Mittwoch, 30. April 2025

4041 Eine dicke Biene

 



8:47 a.m.  Eine dicke Biene – wenn denn dieses Insekt eine einzeln lebende Biene ist und nicht eine fette Fliege – so genau kann ich das schlaftrunken weder sehen noch hören – weckt mich auf. Sie ist beim offenen Fenster hereingekommen, ist über mich Schlafenden in diesen erstaunlich ruckartigen Flugbewegungen gekreist und, nachdem sie mich aufgeweckt hat, wieder zum Fenster hinaus. Danke, liebe Biene respektive Fliege, ich sehne mich ja seit langem danach, früher als üblich aufzustehen und es außer Haus zu schaffen. Das war ein angenehmes Erwachen – und sogleich setze ich mich auf und gehe in den Wachzustand über - ganz ohne Schock.

Obwohl: jetzt, während ich das schreibe, will sich doch ganz tief innen die Angst hereinschleichen, aber ich weiß schon die Gegenstrategie: Frühstücken in meinem Lieblingscafé; und weil ich eine Teilrefundierung meiner Psychotherapiekosten von der maroden Österreichischen Gesundheitskasse erhalten habe – das verdanke ich wohl meiner Therapeutin, denn bei meinem letzten Antrag hat es geheißen: rien ne va plus! – deswegen kann ich es mir auch leisten. Ein wenig warte ich – ich habe es nicht eilig – ich genieße noch den sommerlichen Morgen in meinem Zimmer vom Bett aus.

Tatsächlich: ich spüre es körperlich, wie tief im Bauch, als säße sie im Gedärm, die Angst herumarbeitet, aber diesmal hat sie keine Chance, die Oberhand zu gewinnen: gleich werde ich fröhlich aus dem Bett springen und mich auf den Weg machen.

Beim Rasieren (handschriftlich habe ich racieren geschrieben) kommen mir Bedenken, ob mir so ein Luxus überhaupt zusteht, nämlich im Café zu frühstücken, und ob es nicht angebracht wäre, das rückvergütete Geld als kleinen Beitrag zur Miete zu verwenden – für die Gesamtmiete wäre es sowieso viel zu wenig – oder mir wenigstens neues Bettzeug oder einen neuen Pyjama zu kaufen. An diesen Einwänden glaube ich zu erkennen, dass es vor allem um Lebensangst geht, und dass mir dazu meine hypertrophe Pylorusstenose als Säugling einfällt, kommt mir passend vor (die übrigens deutlich häufiger bei männlichen Säuglingen auftritt) und nicht zufällig. Aber diese Skrupel werden mich heute nicht mehr abbremsen. Das morgendliche Medikament muß ich noch einnehmen, dann starte ich los. Noch dazu, wo ich gerade einen Kuckuck zu hören vermeinte und schnell meine Geldbörse geschüttelt habe, auf dass das Geld ordentlich klimpere und als Folge davon nicht ausgeht. Vor dem Eintreffen der Tageskinder das Haus zu verlassen, habe ich jetzt nicht geschafft, deshalb muß ich noch ein wenig warten, bis das Vorzimmer wieder frei ist …


10:17 a.m.  … aber jetzt sitze ich in meinem Lieblingscafé. Beim Weggehen ist plötzlich mein Kreuzweh, das heute Morgen überraschenderweise gar nicht da war, wieder eingeschossen – es erstaunt mich immer wieder, wie geschickt und raffiniert die selbstdestruktiven Kräfte arbeiten – und beim Nachlaufen einer Straßenbahn – genau genommen bin ich nicht nachgelaufen, sondern hingelaufen, bevor sie die Station verläßt – haben meine Beine … also das war beschleunigtes Humpeln. Aber jetzt ist der Cappuccino gekommen und ich nehme den ersten Schluck, auf den ich mich schon so gefreut habe.

11:53 a.m.  Nach der langen Lektüre starte ich nun meine Schnitten-Kaffee-Zeremonie: Sorgfältig breche ich die Verpackung der – ich will keine Werbung machen - …...schnitte, die zu jeder Tasse Kaffee gereicht wird, auf, halte das Stück über den Kaffee und klopfe die losen Brösel in selbigen – die auf den Tisch gefallenen wische ich mit einer nonchalanten Handbewegung zu Boden – bevor ich das kleine, quadratische Schnittenstück andächtig in den Mund stecke, mit ungesüßtem Kaffee nachspüle, zerkaue und verschlucke. Ich verzehre immer nur eine pro Cafébesuch, egal wie viele Cappuccini ich trinke, ich will ja nicht gierig sein und eigentlich sind mir die Schnitten zu süß. So, das haben wir unserem Publikum auch einmal klar gemacht!

Und sonst? Ja, ein gewisser Glückszustand hat sich eingestellt. Da momentan die Melancholie fehlt, funktioniert meine poetisch betrachtende Schreiberei nicht recht. Zwar schaue ich im ziemlich leeren Lokal – fast alle sitzen draußen im Schanigarten – herum, aber … nur die Blätter einer Ranke, die draußen über den Fensterrand ragt, und so von innen sichtbar ist und sich im leichten Luftzug bewegt, schaffen es in meine Aufmerksamkeit, weil sie in diesem sanften Hin-und-Her manchmal für kurze Momente kleine, lichte Durchblicke freigeben und dann wieder überdecken. Aber sogleich jagt mich die losstartende Kaffeemaschine mit ihren Geräuschen – zuerst ihr Mahlwerk und dann das heiße, zischende Wasser – in eine Euphorie, die mich etwas ungeduldig und blind macht. Aber das macht nichts. Im Moment bin ich mit mir und der Welt zufrieden. Eine kleine Weile noch sitzen und den Kaffee austrinken, dann könnte ich an diesem sonnigen, warmen Tag zu Fuß nach Hause gehen. Doch dann sehe ich den neuen, zuerst nicht gefundenen Falter am Kleiderhaken hängen und ich vertiefe mich wieder in die Lektüre.

Als im Artikel von Eva Konzett, den ich gerade lese, der katholisch-liturgische Satz „Herr, ich bin nicht würdig, dass du eingehst unter meine Dach, aber sprich nur ein Wort, so wird meine Seele gesund“ zitiert wird, muß ich weinen. Einfach so . Was immer dieses Weinen bedeutet! (Sooo schwer ist es doch nicht zu verstehen!). (Zur Definition: Weinen heißt bei mir bloß Wasser in den Augen; dass Tränen richtig herunterrinnen, das ist zu viel verlangt!) Wegen der soeben einsetzenden wunderschönen Gitarrenmusik – keine Ahnung, von wem – kann ich noch nicht weggehen.


(30.4.2025)


Peter Alois Rumpf April 2025 peteraloisrumpf@gmail.com

4040 Ja nicht über mich!

 



2:13 a.m.  Ich nehme mir vor, heute nicht über mich zu schreiben, sondern etwas ganz anderes. Zumindest nach außen hin. Schreibe ich über das Bücherregal oder die Bilder an der Wand, schreibe ich letztlich doch über mich. Also ganz etwas anderes!

Der Heilige Geist erscheint in Gestalt einer Taube. Oder in der eines Windstoßes. Oder als Feuerzunge. Gut, und was ist damit gewonnen? Einfach nur so hingeschrieben gar nichts. Dieses Thema ist mir um diese Tageszeit zu kompliziert (und sonst auch! - der innere Spötter). Nein, innerer Spötter, da hast du Unrecht. Ein kompatibles Publikum vorausgesetzt könnte ich schon darüber reden. Und nicht nur über das, was in der Ideengeschichte zu dazu gesagt wurde (da weiß ich nur sehr wenig), sondern inhaltlich. Also nicht bloß historisch. Also das passt jetzt auch nicht. Also ganz was anderes!

Das Fenster ist offen und die Nacht ist still. Gut, das geht. Die Stunde ist fortgeschritten und … das ist sie immer, die Stunde: im Fortschreiten jeden Moment schon fortgeschritten.

Gut, das lassen wir lieber.

Ich seh, ich seh was du nicht siehst und das ist ein Loch im Überzug der Bettdecke. Ach! Wir wollten keine Ich-Sätze! Aber das ist doch bloß das Zitieren eines Spiels und hat nichts mit mir zu tun!

Naja.


(30.4.2025)


Peter Alois Rumpf April 2025 peteraloisrumpf@gmail.com

4039 Ich wache auf

 



10:56 a.m.  Jetzt, nach einem kräftigen Frühstück, kann ich es besser beschreiben: ich wache auf, mein Bewußtsein ist noch in den Träumen verfangen und dann kommt plötzlich der Moment, wo mir – zack! - klar wird: hier ist die Welt, in der ich lebe! Und das hier ist mein Leben! Und da, genau da bricht die Angst und das Entsetzen herein, eine Panik, und mein Bewußtsein erleidet einen Schock. Dann braucht es meistens Zeit, bis das Ganze wieder abflacht und ich halbwegs in ein Gleichgewicht komme.


