Dienstag, 11. März 2025

3999 Il Vangelo secondo Matteo

 



12:48.  Als ich in den Sechzigerjahren den Film Il Vangelo secondo Matteo aus dem Jahr 1964 von Pasolini gesehen habe – natürlich auf Deutsch und mit dem Titel Menschenfischer - war ich in der Unterstufe des Gymnasiums, gläubig, und hatte durchaus ein unsicheres Gefühl darüber, ob es okay ist, vor allem Jesus, Maria und Josef filmisch, also durch SchauspielerInnen, darzustellen. Eine Scheu vor der Darstellung des Heiligen durch „normale“ Schauspieler, die damals nicht nur ich hatte. Letztlich ist das wahrscheinlich die Scheu, das heilige Absolute so ganz im Kontinenten zu identifizieren, wiewohl ja das Angekommensein des Absoluten an einem konkreten Ort, zu einer konkreten Zeit, in einer konkreten Kultur, einer konkreten Sprache und einem konkreten Ambiente die zentrale Aussage der christlichen Botschaft von der Menschwerdung Gottes ist. Gleichzeitig hatte ich damals schon einen Hang zur „Moderne“, was immer das ist – übrigens vor allem angeregt durch Kapläne, bei denen ich die ersten Kunstbände zum Beispiel durchgeblättert habe, Kunstbände, die in der rustikalen Ödnis rundherum zumindest für mich nicht vorgekommen sind; auch von den säkularen LehrernInnen kamen kaum direkte, außerhalb des schulischen Benotungsdrucks artikulierte und persönlich zugeschnittene Anregungen. Und wegen dieses „Hangs zur Moderne“ war ich damals schon vom Film und seiner Ästhetik fasziniert (heute auch noch, auch wenn ich einiges anders erzählen würde).

Nebenbei gesagt war es für mich damals selbstverständlich, den Kaplan des Ortes an einem faden Nachmittag auch ohne Ankündigung und Absprache besuchen zu gehen und über alles Mögliche zu reden. Und damit es da kein Mißverständnis gibt: es gab dabei niemals irgendwelche Übergriffe, und nicht nur – um auch das zu betonen – weil sich der eine oder andere Kaplan beherrscht hat, sondern weil das überhaupt bei den konkreten Personen kein Thema war und gar nicht im Raum stand (Thema wurde es erst durch einen deutschen „Sommerfrischler“ am Putterersee).

Zurück zum Film und damit nach Bethlehem, denn der Bethlehemitische Kindermord soll das eigentliche Thema dieser Betrachtung sein. 2007 habe ich einen Text geschrieben (Der Bethlehemitische Kindermord und der Engel, hier auf der Schublade der Text Nummer 3), wo es um die Frage geht, warum Gott (oder wer oder was auch immer) nur dem Josef einen Engel geschickt hat um ihn zu warnen und den anderen nicht. (Übrigens ist es mir in diesem Zusammenhang völlig wurscht, ob diese Ereignisse historisch sind oder nicht. Es geht mir nur um die Geschichte und die vielen menschlichen Erfahrungen dahinter.) Meine Antwort darauf war in etwa, dass in jedem und jeder aus den tiefsten Schichten des Bewußtseins (oder weil es so tief „unten“ ist, kann man es auch Unterbewußtsein nennen – wichtig ist nur, dass es ein Bewußtsein ist, wenn auch ein meist abgedrängtes) – aus der Region also, die direkt mit dem – nennen wir es so – „Universalbewußtsein“ verbunden ist – dass von dort an jeden und jeder eine Warnung vor der Gefahr in welcher Form auch immer aufgestiegen ist, aber nur Josef so offen war, diese Warnung wahrzunehmen und sofort darauf zu reagieren (noch in dieser Nacht) und mit Frau und Kind geflüchtet ist. Und nicht gedacht hat: „Nein, das wird schon nicht so schlimm!“ oder „Wer denkt sich so einen Irrsinn aus, das gibt es doch nicht!“ oder „Morgen soll doch die bestellte neue Hobelmaschine geliefert werden; das geht jetzt nicht!“ oder „Ich muß zuerst das mit meinem Konto regeln; die haben aber erst wieder am Sonntag offen. Das warte ich noch ab!“ oder „Maria hat vorige Woche erst ihre neue Einbauküche bekommen; das kann ich ihr jetzt nicht antun!“ etcetera etcetera etcetera.

