15:36. Es ist ja nicht so, dass wir zwei nicht reiseerfahren wären, wir wissen auch in etwa, wo die jeweiligen nervlichen Knack- und Alarmpunkte liegen. Gut, mit dem Zug (Auto haben wir sowieso keines). (Warum kommt mir vor, dass wir das heutzutage gar nicht mehr betonen müssen sollten?) Es gibt genug freie Sitzplätze, nur ein lästiger Schnorrer hat uns angebettelt und hat dann blöd geredet, weil wir ihm nichts gegeben und einen Standard am Tischchen liegen hatten von wegen „links“und geizig sein und dann in die Karibik fliegen, aber dann eine wunderschöne Fahrt über den Semmering (schattseitig und im Nebel, der sich gerade aufgelöst hat, verzaubert dicker Reif Bäume und Sträucher und das Gras, dann aber die Sonne, die es schafft, die winteröde, brache Landschaft zum Strahlen und Glitzern zu bringen. Kein Zugrestaurant, kein Buffetdienst, heute noch keinen Kaffee … nach der Ankunft in Graz gleich am Bahnhof einen Cappuccino im Papierbecher (die halbe Zimtschnecke hat mir meine Frau aufgedrängt; aber dann ging es mir gleich besser).
Wir - das sind also meine Frau und ich – haben uns angewöhnt, den Weg vom Bahnhof im Transmurgebiet zum Schloßberghotel zu Fuß zu gehen. Normalerweise die Annenstraße hinunter und in letzter Zeit nicht mehr geradeaus bis zur Brücke, sondern bei der Kirche der Barmherzigen Brüder/Johannes von Gott/Mariä Verkündigung/Garnisonskirche/Tegetthoffglocke nach links Richtung Minoriten abgebiegen und über den Mursteg zum Hotel. Diesmal jedoch hat es sich ergeben, dass wir am Bahnhof auf Höhe der Keplerstraße herausgekommen sind und deswegen habe ich vorgeschlagen, gleich da hinunter zu gehen und unser Hotel von der anderen, nördlichen Seite anzupeilen (noch dazu, wo er bei der Keplerbrücke unten an einem Haus vorbeigekommen wäre, wo er in seiner Grazer Zeit für ein Jahr ganz oben im Dachgeschoß im Zimmer von Rudi Muhr, der ein Jahr in Bristol studiert hat, gewohnt hat und bei Grazbesuchen sowieso die Tendenz hat, all seine vielen Wohnplätze zu Selbstbefeierung aufzusuchen – der innere Spötter). Aber dann kommen wir an einem Park vorbei und meine liebe Frau will partout dort abbiegen und durch den Park gehen. Nun ist es so: 1) Manchmal bin ich es müde, mich durchsetzen zu wollen und auf Diskussionen einzulassen und gebe gleich nach, obwohl ich oft den Verdacht habe, es gehe ihr dabei darum, grundsätzlich meine Vorschläge zu überarbeiten. Aber 2) hat sich schon öfters herausgestellt, dass ihre spontanen Vorschläge etwas haben – was ich ungern offiziell zugebe – und sei es nur, dass durch Umwege unbekanntes Terrain beschritten oder kleine Abenteuer erlebt werden (sehr kleine! - der innere Spötter). Außerdem 3) was soll das blöde Haus an der Keplerbrücke unten! (Zu meiner Zeit war die Mur noch eine braune Industriekloake und hat geschäumt und fürchterlich bis zum Dachgeschoß heraufgestunken; lüften war zweischneidig), wir können doch den Mursteg quer durch die kleinen Gassen von links ansteuern. Dazu ist noch anzumerken, dass wir mit Rollkoffer unterwegs sind, deren Rollen und Mechanik für die Wege vom Flugzeug zum Taxi und vom Taxi ins Hotel, aber nicht für Weitwanderungen über unasphaltierte Parkwege oder schotterbestreute Gehsteige ausgelegt ist, aber sei’s drum, gehen wir hald (sic!) durch den Gatsch der Parkwege. War halb so schlimm, aber dann haben wir im Gewirr der Gässchen keinen direkten Weg zur Mur gefunden und weil wir zu viel nach rechts und zu wenig nach links abgebogen sind, sind wir plötzlich wieder bei der Annenstraße, die meine Frau vermeiden wollte, herausgekommen. Also vor bis zur Kirche der Barmherzigen Brüder/Johannes von Gott/Mariä Verkündigung/Garnisonskirche/Tegetthoffglocke – dort hat eine alte Bettlerin gewartet, zuerst bin ich an ihr vorbei, aber dann bin ich wieder zurück und habe ihr einen Euro gegeben und einen Segen bekommen - dann links abbiegen und beim Steg nähe Mariahilferkirche über die Mur und so weiter. Es war ja ein sonniger, recht warmer Tag und die kleine Wanderung eh okay.
