt, antiquiert und aus einer anderen Zeit klingt.) Jetzt kommt die Droge: Kaffee. Gefolgt von einem Hustenanfall. Der Husten macht mich tendenziell lebensmüde. Der Kaffee ist verdammt dünn; so dünn muß auch ein Cappuccino nicht sein, aber gut, ich nehme es hin.

Heute ist Mittwoch: mein Waschtag; das darf ich nicht vergessen, sonst gibt es für die Tageskinder nicht genug Abwischtüchlein für den Rest der Woche. Die Temperatur ist hier in der Lucy-Bar genau richtig. Musik geht (oder ist das schon Endomorphinmusik? Vermutlich: ja). Der Wind draußen schüttelt die Bäumelein. Fällt herab ein Träumelein? Meine Lebensträumelein sind schon längst verdorrt, aber fallen nicht und nicht ab. Langsam nimmt das Koffein von mir Besitz und alles wird etwas heller und schärfer und klarer (kann bald wieder kippen – der innere Wächter). Der Wind rüttelt weiter herum – ich sehe es durch die große, moderne, schöne Fensterfront – irgendetwas passt ihm nicht – die Bäume können doch nichts dafür!

Ich blicke in den „Burggraben“ - oder wie soll ich die souterrain gelegene Fläche dort unten, direkt vorm Zwanzgerhaus nennen? - wo der Wind auf der gepflasterten Fläche unten trockene Blätter herumtreibt. Ob „gepflastert“ der richtige Ausdruck ist, weiß ich nicht, denn es handelt sich dabei nicht um Straßenpflaster aus quadratischen Steinwürfel, sondern um Bodenplatten, geschätzt 50 x 50 cm im Quadrat. Eine junge Frau rollt oben am Gehsteig – der sich hinter dem „Burggraben“ auf gleicher Höhe wie die Lucy-Bar befindet – ohne sich selbst zu bewegen statuenhaft in einer beinahen Aphroditehaltung vorbei, nur um den Lenker zu halten leicht verdreht. Auf diese Baumgruppe da drüben zwischen den Hochhäusern hat es der Wind besonders abgesehen. Vielleicht stört es die jungen Bäume gar nicht, sondern sie lassen ihre Äste und Zweige gerne tanzen und hüpfen. Der Kaffee ist ausgetrunken, das Beiwasser auch; ich gehe doch die Ausstellungen anschauen, mit neuer kaffeegeputschter Kraft.

Nun blicke ich auf die „Green Wall“ von Tamuna Sirbiladze und schreibe farblich völlig unpassend mit einem violetten Pilotstift. Aber die Wall gefällt, während neben mir in einem “Fernseher“ eine Art verkehrter Ballettfilm läuft (wo ich mich weigere, richtig hinzuschauen), mit typischer Ballettmusik, die ich nicht mögen mag, aber das hier ist die einzige Sitzgelegenheit, von der ich in angenehmer Entfernung (zirka 18 Meter) die Greenwall betrachten kann. Richtiger gesagt: optisch hineinfallen kann. Ganz gekrümmt sitze ich da, als müßte ich mich vor was-weiß-ich-was ducken; als würde mein Rückgrat die Last der Welt nicht tragen können, wollen, dürfen, aber müssen; ich komme mir wie ein Qualle vor, die sich in die Kunstwelt eingeschlichen hat. Gut, das Zwanzgerhaus könnte zur Not als Aquarium durchgehen. Ach, die Scheißmusik nervt! (Ich schreibe den Komponisten nicht her, weil ich irgendeine Passage aus einem seiner Werke im Ohr habe, die mir vor fünfzig Jahren gefallen hat und die – obwohl ich sie seit damals nicht mehr gehört habe, aber wenn ich sie in meinem Inneren abrufe (wer weiß wie werkgetreu – der innere Spötter), mir immer noch gefällt. Aber das da nervt, wenn ich konzentriert auf die Greenwall schauen will. Aber wer weiß: würde der Film abgedreht werden, wer weiß, vielleicht wäre mir die Grennwall fad und ich brauche die nervende Musik als Angelhaken für meine Aufmerksamkeit, die ich – indem ich sie forciert und fest gegen die Musik auf die Greenwall lenken muß – in ihrer Selbstbehauptung stärke. Aber es muß nicht so sein; es könnte auch sein, dass ich dann die Greenwall besser, konzentrierter, inniger genießen könnte.

Jetzt stehe ich auf und gehe näher zur Greenwall. Ich stehe nun zirka neun Meter davor. Ich trete näher ran (was für eine unangebrachte gewalttätige Rhetorik! Der innere Kritiker).

Jetzt bin ich weiter gegangen und habe mich auf eine reguläre Sitzbank gesetzt, von der aus man und weib eigentlich nichts so richtig gut betrachten kann, aber einen guten Rundblick hat und einen Stock tiefer in die andere Ausstellung gaffen kann. Das Faszinierendste von hier aus sind die Lichtsäulen zwischen den einzelnen heruntergezogenen Rollos am verhangenen Fenster genau gegenüber; sie wirken, als wären sie echte, leuchtende Lampen und passeten zu den Deckenlampen aus Leuchtstoffröhren.

Ich verlasse jetzt die Ausstellung, weil ein Securitymann aufgetaucht ist (Securitymann! Nicht die normale Museumsaufsicht!) und ich die Befürchtung habe, dass ich ihn mit meinem zweimaligen Ausmessen meiner jeweiligen Entfernung zur Greenwall mittels physischen Abschreitens der Abstände, weil verdächtig, angelockt habe. Ich habe das Bedürfnis, mich jemandem Zuständigem zu erklären: dass ich bloß für einen hoffentlich literarischen Text den ungefähren Abstand herausfinden wollte und nichts Böses hege. (Mein innerer Spötter will unbedingt sagen „so viel er weiß!“, aber ich verbiete es ihm. Er darf mich nicht schlechter machen, als ich bin, und mir mit dem Schmäh von der „unbewußten Absicht“ Dinge unterstellen, die hier einfach nicht stimmen! Ich weiß schon: dein Bewußtsein über die destruktiven Taten meine Nazi Vor- und Beifahren (Onkeln!) macht dich mir gegenüber mißtrauisch bis zum Geht-nicht-mehr. Aber das da geht wirklich nicht mehr! So bin ich nicht!)


(17.7.2024)


©Peter Alois Rumpf Juli 2024 peteraloisrumpf@gmail.com

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