Zurück zum Pasolinifilm: bei der Szene der Abreise der Flüchtlingsfamilie wegen des drohenden Mordes an dem Knaben – nochmals: mir ist es wurscht, ob diese Geschichte historisch ist oder „bloß“ die traumatischen Erfahrungen der Menschheit widerspiegelt – sieht man ganz klassisch Maria mit dem Kind am Esel, den Josef führt, sitzen und, weil sie ja weiß, was für ein Massaker hier bald passieren wird, läuft ihr eine Träne über die Wange.

Mein Religionslehrer im Gymnasium damals – eine unerleuchtete Figur; typisch ein Opfer eines falschen Handels mit den Göttern („wenn ich Stalingrad überlebe, werde ich Priester“) – hat diese Szene kritisiert, weil man da auf den Gedanken kommen könnte, warum Josef und Maria nicht auch die anderen gewarnt haben (also die Szene im Film, nicht die unterlassene Warnung hat er kritisiert). Ich selbst habe das damals auch einfach so hingenommen, ohne über diese Frage nachzudenken (und diese habe ich mir auch im Text Nummer 3 nicht gestellt, weil ja eh jeder sozusagen unbewußt informiert wurde). Erst vor kurzem habe ich von diesem Text 3 erzählt und mir im Nachhinein Gedanken gemacht, warum die wirklich nicht die andern gewarnt haben. Was könnte denn dabei passieren? Wie könnte den die Reaktion der Gewarnten sein?

„Was! Wie reden die über unseren guten König Herodes! Die reden so schlecht über ihn! Das ist Gesellschaftsgefährdung!“ oder „Der Herodes ist zwar ein Arschloch, aber wenn ich die anzeige, habe ich vielleicht bei den Behörden für meine beantragte Genehmigung für xyz einen Vorteil!“ oder „Die spinnen ja! Wer denkt sich so etwas aus?! Die gehören ins Irrenhaus!“ oder „So etwas Blödes! Damit will ich nichts zu tun haben!“ oder „Woher wollen gerade diese Hungerleider, diese religiösen Seicherl das wissen?!“ oder „Leute mit Visionen gehören zum Arzt!“. Und die Geschichte ist (die Geschichten sind) doch voll von ermordeten Propheten und gelynchten Seherinnen, weil die Gewarnten die Warnung nicht vertragen konnten.

Anmerken will ich noch zum Text 3, dass die Gestalt, die als Engel beschrieben wird, wenn schon dann eher der berühmte „Schutzengel“ wäre, der immer auf seinen Schützling bezogen ist, eigentlich und besser jedoch als der andere, als der verdrängte Teil des energetischen Konglomerats, das wir im Wesentlichen sind, bezeichnet werden könnte, oder als der verweigerte und weggeschobene Anteil des eigenen „Energiekörpers“, der sich immer bemerkbar machen und einbringen will.

Ich hatte auch vorgehabt, den Text 3 hinsichtlich seines arroganten und schnoddrigen Tones zu überarbeiten, aber nein, mir gefällt das eh.


(11.3.2025)


Peter Alois Rumpf März 2025 peteraloisrumpf@gmail.com

3998 Das Londonbild

 



9:55 a.m.  Wie fast immer, wenn ich aufwache, muß ich ein wenig staunen, dass ich in einer Welt bin. Und muß mich erst ein wenig orientieren und daran erinnern, was bisher geschah. So verankere ich meinem an sich umherschweifenden Blick ein wenig an den vier Bildern oben unter dem Plafond: Malerwochen 1988 auf Cres, Malerwochen 1999 in Rettenschoess, das jährliche Schifahren früher mit den Kindern auf der Riesneralm vor zehn, fünfzehn, zwanzig Jahren (ich weiß nicht mehr, aus welchem Jahr das Foto stammt). Ich lasse die unmittelbare Welt meines Zimmers auf mich einwirken. Und wie fast immer – da sie zufällig im Zentrum meines Blickfeldes lehnt – bleibt mein Blick auch bei der frankophonen Schweizerin hängen, die ich verschwommen und – weil mein Bewußtsein schon wieder in die Träume abhauen will – größer werden und näher rücken sehe. Jetzt suche ich das Londonbild vom Kokoschka im Regal, wo es irgendwo lehnt (mein Bewußtsein will wieder hierher zurück), aber kann es nicht gleich finden (mein Bewußtsein ist noch nicht ganz da). Ich werde ganz aufgeregt davon und bin dann sehr erleichtert, als ich es entdeckt habe. Das alles vom Bett aus. Aber jetzt bin ich bereit, aufzustehen und in die Küche hinunter zu gehen, um mir ein Frühstück zu bereiten (die Tageskinder haben auch schon nach mir gerufen).