(29.4.2025)


Peter Alois Rumpf April 2025 peteraloisrumpf@gmail.com

4038 Unentwegt

 



1:33 a.m.  Das Fenster ist offen und die kühle Luft strömt herein, dass mir fast ein wenig bange vor einer Erkältung wird, aber ich bin so sorglich und warm unter der Decke, dass ich jetzt nicht aufstehe um das Fenster zu schließen. Dafür reißt es mir unentwegt (Fontane) (was heißt eigentlich un-ent-wegt genau?) beim Gähnen das Maul auf, was mich verwundert, denn Sauerstoffmangel kann es nicht sein, wo doch das Fenster offen ist. Oder doch? Vielleicht gibt es unergründliche Luftströmungen und tote Winkel im Lichtschacht draußen vorm Fenster. Herinnen jedoch wird’s zur Schlafenszeit. Beim Schließen des Fensters habe ich es neuerlich wahrgenommen: die Luft im Lichtschacht ist muffig und stinkt.


(29.4.2025)


Peter Alois Rumpf April 2025 peteraloisrumpf@gmail.com

Montag, 28. April 2025

4037 Der Anblick der „Natur“

 



13:20.  Im dichten Schatten einer blühenden Rosskastanie auf einer Bank in Hof 3. „Vielleicht hilft mir der Anblick der `Natur´ gegen mein schweres Herz“, dachte ich mir. Ich hätte es besser wissen können: das Aufblühen und Sich-Entfalten rundherum beschämt mich, auch die – anscheinend? scheinbar? - lauten oder dezenteren Zukunftshoffnungen der StudentInnen, die da die Wege beschreiten. Nur der Wind ist sanft. Warum „nur“? Rutsche ich in völlig falsche Bilder und Geschichten ab? Der Geruch einer Zigarette von irgendwo her. Drei Arbeiter gehen vorbei. Eine Frau spielt mit ihrem Hund und schaut mich misstrauisch an. Eine Mutter mit Tochter am Rücksitz des Fahrrades. Das Grün ist überall stark und gerade noch jung. Die Wiesen – gottseidank – noch ungemäht und üppig. Die Frau mit der Tochter breitet eine Decke aus, während das Kind Ameisen beobachtet (ich habe gehört, worüber sie sprechen). Der obligatorische Hubschrauber, der für mich als im mittleren Ennstal Aufgewachsenen wie selbstverständlich zu den Sommergeräuschen gehört. Noch eine Frau mit Decke, sie zieht ihre Bluse aus. Der Wind fächelt vor allem mit den großen Kastanienblättern und wird gerade recht lebhaft, leb-haft. Die Leb-Haft - „über das Leben hinweg sich sehne“ … . Komm! Lass die blöden Wortspiele (und die Zitate, derer du nicht würdig bist – der innere Spötter). Ja stimmt, ich fühle mich auch dieses Frühlings nicht würdig (hast du immer noch nicht genug von deiner weinerlichen Lamentiererei? - der innere Spötter). Doch, allmählich schon. Wie kratz ich die Kurve? (als wärest du ein rasanter Autofahrer! Dabei hast du keinen Führerschein und kannst gar nicht Autofahren. Und mit der Selbststeuerung ist es auch nicht weit her – der innere Spötter). Der Wind wird neuerlich heftiger, hoffentlich weht er mir neue Bilder und Gedanken zu. Ich merke: ich sitze schief und kippe leicht nach links. Das Aufrechthalten meines Oberkörpers habe ich längst aufgegeben. Die Frau auf der Decke macht Ansätze zum Sonnengruß und zieht ihre Socken aus. Sie setzt die sonnengrußartigen Bewegungen fort. Fasziniert schaue ich ihr zu (gestehe! Nicht ohne Hintergedanken! Sie trägt ein Kleid mit großem Ausschnitt! - der innere Korrektor, der korrekt, wahrheitsgemäß und erbarmungslos sein muß). Das lenkt mich von meinem Selbstmitleid etwas ab. Immerhin fühle ich mich jetzt vom Frühling nicht mehr provoziert. Dafür spüre ich wieder die Schmerzen im Rücken. Eine laute Gruppe ist im Anmarsch. Obwohl in der Gruppe nur zwei Männer sind, hört man vor allem diese heraus. Die ausgeblühten Löwenzähne zittern im Wind, aber ihre Flugsamen halten weitgehend noch die Kugelform. Beim Aufstehen schmerzen mich meine Muskeln.




(28.4.2025)




Peter Alois Rumpf April 2025 peteraloisrumpf@gmail.com

4036 Nicht elegant

 



0:39 a.m.  Kann ich sagen, dass ich vom Wochenende erschöpft bin? Ja. Es war ja kein schlechtes Wochenende, überhaupt nicht. Wir haben es uns gut gehen lassen. Aber meine Seele ist so müde. Sie jubelt nie mehr und hüpft nicht mehr wie ein Kind. Sie wirkt abgekämpft. Sie bräuchte ganz viel Ruhe und Muse. Spielen vielleicht. (Lieber Freund! Bist du sicher, dass du dich nicht ins Unrecht hineinsteigerst? Schau dir doch deine Tagesabläufe an! - der innere Spötter.) Ja, ich weiß. Es fühlt sich aber trotzdem so an.


9:58 a.m.  Mir ist schlecht vor Angst, es würgt mich und ich halte meine Hände völlig verkrampft. Ich bin entsetzt über mein Leben, wie es verlaufen und was sein Ergebnis ist. Der Schock nimmt mir beinah die Luft zu atmen. Aber nur beinah. Mit ein paar tiefen Atemzügen versuche ich, die verstörte und aufgebrachte Seele zu beruhigen (und auch der Tipper muß beim Eintippen ein paar Mal tief atmen – unwillkürlich). Aber ich werde es schaffen; es muß ja nicht elegant sein.


(28.4.2025)


Peter Alois Rumpf April 2025 peteraloisrumpf@gmail.com

4035 Sand im Schuh

 



13:41.  In der Schnellbahn auf dem Weg zum Quartier Belvedere sitzt eine Frau gegenüber, mit Papiereinkaufssack und Handtasche, worin sie ausführlich herumkramt. Sie holt dreimal einen Kassabon heraus, studiert ihn ausführlich, aber in Wirklichkeit hektisch, legt ihn wieder hinein, dann nimmt sie eine Creme (glaube ich), die sie aus der Verpackungsschachtel nimmt und in den Sack zurücklegt, aber jetzt die Verpackung mit den aufgedruckten Infos anscheinend scheinbar gewissenhaft liest. Als sie nun aus ihrer Handtasche eine lose, also unverpackte Klorolle zieht und in den Einkaufssack steckt, unterstelle ich ihr, dass sie die Klorolle aus dem WC im Büro oder sonstwo mitgehen hat lassen und jetzt als Einkauf tarnen will.

Ich wiederum sitze im hintersten Raum der Ausstellung Die Welt in Farben - slowenische Malerei 1848-1918 - im Unteren Belvedere – im oberen ist die Warteschlange bis um die Ecke des Schlosses gestanden – nachdem ich lange umher flaniert bin. Nebenbei: jetzt ahne ich, wo das Spätwerk von Jana Vizjak, von der ich schon seit Jahren nichts mehr gehört oder gefunden habe – ich verstehe immer noch nicht, warum der Kontakt abgebrochen wurde – ihre malerischen Vorläufer hat. Und weil es draußen schüttet, werde ich noch im Unteren Belvedere herumgehen und die andere Ausstellung aufsuchen (ohje! Klimt. Interessiert mich gar nicht!).

Der Spaziergang vorhin über die Schotterwege vom Oberen zum Unteren Belvedere war übrigens sehr schön und bewegend, mit den vielen Lacken auf dem Weg – wie in meiner Kindheit – den über die Latisberge ziehenden Wolken, den unglaublich grünen Bäumen, Sträuchern und Wiesen, mit der wirklich schönen Aussicht, wo man mitten in der Stadt diese als Landschaft wahrnehmen kann.


(25.4.2025)


Peter Alois Rumpf April 2025 peteraloisrumpf@gmail.com

4034 Es regnet so schön

 



9:44 a.m.  Es regnet so schön an die Fensterscheiben her und hinterläßt seine vergänglichen Spuren und mein Typ wird erst am späteren Nachmittag gebraucht: eine gute Gelegenheit im Bett zu bleiben und zu lesen: Th. Fontane, der mich, trotz meines Widerwillens gegen diese ganze Neunzehntes-Jahrhundert-Problematiken und obwohl ich viele, viele Anspielungen nicht verstehe und viele Wörter nicht kenne, doch recht stark in seinen Bann zu ziehen vermag. Was immer das heißt.


(25.4.2025)


Peter Alois Rumpf April 2025 peteraloisrumpf@gmail.com

4033 Selbst das vierte

 



2:11:13 a.m.  (um 11 habe ich das Notizbuch aufgeschlagen, um 13 zu schreiben begonnen.) Ich warte ab, ob mir etwas einfällt. Ich drehe die Leselampe zu meinen Bildern unterm Plafond hoch, aber die Lampe kippt wieder herunter und kann diese Position nach oben nicht halten. Ich bin ein wenig enttäuscht, dass die Lampe nicht gehalten hat, obwohl sie es noch nie konnte (er glaubt hald (sic!), dass er es magisch schafft, kleine Wunder zu vollbringen – der innere Spötter). Ich suche meinen Blick durch den Lichtkegel hindurch auf die drei Bilder zu schicken, was leidlich gelingt, aber nicht viel hilft, weil die Bilder im Schatten sind. Ich starre dennoch lange hin und wirklich: die Bilder werden lebendiger und selbst das vierte, die Photographie, beginnt zu moussieren. Es surrt, rauscht und schrillt schon bedenklich in meinen Ohren (ein Zeichen großer Müdigkeit auch) und mein Gemüt stellt sich auf schlafen ein.