Jetzt sitze ich im Hotelzimmer, habe mir einen Sessel ans Fenster gestellt und schaue auf die Sackstraße, den herangerückten Kaiser-Franz-Josef-Kai, die Mur und einen Teil von 8020 hinaus. Über einem modernen Gebäude mit Flachdach, auf dem für mich aus dieser Position und Entfernung unverständliches Gestänge montiert ist, schräg zueinander, ist die Sonne untergegangen und die letzten Lichtflecken im Gewölke schimmern durch diese Stangen am Dach. Möglicherweise ist die Sonne weiter rechts untergegangen, als ich gedacht habe, so genau kann ich das nicht erkennen.
(23.1.2024)
Nachtrag vom 26.1.: auf der Rückreise habe ich so einen oben angesprochenen nervlichen Knackpunkt erreicht: wir warten auf den Zug, der auf Bahnsteig 7 einfahren soll. Auf Bahnsteig 6 steht ein Zug mit dem Anzeigentext „Betriebsverkehr“. Eine Schaffnerin kommt und sagt uns, wir können schon einsteigen. Nein, sagen wir, wir warten auf den anderen. Aber neugierig bin ich doch, wohin der „Betriebsverkehr“ geht und so frage ich die Schaffnerin, als sie wieder vorbeikommt, wohin denn der Zug am Bahnsteig 6 fährt. „Nach Berlin“, antwortet sie, „ich weiß, es ist falsch angezeigt.“ Wir springen auf, denn das ist der, den wir nehmen wollen und der auf Gleis 7 angezeigt ist und so steigen wir schleunigst ein, denn er Zulauf ist schon recht groß. Ich stehe vor der Glastür zum Abteil und wie es so oft vorkommt, funktioniert der automatische Türöffner nicht, obwohl ich schon richtig wild vorm roten Lichtschranken, der oben über der Tür montiert ist, herumfuchtle. Meine Frau hinter mir sagt: „Warum gehst du nicht weiter?“ Ich schreie ungeduldig zurück, dass die verdammte Tür nicht aufgeht! Darauf sie: „Die ist doch eh offen!“ Ich greife mit der Hand nach vorn und tatsächlich: da ist keine Glastür, die war die ganze Zeit aufgeschoben. Oh Gott! Jetzt erst fällt mir auf, dass mich eine Frau im Abteil schon die ganze Zeit breit grinsend angeschaut hat (eh nicht unfreundlich, sondern amüsiert). Dann gehe ich hald (!) weiter ins Abteil, nicht ohne vorher meine Hände vors Gesicht geschlagen zu haben, und suche einen freien Platz. Viele Reservierungen und diese unklare Kategorie „Spätreservierungen“, was so viel heißen könnte wie „jetzt noch frei, aber dann vielleicht doch nicht“.
(27.1.2025)
©Peter Alois Rumpf Jänner 2025 peteraloisrumpf@gmail.com