4041 Eine dicke Biene
8:47 a.m. Eine dicke Biene – wenn denn dieses Insekt eine einzeln lebende Biene ist und nicht eine fette Fliege – so genau kann ich das schlaftrunken weder sehen noch hören – weckt mich auf. Sie ist beim offenen Fenster hereingekommen, ist über mich Schlafenden in diesen erstaunlich ruckartigen Flugbewegungen gekreist und, nachdem sie mich aufgeweckt hat, wieder zum Fenster hinaus. Danke, liebe Biene respektive Fliege, ich sehne mich ja seit langem danach, früher als üblich aufzustehen und es außer Haus zu schaffen. Das war ein angenehmes Erwachen – und sogleich setze ich mich auf und gehe in den Wachzustand über - ganz ohne Schock.
Obwohl: jetzt, während ich das schreibe, will sich doch ganz tief innen die Angst hereinschleichen, aber ich weiß schon die Gegenstrategie: Frühstücken in meinem Lieblingscafé; und weil ich eine Teilrefundierung meiner Psychotherapiekosten von der maroden Österreichischen Gesundheitskasse erhalten habe – das verdanke ich wohl meiner Therapeutin, denn bei meinem letzten Antrag hat es geheißen: rien ne va plus! – deswegen kann ich es mir auch leisten. Ein wenig warte ich – ich habe es nicht eilig – ich genieße noch den sommerlichen Morgen in meinem Zimmer vom Bett aus.
Tatsächlich: ich spüre es körperlich, wie tief im Bauch, als säße sie im Gedärm, die Angst herumarbeitet, aber diesmal hat sie keine Chance, die Oberhand zu gewinnen: gleich werde ich fröhlich aus dem Bett springen und mich auf den Weg machen.
Beim Rasieren (handschriftlich habe ich racieren geschrieben) kommen mir Bedenken, ob mir so ein Luxus überhaupt zusteht, nämlich im Café zu frühstücken, und ob es nicht angebracht wäre, das rückvergütete Geld als kleinen Beitrag zur Miete zu verwenden – für die Gesamtmiete wäre es sowieso viel zu wenig – oder mir wenigstens neues Bettzeug oder einen neuen Pyjama zu kaufen. An diesen Einwänden glaube ich zu erkennen, dass es vor allem um Lebensangst geht, und dass mir dazu meine hypertrophe Pylorusstenose als Säugling einfällt, kommt mir passend vor (die übrigens deutlich häufiger bei männlichen Säuglingen auftritt) und nicht zufällig. Aber diese Skrupel werden mich heute nicht mehr abbremsen. Das morgendliche Medikament muß ich noch einnehmen, dann starte ich los. Noch dazu, wo ich gerade einen Kuckuck zu hören vermeinte und schnell meine Geldbörse geschüttelt habe, auf dass das Geld ordentlich klimpere und als Folge davon nicht ausgeht. Vor dem Eintreffen der Tageskinder das Haus zu verlassen, habe ich jetzt nicht geschafft, deshalb muß ich noch ein wenig warten, bis das Vorzimmer wieder frei ist …
10:17 a.m. … aber jetzt sitze ich in meinem Lieblingscafé. Beim Weggehen ist plötzlich mein Kreuzweh, das heute Morgen überraschenderweise gar nicht da war, wieder eingeschossen – es erstaunt mich immer wieder, wie geschickt und raffiniert die selbstdestruktiven Kräfte arbeiten – und beim Nachlaufen einer Straßenbahn – genau genommen bin ich nicht nachgelaufen, sondern hingelaufen, bevor sie die Station verläßt – haben meine Beine … also das war beschleunigtes Humpeln. Aber jetzt ist der Cappuccino gekommen und ich nehme den ersten Schluck, auf den ich mich schon so gefreut habe.
11:53 a.m. Nach der langen Lektüre starte ich nun meine Schnitten-Kaffee-Zeremonie: Sorgfältig breche ich die Verpackung der – ich will keine Werbung machen - …...schnitte, die zu jeder Tasse Kaffee gereicht wird, auf, halte das Stück über den Kaffee und klopfe die losen Brösel in selbigen – die auf den Tisch gefallenen wische ich mit einer nonchalanten Handbewegung zu Boden – bevor ich das kleine, quadratische Schnittenstück andächtig in den Mund stecke, mit ungesüßtem Kaffee nachspüle, zerkaue und verschlucke. Ich verzehre immer nur eine pro Cafébesuch, egal wie viele Cappuccini ich trinke, ich will ja nicht gierig sein und eigentlich sind mir die Schnitten zu süß. So, das haben wir unserem Publikum auch einmal klar gemacht!
Und sonst? Ja, ein gewisser Glückszustand hat sich eingestellt. Da momentan die Melancholie fehlt, funktioniert meine poetisch betrachtende Schreiberei nicht recht. Zwar schaue ich im ziemlich leeren Lokal – fast alle sitzen draußen im Schanigarten – herum, aber … nur die Blätter einer Ranke, die draußen über den Fensterrand ragt, und so von innen sichtbar ist und sich im leichten Luftzug bewegt, schaffen es in meine Aufmerksamkeit, weil sie in diesem sanften Hin-und-Her manchmal für kurze Momente kleine, lichte Durchblicke freigeben und dann wieder überdecken. Aber sogleich jagt mich die losstartende Kaffeemaschine mit ihren Geräuschen – zuerst ihr Mahlwerk und dann das heiße, zischende Wasser – in eine Euphorie, die mich etwas ungeduldig und blind macht. Aber das macht nichts. Im Moment bin ich mit mir und der Welt zufrieden. Eine kleine Weile noch sitzen und den Kaffee austrinken, dann könnte ich an diesem sonnigen, warmen Tag zu Fuß nach Hause gehen. Doch dann sehe ich den neuen, zuerst nicht gefundenen Falter am Kleiderhaken hängen und ich vertiefe mich wieder in die Lektüre.
Als im Artikel von Eva Konzett, den ich gerade lese, der katholisch-liturgische Satz „Herr, ich bin nicht würdig, dass du eingehst unter meine Dach, aber sprich nur ein Wort, so wird meine Seele gesund“ zitiert wird, muß ich weinen. Einfach so . Was immer dieses Weinen bedeutet! (Sooo schwer ist es doch nicht zu verstehen!). (Zur Definition: Weinen heißt bei mir bloß Wasser in den Augen; dass Tränen richtig herunterrinnen, das ist zu viel verlangt!) Wegen der soeben einsetzenden wunderschönen Gitarrenmusik – keine Ahnung, von wem – kann ich noch nicht weggehen.
(30.4.2025)
Peter Alois Rumpf April 2025 peteraloisrumpf@gmail.com