(25.4.2025)


Peter Alois Rumpf April 2025 peteraloisrumpf@gmail.com

Donnerstag, 24. April 2025

4032 Der Kellner mixt

 



13:14 a.m.  („ante meridiem“! Das hättest gern, dass du so früh unterwegs bist! - der innere Spötter) Ich sitze in meinem Lieblingscafé (Espresso Burggasse), habe trotz Knappheit und gegen jede Vernunft und trotz massiv schlechtem Gewissen vor allem meiner Frau gegenüber (damit das auch einmal klar und deutlich ausgesprochen ist: die so viel und hart arbeitet, um das Geld zu verdienen, von dem auch ich lebe – mein finanzieller Beitrag zur gemeinsamen Lebensführung ist so gut wie nicht vorhanden, weil ich neben meiner Psychotherapie mein Geld so verplempere), also trotz schlechtem Gewissen habe ich mit Genuß und Appetit das Breakfast d’anglais verzehrt und lese nun – nach Standard und Kleiner Zeitung – den Falter, bin seelisch etwas angeschlagen – weswegen ich ja hierher geflüchtet bin und mir Selbstverwöhnung erlaubt habe – und gerade in den lesenswerten Artikel über das R im Roten Wien von Armin Turnher vertieft, als aus den Boxen mitten unter der angenehmen und niveauvollen Hintergrundmusik ein mir – wie alles andere – unbekanntes Musikstück erklingt, das irgendetwas anderes hat, das sofort meine Seele berührt. Ich weiß nicht, was es ist, vielleicht der orientalische Orchestertouch, aber eindeutig zu dem gehörig, was ich im altertümlichen Sinn – das heißt wie in meiner Jugend: alles was nicht Klassik, Volksmusi, Operette, Schrammel, Rock’n Roll et cetera, aber modern ist – „Popmusik“ nenne, und gleich füllen sich meine Augen mit Tränen – und darüber wundere ich mich (was immer diese Tränen heißen! Das kann ja aus einem aufrichtigen Empfinden kommen oder durch ein via Selbstmitleid, weinerlicher Selbstüberschätzung und Eigendünkel mehr oder weniger raffiniertes Manöver der Lebenslüge und des Selbstbetrugs erzeugt sein. Oder möglicherweise aus einer kruden Mischung aus beidem). In letzter Zeit scheine ich nahe am Wasser gebaut zu sein – aber was wirklich los ist, verstehe ich trotz Ahnungen nicht. Ist es ein oder das große Abschiednehmen? Ich wüßte nicht, was dieses Lebensgefühl ausgelöst haben könnte (oder will er es nicht wissen? - der innere Spötter). Untergehen ist mit Luxus – und im Café frühstücken gehört für mich zum Luxus – viel schöner, angenehmer und melancholischer, als obdachlos in der Gosse verrecken: von Regen und Kälte bedrängt, die Kreuzschmerzen wegen Nässe und Kälte unerträglich, in der Stadt umherirrend, einen Platz zum Verweilen und einen Schlafplatz suchend, den man – so nehme ich an – auch erst erobern und verteidigen muß, ständig dem „feinen“ und dem „niederen“ Pöbel ausgeliefert, den Aggressivlingen preisgegeben, verachtet; das Schwierigste wird wohl sein, sich den letzten Rest an Selbstachtung nicht zerschlagen zu lassen. Und das mit der Selbstachtung ist sowieso schon das Problem.

14:21.  Das Café geht in den Nachmittagsmodus über und ist leerer, aber nicht leer geworden. Ich hätte Lust 25 Cappuccini zutrinken, auf dass es mich umhaut – Melancholie kann ja so kindisch sein! - doch bringe ich meine dritte Tasse kaum noch runter. Aber ein kleiner Schluck geht immer. Ich hebe meinen schon von der Zeitungslektüre und jetzt beim Schreiben tief gesenkten Kopf – ich habe einmal gehört, die, die ständig den Kopf gesenkt halten und zu Boden blicken, schaueten (Konjunktiv) auf die Toten. Fragt sich auf welche: auf die toten Vorfahren zum Beispiel oder auf die eigenen Toten und Ermordeten und die der Vorfahren – ich hebe also den Kopf und blicke schwermütig im Raum herum und schaue sogar gütig und wohlwollend von oben herab die Gäste ein wenig an. Wie es hald (sic!) so geht. Natürlich ist niemand so toll wie ich, aber ich bin gütig und gnädig. Sie können es nicht besser. Der Kellner mixt einen Drink - das habe ich hier auch noch nie erlebt – wieder ein Hinweis, dass die Mittagszeit vorbei ist und ich kein Abendgast bin. Für mich wird es Zeit, sagt meine innere Uhr, von der ich auch nicht weiß, ob sie wirklich meine ist oder eine fremde Installation. Am Heimweg besuche ich noch Yoko Ono.


(24.4.2025)


Peter Alois Rumpf April 2025 peteraloisrumpf@gmail.com

Mittwoch, 23. April 2025

4031 Angesagt

 



16:08.  Und wenn nichts bleibt, so bleibt doch der Gang hinter die Kulissen.


(22.4.2025)


1:08 a.m.  Ich denke, ich lasse heute Nacht das Fenster offen, auch wenn meine Augen schon wieder mit Schatten und Lichtstärkenverschiebungen spielen. Mein Magen knurrt, aber sonst ist alles ruhig, nur ganz von Weitem hört man etwas nächtlichen Lärm der Stadt, weit genug, dass er wie ein monotones Rauschen klingt. Ich bin müde; ich muß noch meine Cholesterinmedizin nehmen, das sollte ich nicht vergessen.


9:39 a.m.  Angenehm ist es, bei offenem Fenster zu schlafen, trotz der tendenziell muffigen Luft im Lichtschacht. Der morgendliche Anfall von Angst war heute nur kurz und ist nun vorbei, wenn
es sich auch anfühlt, als würde sie wieder heranschleichen wollen. Aber jetzt einmal hat sie keine Chance mehr. Akkurat beginnt mein Bewußtsein doch mit der Angst zu spielen, schaut, ob es sie ein wenig heranlocken kann, aber auf der Hut, rechtzeitig gegensteuern zu können. Grundsätzlich keine falsche Strategie, um sich mit der Angst vertraut zu machen, denn wegsperren allein wird auf Dauer nicht helfen. Aber jetzt ist Frühstück angesagt.


(23.4.2025)


Peter Alois Rumpf April 2025 peteraloisrumpf@gmail.com

Dienstag, 22. April 2025

4030 Cut Matt Pass

 



16:07.  Die Matthäus-Passion hat soeben begonnen.

16:22.  Schon fließen die Tränen – war immer das bedeutet.

18:01.  Jetzt habe ich die Anhörung des Bach’schen Meisterwerkes kaum mehr als über der Hälfte abbrechen müssen, weil die Tonqualität immer schlechter geworden ist; es waren nur mehr Hacker, Sprünge und Rauschen. Ich bin da nicht so empfindlich, aber das war zu störend. Ich weiß aber nicht, woran das lag: ob am Gerät, der Nadel, dem falschen Tonarmgewicht oder an den uralten Schallplatten, die ursprünglich noch mit Gleitflüssigkeit abgespielt worden sind. Mein Karfreitagsbeitrag auf Facebook heute war übrigens das Video cut piece von Yoko Ono – und ich meine das ernst.


(18.4.2025)


Peter Alois Rumpf April 2025 peteraloisrumpf@gmail.com

4029 Yoko Ono

 



Heute wieder ins Museum. Anzug: Schriftsteller; so gerüstet. (Ein sensibler Mensch hat ja nicht bloß den Impuls, davonzurennen, wenn die Eindrücke zu dicht werden, sondern muß sich auch rüsten, bevor er in die Welt hinausgeht. Und es sind vor allem die Menschen, vor denen er sich in Hut nehmen zu müssen glaubt.)

13:28.  Ich sitze im Museum moderner Kunst und schaue auf die fünf ausgestellten Pyjamahosen, die da vor mir auf einem Gestell hängen. Diese Eindrücke kann ich leicht wegstecken. Außerdem habe ich mich ja unter der Überschrift „Schriftsteller“, der Eindrücke zum Beschreiben braucht, von zu Hause aufgemacht und mir sozusagen den Schriftstelleroverall angezogen. Was für mich nicht so leicht ist, denn ich bin es ja offiziell nicht und habe keine ernsthaften (von der Gesellschaft aus gesehen) Veröffentlichungen. So habe ich mich am Morgen mit dem Aufstehen schwer getan. Selbst die Anwesenheit der Tageskinder ist etwas, worauf ich mich innerlich vorbereiten und rüsten muß. Aber es gibt den Moment, wo das innere Gleichgewicht und damit die Bereitschaft für Begegnungen hergestellt ist und das Aufstehen von einer Sekunde auf die andere ganz leicht ist. Freilich bleibt dieses Gleichgewicht sehr labil und kann ganz leicht zerschlagen werden. Also hatte ich mir heute den „Schriftsteller“ angezogen, versuchte mich gerade zu halten und bin losgezogen. Das ändert nichts daran, dass ich jetzt wieder ganz gekrümmt auf der Bank vor den fünf Pyjamahosen sitze – sicherheitshalber habe ich vorher gefragt, ob die Bänke eh zum Sitzen gedacht sind und nicht Teil der Readymade-Ausstellung von Park McArtur sind – aber ich werde nun aufstehen und in einen anderen Saal gehen.