(11.3.2025)


Peter Alois Rumpf März 2025 peteraloisrumpf@gmail.com

3997 Kannitverstan

 



3:30 a.m.  Meine linke Hand hält ganz verkrampft das Notizbuch fest. Ich bewege nun Hand und Finger, um sie zu lockern. Ich halte außen und innen nach einer Geschichte Ausschau. Mein Kratzelbild ist auf einmal ein verschwommenes Gesicht. Schaut nicht gut aus. Entweder schon tot oder noch gequält. Oder eine verdreckte, beschädigte Totenmaske oder das Gesicht einer entstellten Mumie. Über meinem Kopf die weiße Möwe aus Holz. Die Wände wollen sprechen, aber können es nicht. Die Stille schreit mir in die Ohren. Das Kratzelbild hat sich wieder verändert: jetzt schwanken zwei fragwürdige Gestalten ratlos aus einem dunklen Tunnel durch den einem Glashaus ähnlichen Bereich auf die Glasfront am Ausgang zu; sie zögern und bleiben stehen. Sie schauen. Die Glasfront ist hell und die Glasdecke bunt und sie sind von dunklen Strukturen durchzogen, die die einzelnen Glasplatten unterschiedlicher Größen und Formen tragen. Eine stumpfe Stimme spricht zu leise auf Holländisch zu mir. Kannitverstan. Das antworte ich.


(11.3.2025)


Peter Alois Rumpf März 2025 peteraloisrumpf@gmail.com

Montag, 10. März 2025

3996 Mit kleinem Ball

 



12:18.  High Noon war ich noch auf der Straße. Nichts ist passiert. Keiner hat geschossen. Der Zenit ist überschritten. In den noch kahlen Büschen hängen noch Meisenkugeln. Ein kleiner Bub mit curcuma-ingwergelber Zipfelmütze geht mit seiner Mutter (? - ich weiß es ja nicht wirklich) vorbei. Er dürfte gerade erst gehen gelernt haben. Ein junges Paar (? - weiß ich auch nicht wirklich; jedenfalls sind es zwei Personen) spielt in der erst leicht angerünten Wiese mit einem kleinen Ball. Einige Mütter mit Kinderwagen. Ach ja: Campus, Hof 3. Auf meinem linken Zeigefinger entdecke ich eine kleine orange farbige Stelle, die sich auch mir Spucke nicht säubern läßt. Mit Karotten habe ich heute nichts gemacht, aber vielleicht war das die rote Frühstückspaprika? Zum Ballspiel der jungen Leute gehört ein Gestell mit einem gespannten, ein Dezimeter über dem Boden platziertem Plastiknetz, in das sie offensichtlich den Ball beim ersten Schlag reinhauen müssen, und der andere soll ihn dann, wenn er wieder hochgesprungen kommt, übernehmen und zurückschießen, wobei die Netzberührung nicht mehr vorgeschrieben ist. Geschlagen wird der kleine Ball mit der flachen Hand. Mehr ist mir nicht aufgefallen. Vielleicht ist er jedoch ein Coach? Er klingt bei seinen Ansagen ein wenig so. Ich gehe jetzt weiter, am Narrenturm vorbei.


(10.3.2025)


Peter Alois Rumpf März 2025 peteraloisrumpf@gmail.com

3995 Schönes Erwachen

 



10:03 a.m.  Schönes Erwachen. Dann ordne ich die „ausgelesenen“ Bücher vom Stapel neben dem Bett ins neue Regal im Musikzimmer ein. Vor meinem Therapietermin will ich noch in die Apotheke, aber irgendetwas vergesse ich. Mit dem Gang zur Apotheke war in meiner Planung gestern für heute noch eine zweite Erledigung verbunden, die mir nicht und nicht einfallen will. Ich strenge mein Gehirn an, aber vergeblich. Ich versuche es mit dem einen Schritt zurück, vergeblich. Ich versuche, meinen Geist abzulenken und zu beruhigen, indem ich auf die durch die Brillen gesehen so dezent und angenehm üppige frankophone Schweizerin starre, vergeblich. (Vielleicht frißt auch mir ein Wurm das Gehirn auf; da wäre ich in prominenter Gesellschaft! Naja, mir kommt es eher wie Versulzung vor. Wie auch immer.) Na gut, dann nicht. Dann gehe ich jetzt hinunter frühstücken.


