Dienstag, 8. April 2025

4021 Vorarlberg

 



11:54 a.m.  Viele Damen stehen vorm Café am Gehsteig und verzehren die Sachen, die sie hier auf Mitnahme gekauft haben. Ich habe mir zur Melange (hört! Hört! Er ist zum Wienerischen Französisch zurückgekehrt!) eine Golatsche (von tschechisch kolač, dem wieder die slawische Wurzel kol = rund zugrunde liegt; nach P.Wehle) bestellt. Ziemlich spontan. Zwei Wissenschaftler (?) diskutieren irgendwelche Kurven und Graphiken. (Mein Gott! Dass ich nie einen Status von Selbstverständlichkeit und anerkannter Kompetenz zu erwerben geschafft habe!) Einer von den Wissenschaftlern konsumiert auch Golatsche mit Melange, der andere einen Cappuccino. Draußen auf der anderen Straßenseite steht ein schlanker, alter Mann mit Glatze und langem, grauen Bart breitbeinig da, schaut gekonnt in sein Handy und raucht souverän eine Zigarette. Sehr souverän. Ist das Gebäude gegenüber, einige Meter zurückgesetzt, nicht von der österreichischen Akademie der Wissenschaften? (Naja, Aula der Wissenschaften, keine Ahnung, von wem die betrieben wird – der Tipper.) Mir gefällt eigentlich der Fünfzigerjahrebau an der Ecke davor. Vom Dow-Jones ist die Rede. Holzbau Mayer aus dem Burgenland. Das dynamische, anscheinend sinnlos wirkende Drama des Verkehrsgeschehens da draußen an der Kreuzung (ich muß die Beine übereinander schlagen), das ist schon ein schöner Tanz. Vielleicht ist das da auch ein Verabredungsplatz: immer wieder sieht man Männer stehen und warten. Oder Spionage? Oder werden Wissenschaft und Wirtschaft unauffällig bewacht? Oder Spionageabwehr? Aus der Distanz bin ich heute recht menschenfreundlich, und die Passanten gefallen mir. Die Chefin der österreichischen Piklerei geht vorbei. Und jetzt der von Schallenberg. Wir sind hier im Zentrum der Bundeshauptstadt. Ich bestelle noch eine, koffeinfreie Melange, weil es mir heute hier so gut gefällt. Ach, die Leute auf der anderen Seite der Fensterglasscheibe sind so schön! Auch wenn sie alt oder traurig sind. Ein Bauschutz fährt vorbei. Eine Taube gleitet gekonnt hernieder (Ach! Heiliger Geist! Schick mir ein paar gute Schreibideen! Danke! Bitte!) Die Kellnerin, die mir den Kaffee bringt, lobt die Schönheit meiner Handschrift. Zuerst widerspreche ich, dann sage ich: „Gut! Lassmas gelten!“ Ich sehe schon, dass es manche PassantInnen nicht leicht haben. Es gibt schon männliche Gesichter, die mir Angst machen (wohl zu unrecht). Den Eifer in den Gesichtern finde ich rührend (was ist los mit mir? Ah! Mir gefällt, dass alle Narren zu sein scheinen). Die Empörung in manchen Gesichtern finde ich traurig, aber tut meiner Menschenliebe keinen Abbruch (die Menschenliebe, die mir gar nicht geheuer ist. Hast du keine Angst, dass sie dich lynchen? Oder flüstert dir schon dein Tod ins Ohr und das ist deine schwächelnde Abschiedsgroßzügigkeit?). Dieses Fünfzigerjahrehaus gefällt mir so, vor allem die ums Eck gehenden Fenster; da kann mir das ganze neunzehnte Jahrhundert mitsamt seinen Romanen gestohlen bleiben! (ha! ha! ha! - der innere Spötter.) Wieder steht ein Mann mit Sonnenbrille da drüben wie bestellt. Noch einer steht drei Metern links breitbeinig da und beide reden in ihre Handys. Jetzt gehen sie aufeinander zu, als wären sie unbekannterweise verabredet gewesen. Jetzt reden sie intensiv miteinander. Traismauer Gerüstbau (versuch doch, mit deinen Produktplatzierungen Kohle zu machen! - der innere Spötter). Fährt mit Grünstrom – die Wiener Verkehrsbetriebe. Ein kleiner, gestisch ausgetragener, herzerfrischender Streit zwischen einem Passanten am Zebrastreifen und einem ungeduldig andrängenden Taxler. Stra… - nein, ich bekomme dafür ja kein Geld. Ein Mini-Cooper mit CD-Nummer. Schwarzenbergplatz steht am Bus. Ich könnte allmählich zur Straßenbahn gehen und heimfahren.

14:11.  Und nächste Station. Diesmal als einziger Gast im Lokal bei leitungsbewässertem Fruchtsaft. Lecker! So mag ich es auch: Stille mit angenehmer Musik, die Melancholie des leeren Raumes, der Wind, der das Stoffdach über den Tischen draußen hebt und senkt. Wenn ich sterbe, werde ich wohl viele nicht getane Taten bereuen müssen, aber ich konnte aus meiner Haut nicht raus (Ausrede! - der innere Korrektor). Wirklich schön, wie der Wind die Planen draußen wölbt und beutelt (keine Sorge, er schreibt das eh nur, weil er seinen Saft auszutrinken noch nicht geschafft hat, aber die Zeitung schon gelesen. Man muß das nicht so ernst nehmen – der innere Spötter). Die Musik passt wunderbar dazu. Wenn ich jetzt heimgehe, komme ich in die Abholzeit. Also sollte ich noch bleiben.

Konsumieren hilft wirklich gegen Depression; weil ich mich dann wenigstens ein wenig wieder ins Spiel gebracht habe und nicht völlig am Abstellgeleise festsitze. Wie wäre es, nach Vorarlberg auszuwandern? Nur so eine Idee. Unrealistisch wie fast alle meine „Ideen“. Sehr schöne E-Gitarrenmusik.


(8.4.2025)


Peter Alois Rumpf April 2025 peteraloisrumpf@gmail.com

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