14:28.  Ich war unten auf Etage -4 bei den Sechzigerjahren und bin so herumgegangen, mehr oder weniger beeindruckt. Die vielen Videos habe ich nicht gründlich angeschaut, alles nur so im Vorbeigehen (ich mein’, ich halt ja die Wiener Aktionisten auch nicht mehr aus). Nur bei dem Video cut piece von Yoko Ono vom 21.4.1965 in New York bin ich stehen geblieben. Ich kannte diese Aktion nicht und sah das Video zum ersten Mal. Da mag schon der prominente Name auch eine Rolle gespielt haben, aber es war ihr Gesicht, dass mich dazu gebracht hat, mich darauf einzulassen. Bei dieser Aktion sitzt Yoko Ono am Boden auf ihren Füßen und neben ihr liegt eine Schere. Den Besuchern wird erlaubt, beziehungsweise werden sie aufgefordert, die Schere zu nehmen und ein Stück vom Gewand abzuschneiden und mitzunehmen. Manche Menschen machen das dezent, mit Achtung und Zurückhaltung, manche weniger. Im Gesicht von Yoko Ono meine ich Angst, Trauer, aber auch Selbstbeherrschung und große Disziplin wahrzunehmen. Nur als so ein Lümmel auftritt, der ihr respektlos und unter Scherzen mit seinen Haberern im Publikum gezielt zuerst die Bluse und dann die BH aufschneidet, da zuckt sie zusammen und macht verhalten abwehrende Bewegungen mit den Armen (mir kommt vor, dass sie tapfer ihr Konzept durchziehen will, aber jetzt richtig Angst hat). Sie hält noch den nun trägerlosen BH über ihrem Busen fest. Mich aber hat das richtig erschüttert, dass ich weinen muß. Es ist fast nicht auszuhalten, wie sie sich den Übergriffen ausliefert und wie diese Typen reagieren: wir haben die Erlaubnis, also tun wir es auch. Nicht alle Cutter machen das so verächtlich, respektlos. Das Abschneiden eines Kleidungsstückes kann ja auch – was weiß ich – als echte Begegnung vollzogen werden, oder fast zärtlich, oder „sachlich“. Mich würde interessieren, ob bei einer der Aktionen jemand die Schere vorm Schneiden wieder weggelegt hat oder ob jemand beim Nehmen der Schere Yoko Ono in die Augen geschaut hat und so weiter. Ich weiß nur, dass in London in der Galerie – anscheinend war die Aktion dort schon bekannt – zehn junge Männer bereits gewartet haben und Yoko Ono in zehn Minuten nackt war. Das war aber nicht die Intension der Aktion – wenn es auch dazugehört hat, es nicht zu verhindern. (Übrigens im Gegensatz zu meiner Aktion Haut an Haut 1984 im REM in Wien, wo ich zehn Tage in einem Gehege gelebt habe, aber durch den Zaun die Besucher ausgesperrt waren und ich mich selber einmal nackt gemacht habe.) Danke Yoko Ono.


(15.4.2025)


Peter Alois Rumpf April 2025 peteraloisrumpf@gmail.com

Montag, 14. April 2025

4028 Der Werdegang eines Wüstlings

 



13:01.  Ich sitze vorm goldenen Acker der Asta Gröting (*1961) in der Albertina modern, aber irgendwie – ich weiß nicht wie – unbequem. Der Acker ist ein Abguss eines realen Ackerstücks und beeindruckt mich irgendwie – wie weiß ich nicht – wie er so an der Wand hängt. Das 24-Karat-Gold auf Epoxidharz überstrahlt alles. Das entnehme ich dem Begleittext an der Wand. Ja, dort steht auch, dass das Stück so wie zu einer Sonne wird. Das kann ich nur unterschreiben! (Peter Rumpf eh). Diese schönen Risse und Schrunden im Material, die Wülste und Furchen und Ballen, Klumpen und Löcher. Bewegt und starr gleichzeitig. Wer war schnell der griechische König, dem alles, was er berührt, zu Gold wurde? Verdammt! Wo sind die Namen abgespeichert! Eine junge Frau in schwarzem Pulli macht sich gut vor der goldenen Schollen-Sonne. Midas! Er ist mir eingefallen, gerade als ich ihn googeln wollte; so konnte ich gleich mit Namen googeln (habe meinem Gedächtnis mit der Googledrohung auf die Sprünge geholfen). Midas! Ja, Midas. Wie das? Mir das!

Jetzt sitze ich vor ein paar Baselitzen, den unheimlichen Immendorff nur ein, zwei Meter hinter mir im Rücken, wo es auch viel zu schauen gäbe, aber dazu bin ich noch nicht bereit, wiewohl die Bank für den Immendorff dazustehen scheint. Mir ist aber die weite Distanz zu den Baselisk- … äh Baselitzen schon recht. So ganz fahre ich da auch nicht ab, obwohl sie mir in meinen Augen in ihrem malerischen Duktus angenehmer sind. Sei es wie es sei, ich drehe mich jetzt zum Immendorff um, weil ich beim Hergehen im Bild einen schön gemalten Weiberarsch gesehen habe. Ich habe schon ein schlechtes Gewissen, dass ich mich so leicht verführen lasse. Aber jetzt drehe ich mich auf der Bank um. (Das gibt es nicht: er hat im Museum immer Immenhoff gelesen und notiert, als würde er den nicht kennen! Was ist mit seinem Gedächtnis los? - der Tipper.)

Sooo schön gemalt ist der Weiberarsch auch wieder nicht, aber doch recht gut. Eigentlich sollte ich das Wimmelbild lieben, und auch die Wortspielerei (Selbstporträt als Biene?). Einzelne Stellen gefallen mir sehr, aber das Comicfigurhafte mag ich nicht. Dagegen habe ich seit meiner Kindheit eine emotionale Aversion. Vielleicht muß ich meine Meinung bezüglich Immendorff ändern? (vielleicht auch nicht – der innere Spötter). Ah! Noch ein Weiberarsch in durchsichtigem Kleid! Und hi-hi-hinten im Bild gibt es einen nackten Busen. Der Trick der gelb konturierten Figuren ist natürlich auch nicht schlecht. Ist der eine aus der „Streichholzschachtel“ der Sartre? Und der andere Freud? Und der dritte? Kommt mir bekannt vor. Vielleicht liege ich ganz falsch. Der Werdegang eines Wüstlings heißt das Bild. Schon beeindruckend gemalt, zumindest für mich. Der dritte ist Habermas? Was weiß ich! Zu sehen und zu entdecken gibt es unglaublich viel. Ich stoße mich an dem, was comichaft wird. Ich mein’, die Barhocker sind schon toll gemalt. Ich entdecke eine nackte Kellnerin ganz hinten im Bildhintergrund. Der Bühnenmann ist auch tüchtig gemalt und gefällt mir auch in den Farben.

Ich hatte mir vorgenommen, viele Stunden hier zu verbringen, auch wenn es schwer wird. Und weil ich schon ahnte, dass ich das nicht schaffen werde, dass ich dann wenigsten in einem Park oder sonst wo auf einer Bank ein paar Stunden verbringe, aber es geht nicht! Es geht nicht! Wenn die Eindrücke zu viel werden, ist es aus und ich muß nach Haus.


(14.4.2025)


Peter Alois Rumpf April 2025 peteraloisrumpf@gmail.com

4027 Ruhe

 



9:41 a.m.  Der Holzrabe schaukelt am Fenster und spiegelt sich wie vergrößert im Glas des Wechselrahmens des Eigenbaubildchens, das im Bücherregal lehnt. Sonst bewegt sich hier herinnen nichts. Wenn ich ganz genau sein will: auch meine schreibende Hand bewegt sich, mein Brustkorb und manchmal ein wenig die Finger meiner linken Hand, die am Notizbuch aufliegen. Wenn ich noch genauer sein will: manchmal bewegt sich meine Schreibhand, wenn sie nicht schreibt und auf den nächsten Schreibbefehl wartet. Außerdem meine Augenlider und mein Blick (mit den Augäpfeln); die Nase habe ich kurz gerümpft (nicht nur, um meinem Namen die Ehre zu erweisen) und meine Zehen und Füße, Beinmuskeln et cetera unter der Bettdecke, was man jedoch nicht so gut sieht. Ansonsten bewegt sich hier nichts (Darmkontraktionen und sonstige Bewegungen im Körper wie Herzklopfen et cetera lasse ich aus). Meinen Kopf habe ich vergessen: soeben habe ich ihn zur Seite gedreht und wieder retour. Jetzt werde ich die Ruhe hier überhaupt aufbrechen, weil ich aufstehen und ins Bad gehen werde und so weiter.