(10.3.2025)


Peter Alois Rumpf März 2025 peteraloisrumpf@gmail.com

3994 Wie wird das werden

 



1:23 a.m.  Die Luft ist rein. So gut habe ich gelüftet. Ich schau ins Kratzelbild. Da fällt mir ein: Sturm Graz hat gewonnen! Ich schaue wieder ins Kratzelbild. Ich frage mich, wie wird das werden, wenn mein anderer kommt? Die Hälfte des Lebens ist längst vorbei und liegt schon ein halbes Leben zurück. Ich meine den anderen, der alles über mein Leben weiß, auch alles, was ich vergessen habe oder nicht wissen will, alles, was ich nicht mitbekommen und was ich übersehen habe, alles, wofür ich zu faul oder zu überfordert war, alles, was hätte sein können und alles, was besser nicht passieren hätte sollen. Alles. Wie wird das werden, wenn der kommt? Der sich an alle meine Wahrnehmungen und alle meine Träume erinnert: die der Tage und die der Nächte, der alle meine Gedanken abgespeichert hat, alle Regungen meines Herzens, der alle meine Handlungen kennt und alle Unterlassungen, der alle meine Ängste kennt und alle meine Hoffnungen, meine Irrtümer und meine „guten Taten“? Wie wird das werden?


(10.3.2025)


Peter Alois Rumpf März 2025 peteraloisrumpf@gmail.com

3993 Die Papierrolle

 



16:21.  „Ja, du hast recht gehabt, die Falterrolle ist viel schöner, seriöser und edler!“ sagte ich zu meiner Frau, nachdem ich mich eine gute Stunde früher darüber mokiert hatte, dass sie mir - wahrscheinlich schon längst – was mir aber bis heute nicht aufgefallen ist – die von mir am Fensterbrett im Badezimmer deponierte dicke Rolle aus Zeitungspapier – ich kann mich nicht erinnern, ob ich sie mit Klebeband umwickelt auch in ihrer runden Form stabilisiert hatte – wie ich es nachgewiesenermaßen bei anderen Papierrollen bei anderen Fenstern getan habe – weggeschmissen hat, weil angeblich staubig und verlurcht. Diese Rollen liegen an den Fenstern bereit, weil ich mit ihnen bei längerer Lüftung – wie es jetzt bei diesem warmen Wetter sinnvoll ist – den dann zwischen den zwei rechten Fensterflügeln eingeklemmten linken äußeren Flügel daran hindern will, bei jedem Luftzug oder Windstoß gegen den Griff des äußeren rechten Fensterflügels oder gegen die Rahmen der anderen fixierten Flügel zu schlagen. Ja, sie hat recht gehabt! Die Falterrolle hat mehr Niveau. Soll ich sie noch mit Tixo fixieren? Zahlt sich das aus?

Früher verwendete ich noch Holzstücke als Rollenkern. Eigentlich war es umgekehrt: zuerst habe ich ein Holzstück zwischen die Fensterflügel geklemmt, dann habe ich sie durch Umwickeln mit Zeitungspapier hinsichtlich ihrer dämpfenden Wirkung verbessert, geräuschärmer und insgesamt sicherer gemacht. Dann habe ich auf den Holzkern verzichtet und eine recht dicke Zeitungspapierrolle produziert. Apropos Rolle, Zeitung und produzieren – bei meinen Großeltern gab es nur alte, in handliche Größe zerschnittene Zeitungen als Klopapier - ich habe heute festgestellt, dass beim Scheißen (scheißen von der indogermanischen Wurzel *skei- lostrennen wie scheiden, Scheit, Scheitel (Stelle, wo sich die Haare trennen), scheitern (das Holzschiff, das in Holzscheiter zerfällt – alles nach Mackensen, Ursprung der Wörter) festgestellt, dass dies – bei entsprechender Materialproduktion und problemlosem Ablauf – durchaus ein Akt sein kann, der eine gewisse Befriedigung verschaffen kann; nicht wahr?


