Donnerstag, 10. April 2025

4023 Die vier Temperamente

 



12:54.  Seit Stunden sitze ich nun schon in meinem Lieblingscafé und habe gelesen, gelesen: Standard, Kleine Zeitung, Falter. Und d’anglais gefrühstückt. Heute morgen konnte ich kaum aufstehen, weil ich nicht und nicht wußte, was ich in dieser Welt anfangen soll (dabei gäbe es genug zu tun) und wofür ich da bin. Weder die Idee, die Tensegrity-Übungen nach vielen Jahren Unterbrechung wieder aufzunehmen, noch die, zu lesen oder zu schreiben, konnten mich aus dem Bett locken. Erst das fröhliche Geschrei der ankommenden Tageskinder hat mich hinter meinem grauen Schutzwall hervorholen können, aber nur kurz, dann bin ich wieder in meine Lähmung zurückgefallen. Dann habe ich es unter Seufzen und leichten Angstattacken doch geschafft und wollte in die Küche hinunter, um mir das Frühstück zu bereiten. Aber beim Gedanken an die Brotrindenstücke – die ich ansonsten mit Knoblauch, Gemüse und Apfel recht gern esse – ist mir allein bei der Vorstellung fast übel geworden. Da habe ich mein Geld gezählt und beschlossen, zum Frühstück ins Espresso Burggasse zu fahren und sogleich ist alles heller geworden; ich habe mich darauf gefreut und bin rasch und zielgerichtet in die nötigen Vorbereitungen zum Aufbruch gestartet. Wenn man das Depression nennt, hat man nicht viel mehr als eine Benennung gewonnen - aber gut, das kann schon auch hilfreich sein. Fakt ist, dass das Gefühl, am Abstellgleis zu stehen und mit dem, was einem am Herzen liegt und wofür man eine Begabung hat, (gesellschaftlich) keine Resonanz zu finden, und die daraus resultierende zwanghafte Idee, dass somit alles sinnlos ist, einen so lähmen und so erdrücken kann. Menschen, die in ihrem Status und Tun selbstverständlicher sind (oder deren Selbstbilder zu recht oder aus Selbstbetrug stabiler sind), können das schwer verstehen. Aber obwohl mir jämmerlich zu Mute ist, möchte ich nicht jammern, sondern will daran glauben, dass ich es selbst in der Hand habe – falls es schon zu spät ist: gehabt hätte – mich von diesen minderwertigen Zuschreibungen (das sind sie nämlich; so sind sie in mein Bewußtsein implantiert worden) zu befreien. Aber hier, in meinem Lieblingslokal, kann ich die Melancholie auch genießen [seit meiner Kindheit, als ich in der Kinderwelt von A bis Z die vier Temperamente bildhaft dargestellt gefunden habe – nämlich wie die verschiedenen Temperamente vor dem Hindernis eines Holzzaunes reagieren: der Sanguiniker springt fröhlich über den Zaun, der Phlegmatiker bleibt scheinbar gleichgültig einfach davor stehen, der Choleriker tritt ihn zornig nieder und der Melancholiker berührt das Holz sachte und gerät ins Sinnieren und Träumen – weiß ich, dass ich ein Melancholiker bin (übrigens kommt diese Darstellung in der 11. Auflage des Kinderbuches von 1970 nicht mehr vor) – wobei damals – ich kann mich genau erinnern! - mein Wesen sich geschockt gegen diese Definition (finis - Grenze) zu wehren versucht hat, aber mein Verstand (was immer das ist) diese Tatsache als richtig anerkennen zu müssen geglaubt hat]. Mit dem vierten Cappuccino (vier Temperamente – vier Jahreszeiten – vier Elemente– vier Evangelisten – vier Tageszeiten – vier Quadranten – vier Cappuccini) gehe ich wohl absichtlich zu weit. Die Rolling Stones aus den Boxen: Gimme Shelter. Ah, jetzt kommt draußen die Sonne durch und die Hausfassaden leuchten auf. (Mein Gott! Was hatte ich damals noch für Hoffnungen! Und ich habe damals rein vom Hören und mit meinen schlechten Englischkenntnissen immer It’s just a shot away als irgendwas mit … shadow away missverstanden! (ha, ha, ha – der innere Spötter) (aber das mit den vertriebenen Schatten hätte mir besser gepasst.).) Selten ist meine Schwermut so schön wie hier. Und wie schön die Musik hier ist! (das jetzt kenne ich nicht und dürfte etwas Neueres sein). Ich konstatiere, wie eine gewisse Kaffeeeuphorie auf der Melancholie schaukelt. Sollte ich gehen, bevor das Ganze kippt? Ich werde wohl zu Fuß heimgehen, um das alles ausklingen zu lassen (Nein, zu windig und kalt – der Tipper).




(10.4.2025)




Peter Alois Rumpf April 2025 peteraloisrumpf@gmail.com

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