(14.4.2025)


Peter Alois Rumpf April 2025 peteraloisrumpf@gmail.com

4026 Sturm

 



2:01 a.m.  Sturm Graz ist an der Tabellenspitze geblieben und hat sich drei Punkte abgesetzt. Das beeinflußt durchaus meine Stimmung. Ich staune darüber und muß den Kopf schütteln. Und grinsen. Aber es verbessert eindeutig meine Stimmung. Trotzdem stocke ich jetzt.

2:39 a.m.  Und jetzt? Und jetzt? Und jetzt? Jetzt ist Schluß.


(14.4.2026)


Peter Alois Rumpf April 2025 peteraloisrumpf@gmail.com

Freitag, 11. April 2025

4025 Zu viel Text

 



9:01 a.m.  Am Gestade beim Brunnen. Das polnische Institut strahlt in der Sonne auf. Ich warte auf den Zahnarzttermin. Der Autoverkehr braust und rauscht, der Brunnen plätschert, die Fußgänger schleifen manchmal mit ihren Schuhsohlen am harten Boden, ansonsten klingt es einfach wie normale Schritte, wenn sie nicht durch weiche Sohlen lautlos bleiben. Telephonierte und analoge Gesprächsfetzen gehen im allgemeinen Geräusch unter. Der Wind ist stark und frisch. Aber auch die Sonne ist stark. Zwei trinken im Freien Kaffee und rauchen. Ich gehe nun in Sachen Zähne los. Der Wind ist sehr lästig.


9:17 a.m. Dieser blöde Gesundheitsbildschirm im Wartezimmer sagt mir, wie gefährlich alles ist. Ich senke mein Gesicht ins Notizbuch, um das nicht anschauen zu müssen. Aber ohne Wahrnehmungsinput fällt mir nichts ein. Ich drehe also mein gesenktes Haupt nach links und betrachte die sechs einfachen Sessel (bundesdeutsch: Stühle), die da an der Wand aufgereiht und leer stehen. Ich weiß auch nicht, warum dieser Anblick traurig ist; sind sie an die Wand gestellt und werden erschossen? Nur nicht auf den Bildschirm schauen! auch wenn manchmal eine kleine Bewegung in den Rand meines Gesichtsfeldes rutscht. Ich erwarte bald den Aufruf. Am Tisch vor mir liegt eine dieser idiotischen Gratiszeitungen: ich hasse allein schon den Anblick dieses optisch hysterischen Geschreis: auch diesen Augenkontakt vermeiden! Ich ärgere mich, weil einer, der gerade erst hereingekommen ist und seine Karte soeben erst eingeworfen hat, vor mir aufgerufen wird, obwohl JETZT (9:30 a.m.) mein Termin ist. Kann ich mir diesen Ärger leisten? Eigentlich nicht, der kostet viel zu viel wertvolle Energie, aber meine Disziplin ist nach all diesen Augenkontaktvermeidungen Bildschirm – Krawallzeitung schon zu angestrengt, um das auch noch abzufangen.


11:25 a.m. Ich sitze nun im hinteren Raum meines Lieblingscafes - ganz spontane Entscheidung - obwohl ich mir verboten habe, öfter als ein Mal die Woche hier herzukommen. Als Strafe Gottes habe ich mir unabsichtlich einen Wassertropfen ins Notizbuch gekleckert mit der Gefahr, meine noch nicht auf die Schublade vertippte Handschrift zu verwaschen. Vielleicht sollte ich es wirklich bleiben lassen und wenigstens heute zu Fuß nach Hause gehen. Vor mir an der Wand hängt ein großes, ich glaube metallenes Dekorsegelschiff. Ein am Steinboden verschobener Sessel quietscht sehr laut. Noch einer. Neben dem Schiff hängen vier alte Hochzeitsphotos und ein Porträt. Dann kommt rechts davon der schöne, alte Ofen beziehungsweise sein Rohr in der Ecke, rechts ums Eck wieder eine metallische Segelschiffarbeit a là Fünfzigerjahredekor. Links sind drei Spiegel an der Wand, aber so hoch, dass man/frau zumindest in zwei nicht hineinschauen können. Ich werde das jetzt noch testen, dazu werde ich aufstehen, dann zum Zahlen nach vor gehen und sodann nach Hause wandern (Schön ausgedacht! Aber wie er aufgestanden ist, hatte er die Überprüfung der Hängung der Spiegel schon wieder vergessen – der innere Spötter).


12:11. Jetzt sitze ich wieder Am Gestade, einer meiner Lieblingsplätze in Wien, und schon beim Hergehen, als ich es Mittag läuten höre, hat es mich verwundert, wie sich das zeitlich ausgehen kann: um 11:25 a.m. noch im Espresso Burggasse beim Schreiben, dann den langen Weg hierher, den ich gemächlich geschlendert bin: es muß eine geheimnisvolle Zeitverschiebung stattgefunden haben, oder eine magische Autokinese – etwas wie ein Hexenflug, bei dem ich meinen physischen Körper als reine Energie mehrere hundert Meter durch die Lüfte oder durch die allgemeine, energetische Bewußtheit transportiert haben muß! (Oder er hat sich beim Notieren der Zeit geirrt, oder – noch wahrscheinlicher: er hat die Wegzeiten und Entfernungen in seiner Scheinanwesenheit völlig falsch eingeschätzt – der innere Spötter) (ich mag es überhaupt nicht, wenn er ganz banale und alltägliche Begebenheiten zu mystifizieren versucht – der innere Korrektor) (diese Mystifiziererei dient lediglich dazu, sein Ego aufzublasen und sich interessant zu machen – der innere Analytiker) (das ist eine miese Strategie! - der innere Ankläger).

Beim Vorbeigehen am Volksgarten habe ich kurz erwogen, mich dort auf eine der Bänke zu setzen, aber so viel Frühling vertrage ich alter Mann auch nicht mehr. So blicke ich abwechselnd auf das Haus der europäischen Radiologie und das polnische Institut und auf das gelbe Haus und das gelb gerahmte - die zwei dazwischen. Die Linden neben mir schlagen aus – in ein paar Tagen würden die jungen Blätter einen köstlichen Salat ergeben; jetzt sind die Blättchen noch zu klein. Der Wind ist inzwischen nicht mehr kalt, aber noch sehr stark. Weil ich heute irgendwo (Gesundheitskassenbildschirm? Zeitung? Internet?) etwas über Parkinson und seine frühen Symptome gelesen habe, fürchte ich das zu haben (der Hypochonder läßt grüßen! - der innere Spötter).

Und jetzt? Sitzen bleiben? Der Wind probiert, mir die Kappe vom Haupte zu wehen und Sand in die Augen. Ich soll nicht sehen? Ich soll nicht schauen? Das Kind läuft, der kleine Hund wird getragen und winselt, weil er mitlaufen will (Ich weiß das und habe die Szene richtig gedeutet. Es ist überprüft, denn als die Dame das Hündchen auf den Boden gesetzt hat, ist er sofort und pfeilschnell dem Buben nachgerannt). Wenn ich hier noch länger sitzen bleibe, kommt zu viel Text zusammen. Wegstreichen tu ich nichts und dann muß ich so viel eintippen! Na gut, wenn’s der Wahrheitsfindung dient. Oder der Depressionsprophylaxe. Außerdem schreib ich eh nicht alles mit, zum Beispiel wenn ich den Frauen nachgaffe. In einem Fenster sehe ich eine Kaffeemaschine stehen, oder ist es ein Wasserkocher? Wäre auch möglich. Die Holzbank quetscht langsam schon zu lange meinen Hintern. Die Fahnen am Hostel flattern im Wind. Die Mauern stehen sprachlos und sonnenbeschienen (laß doch diese blöden, infantilen Anspielungen! Du bist nicht gebildet! - der innere Korrektor). Irgendwas aus meiner Kindheit flasht undeutlich in meinen Gefühlen auf. Ich werde besser gehen. Der Wind reißt wieder an meiner Kappe.


(11.4.2025)


Peter Alois Rumpf April 2025 peteraloisrumpf@gmail.com

4024 Abschließen

 



0:14 a.m.  Die hauptsächlich grün und blau gestreifte Wolldecke über meinen hochgezogenen Knien. Vom Lüften ist es kalt im Zimmer. Aus den zwei Metern Distanz und durch die antiweitsichtige Lesebrille wirkt meine mickrige Auferstehungskopiekopie (sic!) ganz gelungen. Anders gesagt: mein phantastischer Geist kann sich das Bildchen optisch zurechtbasteln, weil es so verschwommen ist. Trauer und Schmerz (immer über mein Leben) waren heute groß, aber ich habe den Tag recht gut hingekriegt; ich habe diesbezüglich viel Übung, Erfahrung und Expertise. Im Café hätte ich fast vor allen Leuten zu weinen begonnen, aber eben nur fast. Jetzt seufze ich nur, aber so, dass es mir ein wenig Erleichterung verschafft. Trauer und Schmerz wollen nicht weichen, aber das müssen sie auch nicht; sie sind bei mir daseinsberechtigt, weil angemessen. Mit schon karikaturhafter Melancholie starre ich nun wehmütig auf den von innen beleuchteten Rand des Schirmes meiner von direkter Blendung weggedrehten Leselampe gut zehn Zentimeter vor meiner Nase. Warum auch nicht; von innen beleuchtet sein wäre ja auch nicht so schlecht. Was sagen die Götter dazu? Sie schweigen. Die Engel? Schweigen ebenso. Redet sonst wer? Nein. Nur der übliche innere Monolog rasselt seine zahlreichen ewigen monotonen Litaneien ab. Gelächelte Melancholie jedoch fühlt sich ja gar nicht so schlecht an. Ich glaube, so kann ich den Tag gut abschließen.