(9.3.2025)


©Peter Alois Rumpf März 2025 peteraloisrumpf@gmail.com

Freitag, 7. März 2025

3992 Spazihieren

 



15:44.  Die Donau – ihr Seitenarm – fließt und fließt und fließt; recht flott eigentlich (und uneigentlich? - der innere Spötter). Meine liebe Frau hat mich überredet mit ihr in die Sonne zu kommen und ich – in Erwartung einen Spaziergang zu machen (vergleiche: er heißt Peter und er geht so gern spazihieren und meine Art zu gehen ist zu machen einen Spaziergang) – habe zugestimmt. Dann hat sich herausgestellt: sie hat eine Decke mit und will lagern. Das habe ich nicht so gern, weil das ungestützte Hocken am Grund und Boden sehr gern auf mein Kreuz geht. Aber was macht eines nicht alles, damit jemand einmal in der Woche, am Wochenende, alle meine Texte der ganzen Woche liest (jetzt tut er wieder so arm! Dabei hat sie diese morgendlichen Wochenendlesungen im Bett nie in Frage gestellt und liebt sie auch! - der innere Korrektor!). Na gut, schreib ich hald (sic!) noch einen Text, der letzte – und die letzten sind beim Vorlesen immer die ersten am elektronischen Stapel – ist ja wirklich kein so guter Einstieg für ein Wochenendvergnügen. Also: die Donau fließt und fließt und fließt. Ein Saxophonspieler am anderen Ufer hat unter der Brücke (Resonanzraum!) zu spielen begonnen. Er (oder sie) übt dort wohl, obwohl ich ihn/sie nicht sehen kann, vermutlich hinter einem Pfeiler der Brückenkonstruktion versteckt. Ah! Er wechselt die Standorte – offensichtlich um die verschiedenen Akustiken auszuprobieren: nun sitzt er (oder doch sie?) ganz unauffällig und von den Farben der Kleidung her gut getarnt seitlich auf einem niederen Mäuerchen. Mehr kann ich im Gegenlicht und bei dem wasseroberflächlichen Geglitzer nicht sehen. Bei meinen aufgestellten Beinen rutschen ständig die Füße am Gras des kleinen Wiesenhanges ab. Schon angenehm, dass Schreiben keinen Lärm macht und dabei im Gegensatz zur Malerei kaum Aufbewahrungsprobleme auftauchen. Mir gefällt das saxophonische – und ich meine das nicht negativ! - Gejammer; es passt perfekt zu meiner Stimmung. Lesen, schreiben, essen tu ich in „der Natur“ nicht so gern; schnell fehlt mir dabei die gewünschte Intimität, die solipsistische Abgeschlossenheit und soziale Sicherheit. Außerdem habe ich immer den Verdacht, dass mir die Sonne meine tiefsinnigen, existenzialphilosophischen Gedanken und alltheologischen Fähigkeiten wegbrennt. Aber zur Not geht es schon und gottseidank gibt es jetzt noch keine nennenswerten Insekten. Schlimmstenfalls lege ich mein Schreibzeug weg.
Mir tut bereits vom harten Grund und Boden der Hintern weh und das Kreuz beginnt zu schmerzen. Polizeisirenen überheulen das Saxophon, das auch sofort abbricht. Und nach dem Vorbeirasen der alarmierten Autos wieder von neuem ansetzt. Ich kann so – ohne Anlehnen – nicht mehr länger sitzen. Das Kreuz tut schon richtig weh. Verdammt noch mal! Ich bin alt, alt, alt. Die frei improvisierte Saxophonmusik ist wirklich schön; ich höre da auch selbstironischen Humor heraus, oder?