(11.4.2025)


Peter Alois Rumpf April 2025 peteraloisrumpf@gmail.com

Donnerstag, 10. April 2025

4023 Die vier Temperamente

 



12:54.  Seit Stunden sitze ich nun schon in meinem Lieblingscafé und habe gelesen, gelesen: Standard, Kleine Zeitung, Falter. Und d’anglais gefrühstückt. Heute morgen konnte ich kaum aufstehen, weil ich nicht und nicht wußte, was ich in dieser Welt anfangen soll (dabei gäbe es genug zu tun) und wofür ich da bin. Weder die Idee, die Tensegrity-Übungen nach vielen Jahren Unterbrechung wieder aufzunehmen, noch die, zu lesen oder zu schreiben, konnten mich aus dem Bett locken. Erst das fröhliche Geschrei der ankommenden Tageskinder hat mich hinter meinem grauen Schutzwall hervorholen können, aber nur kurz, dann bin ich wieder in meine Lähmung zurückgefallen. Dann habe ich es unter Seufzen und leichten Angstattacken doch geschafft und wollte in die Küche hinunter, um mir das Frühstück zu bereiten. Aber beim Gedanken an die Brotrindenstücke – die ich ansonsten mit Knoblauch, Gemüse und Apfel recht gern esse – ist mir allein bei der Vorstellung fast übel geworden. Da habe ich mein Geld gezählt und beschlossen, zum Frühstück ins Espresso Burggasse zu fahren und sogleich ist alles heller geworden; ich habe mich darauf gefreut und bin rasch und zielgerichtet in die nötigen Vorbereitungen zum Aufbruch gestartet. Wenn man das Depression nennt, hat man nicht viel mehr als eine Benennung gewonnen - aber gut, das kann schon auch hilfreich sein. Fakt ist, dass das Gefühl, am Abstellgleis zu stehen und mit dem, was einem am Herzen liegt und wofür man eine Begabung hat, (gesellschaftlich) keine Resonanz zu finden, und die daraus resultierende zwanghafte Idee, dass somit alles sinnlos ist, einen so lähmen und so erdrücken kann. Menschen, die in ihrem Status und Tun selbstverständlicher sind (oder deren Selbstbilder zu recht oder aus Selbstbetrug stabiler sind), können das schwer verstehen. Aber obwohl mir jämmerlich zu Mute ist, möchte ich nicht jammern, sondern will daran glauben, dass ich es selbst in der Hand habe – falls es schon zu spät ist: gehabt hätte – mich von diesen minderwertigen Zuschreibungen (das sind sie nämlich; so sind sie in mein Bewußtsein implantiert worden) zu befreien. Aber hier, in meinem Lieblingslokal, kann ich die Melancholie auch genießen [seit meiner Kindheit, als ich in der Kinderwelt von A bis Z die vier Temperamente bildhaft dargestellt gefunden habe – nämlich wie die verschiedenen Temperamente vor dem Hindernis eines Holzzaunes reagieren: der Sanguiniker springt fröhlich über den Zaun, der Phlegmatiker bleibt scheinbar gleichgültig einfach davor stehen, der Choleriker tritt ihn zornig nieder und der Melancholiker berührt das Holz sachte und gerät ins Sinnieren und Träumen – weiß ich, dass ich ein Melancholiker bin (übrigens kommt diese Darstellung in der 11. Auflage des Kinderbuches von 1970 nicht mehr vor) – wobei damals – ich kann mich genau erinnern! - mein Wesen sich geschockt gegen diese Definition (finis - Grenze) zu wehren versucht hat, aber mein Verstand (was immer das ist) diese Tatsache als richtig anerkennen zu müssen geglaubt hat]. Mit dem vierten Cappuccino (vier Temperamente – vier Jahreszeiten – vier Elemente– vier Evangelisten – vier Tageszeiten – vier Quadranten – vier Cappuccini) gehe ich wohl absichtlich zu weit. Die Rolling Stones aus den Boxen: Gimme Shelter. Ah, jetzt kommt draußen die Sonne durch und die Hausfassaden leuchten auf. (Mein Gott! Was hatte ich damals noch für Hoffnungen! Und ich habe damals rein vom Hören und mit meinen schlechten Englischkenntnissen immer It’s just a shot away als irgendwas mit … shadow away missverstanden! (ha, ha, ha – der innere Spötter) (aber das mit den vertriebenen Schatten hätte mir besser gepasst.).) Selten ist meine Schwermut so schön wie hier. Und wie schön die Musik hier ist! (das jetzt kenne ich nicht und dürfte etwas Neueres sein). Ich konstatiere, wie eine gewisse Kaffeeeuphorie auf der Melancholie schaukelt. Sollte ich gehen, bevor das Ganze kippt? Ich werde wohl zu Fuß heimgehen, um das alles ausklingen zu lassen (Nein, zu windig und kalt – der Tipper).




(10.4.2025)




Peter Alois Rumpf April 2025 peteraloisrumpf@gmail.com

4022 Der Gedanke

 



1:42 a.m.  Mich beschleicht manchmal der Gedanke, dass ich nie richtig in dieser unserer Welt angekommen bin, beziehungsweise in diesem Traum nie richtig aufgewacht, nie richtig aufgeploppt. Ist so etwas möglich? Gerade will ich etwas Bestimmtes durchdenken, schon ist es wieder weg und ich habe vergessen, worum es gegangen ist. Ich finde auch nicht mehr zurück.


(10.4.2025)


Peter Alois Rumpf April 2025 peteraloisrumpf@gmail.com

Dienstag, 8. April 2025

4021 Vorarlberg

 



11:54 a.m.  Viele Damen stehen vorm Café am Gehsteig und verzehren die Sachen, die sie hier auf Mitnahme gekauft haben. Ich habe mir zur Melange (hört! Hört! Er ist zum Wienerischen Französisch zurückgekehrt!) eine Golatsche (von tschechisch kolač, dem wieder die slawische Wurzel kol = rund zugrunde liegt; nach P.Wehle) bestellt. Ziemlich spontan. Zwei Wissenschaftler (?) diskutieren irgendwelche Kurven und Graphiken. (Mein Gott! Dass ich nie einen Status von Selbstverständlichkeit und anerkannter Kompetenz zu erwerben geschafft habe!) Einer von den Wissenschaftlern konsumiert auch Golatsche mit Melange, der andere einen Cappuccino. Draußen auf der anderen Straßenseite steht ein schlanker, alter Mann mit Glatze und langem, grauen Bart breitbeinig da, schaut gekonnt in sein Handy und raucht souverän eine Zigarette. Sehr souverän. Ist das Gebäude gegenüber, einige Meter zurückgesetzt, nicht von der österreichischen Akademie der Wissenschaften? (Naja, Aula der Wissenschaften, keine Ahnung, von wem die betrieben wird – der Tipper.) Mir gefällt eigentlich der Fünfzigerjahrebau an der Ecke davor. Vom Dow-Jones ist die Rede. Holzbau Mayer aus dem Burgenland. Das dynamische, anscheinend sinnlos wirkende Drama des Verkehrsgeschehens da draußen an der Kreuzung (ich muß die Beine übereinander schlagen), das ist schon ein schöner Tanz. Vielleicht ist das da auch ein Verabredungsplatz: immer wieder sieht man Männer stehen und warten. Oder Spionage? Oder werden Wissenschaft und Wirtschaft unauffällig bewacht? Oder Spionageabwehr? Aus der Distanz bin ich heute recht menschenfreundlich, und die Passanten gefallen mir. Die Chefin der österreichischen Piklerei geht vorbei. Und jetzt der von Schallenberg. Wir sind hier im Zentrum der Bundeshauptstadt. Ich bestelle noch eine, koffeinfreie Melange, weil es mir heute hier so gut gefällt. Ach, die Leute auf der anderen Seite der Fensterglasscheibe sind so schön! Auch wenn sie alt oder traurig sind. Ein Bauschutz fährt vorbei. Eine Taube gleitet gekonnt hernieder (Ach! Heiliger Geist! Schick mir ein paar gute Schreibideen! Danke! Bitte!) Die Kellnerin, die mir den Kaffee bringt, lobt die Schönheit meiner Handschrift. Zuerst widerspreche ich, dann sage ich: „Gut! Lassmas gelten!“ Ich sehe schon, dass es manche PassantInnen nicht leicht haben. Es gibt schon männliche Gesichter, die mir Angst machen (wohl zu unrecht). Den Eifer in den Gesichtern finde ich rührend (was ist los mit mir? Ah! Mir gefällt, dass alle Narren zu sein scheinen). Die Empörung in manchen Gesichtern finde ich traurig, aber tut meiner Menschenliebe keinen Abbruch (die Menschenliebe, die mir gar nicht geheuer ist. Hast du keine Angst, dass sie dich lynchen? Oder flüstert dir schon dein Tod ins Ohr und das ist deine schwächelnde Abschiedsgroßzügigkeit?). Dieses Fünfzigerjahrehaus gefällt mir so, vor allem die ums Eck gehenden Fenster; da kann mir das ganze neunzehnte Jahrhundert mitsamt seinen Romanen gestohlen bleiben! (ha! ha! ha! - der innere Spötter.) Wieder steht ein Mann mit Sonnenbrille da drüben wie bestellt. Noch einer steht drei Metern links breitbeinig da und beide reden in ihre Handys. Jetzt gehen sie aufeinander zu, als wären sie unbekannterweise verabredet gewesen. Jetzt reden sie intensiv miteinander. Traismauer Gerüstbau (versuch doch, mit deinen Produktplatzierungen Kohle zu machen! - der innere Spötter). Fährt mit Grünstrom – die Wiener Verkehrsbetriebe. Ein kleiner, gestisch ausgetragener, herzerfrischender Streit zwischen einem Passanten am Zebrastreifen und einem ungeduldig andrängenden Taxler. Stra… - nein, ich bekomme dafür ja kein Geld. Ein Mini-Cooper mit CD-Nummer. Schwarzenbergplatz steht am Bus. Ich könnte allmählich zur Straßenbahn gehen und heimfahren.

14:11.  Und nächste Station. Diesmal als einziger Gast im Lokal bei leitungsbewässertem Fruchtsaft. Lecker! So mag ich es auch: Stille mit angenehmer Musik, die Melancholie des leeren Raumes, der Wind, der das Stoffdach über den Tischen draußen hebt und senkt. Wenn ich sterbe, werde ich wohl viele nicht getane Taten bereuen müssen, aber ich konnte aus meiner Haut nicht raus (Ausrede! - der innere Korrektor). Wirklich schön, wie der Wind die Planen draußen wölbt und beutelt (keine Sorge, er schreibt das eh nur, weil er seinen Saft auszutrinken noch nicht geschafft hat, aber die Zeitung schon gelesen. Man muß das nicht so ernst nehmen – der innere Spötter). Die Musik passt wunderbar dazu. Wenn ich jetzt heimgehe, komme ich in die Abholzeit. Also sollte ich noch bleiben.

Konsumieren hilft wirklich gegen Depression; weil ich mich dann wenigstens ein wenig wieder ins Spiel gebracht habe und nicht völlig am Abstellgeleise festsitze. Wie wäre es, nach Vorarlberg auszuwandern? Nur so eine Idee. Unrealistisch wie fast alle meine „Ideen“. Sehr schöne E-Gitarrenmusik.


(8.4.2025)


Peter Alois Rumpf April 2025 peteraloisrumpf@gmail.com

4020 Schreib! Schreib!

 



1:14 a.m.  „Schreib! Schreib!“ sage ich immer wieder zu mir selbst – und ganz selten, aber es kommt vor - rede ich mich dabei mit Vornamen an. Aber manchmal mag ich einfach nicht schreiben. Dass ich keine Idee habe, ist es nicht, denn ich habe fast nie eine Schreibidee; die entsteht erst beim Schreiben. Doch kommt mir meine Schreiberei so sinnlos vor und auch schlecht, ängstlich, verfangen. „Lassen Sie sich durch nichts vom Schreiben abhalten!“ hat mir vor Jahren der bajuwarische Affenarsch geschrieben. Manchmal greife ich sogar auf diesen Satz zurück. Manchmal ist hald (sic!) die Verzweiflung sehr groß. „Geschrieben wird heutzutage auch so viel, dass es einer Sau graust!“ hatte es auch mal geheißen. „Weg mit dem Ganzen!“ sage ich jetzt zu mir. Aber ich hocke immer noch da, klammere mich ans Notizbuch und kritzle holprig mein Zeug. Ich muß mein Leben ändern! So kann es nicht weitergehen! Unter meinen Blicken bewegen sich fast alle Gegenstände des Zimmers. Blutleere im Kopf. Mitten im Gesurre verdichtet sich ein Ton und sagt etwas - wie „vergeblich“ – ich höre es leise und undeutlich. Darf ich jetzt aufhören? Ja, du darfst.


(8.4.2025)


Peter Alois Rumpf April 2025 peteraloisrumpf@gmail.com

4019 Hier



8:05 a.m.  Das Leselicht, das ich soeben aufgedreht habe, läßt mich aufatmen. Die Anspannung, unter der ich im Bett hocke, ist mir sicherlich anzumerken. Die Angst lauert schon, wenn ich aufwache. Ich suche irgendeinen beruhigenden Gedanken, eine beruhigende Erkenntnis oder Erinnerung. Sturm Graz bleibt Tabellenführer. Ja, aber punktegleich mit Austria Wien und Salzburg ist auch schon herangerückt. Was wirklich mit mir los ist, weiß ich nicht. Ein inneres bewegungsloses Zittern. Meine Vergesslichkeit hat enorm zugenommen. Mein Geist kann oder will sich nicht mehr konzentrieren und zusammenhalten. Mit zugefallenen Augen erinnere ich mich, dass Frühling ist. Ich höre ein leises, fast lautloses Schreien und Schimpfen, das nicht von außen kommt. Aus Angst blättere ich um. Übertrieben? Vielleicht bewirkt die Angst gar nichts und läuft nur so nebenher mit. Die Wollust hinter dem Vorhang ist nicht von mir. Ach, ist das alles nebulös! Aber es stimmt: in meinem Körper ist so viel Angst gespeichert. Vielleicht schon seit vielen Generationen weitergegeben. Ein Bild einer geköpften Schlange flasht auf. Zu undeutlich, als dass daraus eine Erkenntnis erwachsen könnte. Bis in die Mitte des großen Traumzimmers hat es mein innerer Hund geschafft. Eine eingeklemmte männliche Stimme ruft „hier!“. Der Verkehrshubschrauber belästigt mein Traumbewußtsein. Das Aufschreiben der Sätze wird mein Leben auch nicht mehr retten. Ich suche vergeblich einen Namen; wo sind die bloß alle abgespeichert? Sogleich erfindet mein was? innen eine Szene. Mein inneres Szenenbild – schon längst wieder ein anderes – neigt sich nach links und kippt um. Ich warte in der Bar schon seit Stunden, dass ich eine Bestellung abgeben kann. Aber daraus wird nichts, die Szene hat sich schon verflüchtigt. Mein dritter tiefer Atemzug heute. Ich drehe das Leselicht ab und ziehe mir die Bettdecke vorne über die Brust und die Schultern.


(7.4.2025)


Peter Alois Rumpf April 2025 peteraloisrumpf@gmail.com

4018 Dünner Nebel

 



1:28 a.m.  Auf meinem Energiekörper scheint ein kleines Lebewesen herumzukraxeln; jedenfalls zuckt es an seiner Oberfläche abwechselnd an verschiedenen Stellen. Aber nur, wenn ich meine Aufmerksamkeit darauf lenke. In meinem vertrauten Surren hat sich ein hohes, schleifendes Geräusch, wie auf Metall, dazugemischt; auch nur, wenn ich genau hinhöre. Jetzt orte ich leichte Vibrationen in, auf und durch meinen physischen Körper laufen, manchmal fast wie plötzliche Verrückungen, als wären das körperlich-seismische Abläufe. Nun haben ich die Augen geschlossen und drehe mich langsam im Kreis. Nun öffne ich die Augen und es schaut aus, als wäre ein leichter, dünner Nebel im Zimmer.


(4.4.2025)


Peter Alois Rumpf April 2025 peteraloisrumpf@gmail.com

Donnerstag, 3. April 2025

4017 Boulevard St. Lassalle

 



13:45.  Ich sitze in meinem Lieblingslokal und mir fällt immer noch nichts ein. Dafür darf ich einer analogen Kussszene drei Tische weiter bei- … -wohnen wäre übertrieben: beisitzen. Inzwischen war ich am Klo und jetzt fließen da drüben weibliche Tränen und er, er schaut ernst, streng und finster drein. Übrigens: heute bin ich schon weit von hier die Lasallestraße zum Praterstern gegangen: eigentlich ein herrlicher Boulevard: breit, offen, sonnig, großzügige Trottoirs, Bäume, aber keine Cafés, keine Buchläden, kein kleingeschäftliches Leben, zumindest nicht auf ihrer linken Seite, wenn man rechts Richtung Praterstern geht. Kein Boulevard Saint-Lasalle.

Das Lokaltelephon läutet. Mich hebt es nach zwei Cappuccini fast aus, aber ich kann es nicht lassen. Meine Schreiberei „feiert“ die Welt als unergründliches Chaos, nur weil ich zu faul bin, die unter der Oberfläche wirkenden Muster zu erkennen. Selber sind mir bei Fifty Ways To Leave Your Lover die Tränen gekommen; mit ins Notizbuch gesenktem Kopf kaschiert. Jetzt wird aus den Boxen der Sheriff erschossen. Heute ist herinnen nicht allzu viel Andrang, wodurch ich kein schlechtes Gewissen habe, nur bei Kaffee den Platz seit Stunden zu versitzen. Stunden klingt vielleicht übertrieben, aber zwei Stunden könnten es doch sein. Ich bewege gekonnt meinen Kopf, um meinen Nacken zu lockern; alles nur Show, obwohl mein Nacken tatsächlich zu Steifheit neigt. „No more pain, no more shame“ singt einer aus den Boxen (Michael Kiwanuka? - der Tipper). Mit aufgesetzt tiefsinnigem Gesicht starre ich in eine Ecke, deren Kleinarchitektur ich nicht entschlüsseln kann (ja, geschwollene Beschreibungen von Banalitäten liebt er; dabei sieht er nur schlecht in die Ecke und kann die Möbel dort nicht gut erkennen - der innere Spötter). (Es gibt nichts Banales! Alles ist eine Frage auf Leben und Tod! Alles! - der innere Korrektor.) Jetzt lasse ich meinen Blick in irgendwelchen komplexen, unaufgelösten Spiegelungen verfließen, versinken, verenden (das hat wiederum nichts mit dem Tod zu tun – der Blick, der in meinem Auge beginnt, endet einfach dort. Aus. - PAR). Jetzt ist im Lokal irgendein Schmäh gelaufen, den ich wegen meiner Scheinanwesenheit nicht mitgehört und nicht mitbekommen habe; vielleicht über mich? Weil die zwei Männer, die mit diesem Scherz das Lokal verlassen, mich dabei angeschaut haben? Eher nicht. Draußen geht das Lachen weiter. Mein innerer Aufbruchsalarm meldet sich; ich will aber noch bleiben (sonst komme ich wieder zur Abholzeit nach Hause). Drei Tische weiter wird nicht mehr geweint, sondern wieder geküsst. Es ist jetzt fast leer hier, was für mich auch sehr schön ist. Die Hausfassaden leuchten im natürlichen Licht der Sonne. Die Autos sausen möglichst unauffällig die Burggasse hinunter (er will damit sagen, dass von seiner Sitzposition aus hinter dem Schanigarten draußen nur die Dächer der vorbeifahrenden Autos zu sehen sind und wegen der Lokalmusik lautlos – der innere Kritiker und Aufdecker). Was ich mit meinem Restleben (er könnte auch Rumpfleben schreiben – der innere Spötter) noch wirklich anfangen will, weiß ich nicht wirklich. Mehr als den natürlichen Abgang zu verwalten, fällt mir nicht ein. Die ewige Scheiterei hat mir das Wasser abgegraben, das innere Feuer gelöscht, den Wind aus den Segeln genommen, meine Hoffnungen begraben. Stopp! Halt! Schluß! Genug davon! Dafür haben wir wirklich keine Zeit! (Selbst wenn du so gewissenhaft, eifrig und geflissentlich alle vier Elemente anrufst – ein solches Selbstmitleid geht nicht! - der innere Spötter) . Stopp! (Übrigens waren es im Endeffekt über vier Stunden im Lokal.)


(3.4.2025)


Peter Alois Rumpf April 2025 peteraloisrumpf@gmail.com

4016 Fast frei

 



17:53.  Ich setze mich fast notgedrungen an den Schreibtisch im Musikzimmer: seit mindestens zwei Wochen gibt es auf ZDF keine neuen SOKOs und kein Notruf Hafenkante, also weiß ich nicht mehr, was ich reinziehen könnte. Das Geblendet in Gaza von Aldous Huxley habe ich heute Vormittag „ausgelesen“ – wie man so schön sagt – und um mich auf ein neues Buch einzulassen, brauche ich eine Pause. Fatal übrigens: ich konnte mich nicht daran erinnern, dass ich den Roman vor nicht allzu langer Zeit schon gelesen hatte; alles weg! - was mir schon Sorgen macht – nur ab und zu eine schwache, unglaubwürdige Ahnung, dass diese oder jene Szene oder Beschreibung schon mal in meinem Bewußtsein war. Erst am Schluß war ich mir einigermaßen sicher, den Roman schon gelesen zu haben. Offensichtlich kann ich nicht erfassend lesen und mein Gedächtnis setzt offensichtlich zeitweise völlig aus. Also sitze ich nun am Schreibtisch – hauptsächlich weil ich ein schlechtes Gewissen – hauptsächlich meiner Frau gegenüber - habe, wenn ich gar nicht „arbeiten“ würde und nichts notieren – sitze da und will die Trümmer zusammenklauben. Eine Spinnwebe zieht sich vom Fenstergriff zum Fensterrahmen, der Impuls, das weg zu tun, ist da, aber hat keine Durchschlagskraft. So schaue ich auf den heller und stellenweise blau werdenden Himmel. Es sind sanfte Farben, das schwache Sonnengelb auf den hellen Wolken hat schon einen leicht rötlichen Stich. Zumindest kommt es mir so vor. Es ist schon eine große Müdigkeit in meinem Geist. An Flecken und Spiegelungen an oder hinter den Fenstern da drüben sehe ich obskure Gesichter, die sich schnell ändern. Ich stelle diesen Spuk ab. Das Sonnenlicht auf den Wolken ist wieder gelber geworden. Mein Geist ist nicht nur müde, er ist auch sehr traurig. Tapfer lächle ich dagegen an. Eine Stimme aus dem Nebenhaus kommt durch die Zimmerwand. Irgendwas mit „Morgen …“. Die Neunzehntes-Jahrhundert-Dekorationen an den Hausfassaden kommen mir wie in den Albträumen meiner Kindheit bedrohlich vor; irgendwann bricht aus ihnen Gewalttätigkeit hervor. Die industrielle Aneinanderreihung verstärkt das Gefühl. Ist das r nach einem Vokal – sowieso außer am Silbenbeginn und nach t, d, g, k, b, p - noch zu retten? Ich hab sicher irgendwas vergessen. Mein Verstand ist zu träge.

Der Himmel ist inzwischen fast frei.


(1.4.2025)


1:05 a.m. Na gut, dann nicht!


(2.4.2025)


Peter Alois Rumpf April 2025 peteraloisrumpf@gmail.com

4015 Das Ding

 



2:02 a.m.  Soeben habe ich in den Mustern der Fliesen des Badezimmerbodens nicht Stalin von hinten, sondern ein abstraktes, gesprenkeltes Muster, das sich dann verdichtet, sich eine Kontur verschafft und von seiner Umgebung zuerst isoliert und dann abgelöst und sich zu bewegen begonnen hat, gesehen. Ein wenig, wie man sich die Bewegung von Einzellern vorstellt, aber starrer, ferngesteuerter und nicht so lebhaft und rund. Ein interessantes Phänomen, ich habe lange zugeschaut, wie diese „Zelle“ über den Fußboden geglitten ist, sich im Kreis gedreht hat, dann weiter und die Richtung geändert, dann wieder auf der Stelle verharrt ist, bis sie wieder über den Boden geglitten ist. Es hat vollkommen real ausgeschaut. Weil ich den Verdacht hatte, es könnte etwas mit meinen Augenmuskeln zu tun haben, habe ich den Blick woanders hingelenkt und dann wieder zurück und das Ding war immer noch da. Ein schwacher Eindruck tauchte auf, ich könnte über meine Augen das Ding mit meinem Willen steuern, aber eindeutig war das nicht. Als es dann jedoch endgültig verschwunden war, konnte ich es nicht mehr herbeirufen oder rekonstruieren.


(1.4.2025)


Peter Alois Rumpf April 2025 peteraloisrumpf@gmail.com

4014 Grün und Blau

 



9:40 a.m.  Heute fällt mein Morgenblick auf die grünen und blauen Bände Taulerpredigten und Sentenzen Thomas von Aquin. Erstaunlich, denn die habe ich sicherlich schon jahrelang nicht mehr aus dem Regal gezogen. Sie stehen sehr nahe bei der frankophonen Schweizerin und vielleicht habe ich mich bloß ein paar Zentimeter weiter rechts im Bett aufgesetzt und somit mein Blickfeldzentrum verschoben. Warum fällt mir jetzt der Kärntner-Grazer Ex-Maoist ein? Wegen des „scholastischen“, spezifischen pseudodialektischen Frage-Antwort-Spiels? Wegen „Was sagt uns das? Das sagt uns …“? Mein Blick hängt jetzt doch lieber bei der ein Viertel entkleideten frankophonen Schweizerin; obwohl ihr Körper etwas Bäuerliches, Hartes hat, wirkt sie aus der Entfernung viel weicher. Ahja! Und unter den oben genannten Büchern liegt der schwarze Vesuvstein, der ganz unauffällig beinahe im Schatten verschwindet. Ich stocke im Schreibfluß, weil der Gedanke auftaucht, dass meine Schreiberei sinnlos ist und nicht gerechtfertigt; ich habe ja nichts zu sagen und kreise nur um mich selbst. Stimmt das? (die Ankläger stehen schon parat). Oder wird dabei doch etwas brauchbar beschrieben? Ich drehe es hin und her und kann mich für keine Antwort entscheiden. Die frankophone Schweizerin wirkt jetzt sehr rund und der Vesuvstein ist jetzt – vielleicht wegen dem besseren Licht – deutlicher.


(31.3.2025)


Peter Alois Rumpf März 2025 peteraloisrumpf@gmail.com