(7.3.2025)


©Peter Alois Rumpf März 2025 peteraloisrumpf@gmail.com

3991 Auch

 



10:22 a.m.  Im Kaffeeamt. Viele Leute frühstücken hier. Ein Kellner spielt mit einem Hund einer Kundin. Den Falter hatte ich zum besseren Lesen aus seinem Holzgestell geschraubt. Die Schiffamtsgasse – so kommt mir vor – gibt beschreibungsmäßig nicht allzuviel her; das Gebäude gegenüber ist hässlich (ich habe nichts gegen architektonische Sachlichkeit; es ist nicht Dekoration, die mir hier abgeht). Die meisten Menschen sind paarweise hier. (Den kindergerechten zweiten Gastraum – eine wirklich segensreiche Einrichtung für Leute mit Kleinkindern, die sich hier unbefangen treffen können - habe ich nicht im Auge.) Farblich fallen im Ambiente die Orangenkörbe an der Budel auf; also nicht die Metallkörbe selbst, sondern die Orangen. Übrigens: den Falter habe ich heute am Freitag als Erster gelesen; ich habe es beim Umblättern an den noch in den Druckereilöchern verkeilten Seiten bemerkt. Trotz all dem weiß ich nicht, wo ich im offiziellen Leben hingehöre. Ich kann nicht hinschreiben, dass ich Schriftsteller bin, obwohl ich – so gott-oder-wer-oder-was-auch-immer-will – bald meinen viertausendsten Text geschrieben haben werde. Dabei sind die verlorenen, zerstörten Texte meiner Frühzeit gar nicht mitgezählt. Das kommt von der Überlagerung der zwei Begriffe von Kunst (& Co): erstens als kategorialer Begriff - Künstler, Schriftsteller, Musiker etc im Unterschied zu Tischler, Koch, Tagesmutter, Installateur, Krankenschwester etc, und zweitens Kunst als inhaltlicher Begriff: dass eine Tätigkeit - egal ob kochen, schreiben, malen, Kinder betreuen, tischlern etc in ihrer Ausführung und ihrem Ergebnis - sagen wir es pathetisch – die Unendlichkeit berührt und damit die Kultur einer Epoche von den unterschiedlichen Standorten aus ausrichtet und orientiert. Beim inhaltlichen Begriff Kunst gibt es eigentlich keine Künstler als Beruf, sondern bloß Schreiber, Maler, Installateure, Köche etc und -innen, die in einem, vielleicht auch nur einem einzigen Moment in ihrer Arbeit über die Beschränkungen und Kategorien der Alltagswelt hinausgelangt sind und diese „Berührung“ ihrem Werk „eingespeichert“ haben. Weil aber der inhaltliche Begriff und seine Aura in Sprachgebrauch und Bewußtsein auch beim kategorialen Begriff von Schriftsteller etc mitschwingen – weshalb ja die „Kunst“ von der Gesellschaft besonderen Schutz erwartet, ähnlich wie die religiösen Institutionen – und dabei wie die letzteren im Einzelfall nicht immer oder auch nur selten zu Recht – was nicht gegen einen solchen prinzipiellen Schutzstatus spricht, denn diese Ungewissheit und Unsicherheit ist auszuhalten – also wegen der Überlagerung der beiden Begriffe von Kunst traue ich mich meistens nicht, mich als Schriftsteller zu bezeichnen, weil es offen ist, ob mir – und wenn ja: in welchen Texten) dieser Hinausgriff auf die Unendlichkeit beziehungsweise das Zulassen deren Hereinstrahlens gelungen ist, obwohl ich viertausend Texte geschrieben habe. Vielleicht ist es mir leichter, zumindest den kategorialen Begriff Schriftsteller auf mich anzuwenden, wenn ich in die Grazer Autorinnen Autorenversammlung aufgenommen werde (mein Antrag vor zwei Jahren ist wegen der Schlamperei der Österreichischen Post beim letzten Aufnahmeverfahren im September 2023 nicht bearbeitet worden), denn ganz unwirksam und sinnlos sind solche Bestätigungen zumindest bei mir nicht. In etwa so wie eine Gesellenprüfung eines Tischlers zum Beispiel, auch wenn das unter Umständen auch nicht allzuviel über die tischlerischen Fähigkeiten des Probanden aussagt.


(7.3.2025)


©Peter Alois Rumpf März 2025 peteraloisrumpf@gmail.com

3990 Auf die harte Art

 



15:29.  Heute ist es viel wärmer als ich erwartete hatte. Ich mußte das so auf die harte Art lernen, weil ich wie zur Winterszeit gewohnt mit langer Unterhose und Pullover einkaufen gegangen bin (eingekauft habe ich Lupinienkaffee, Löwenzahnkaffee, Getreidekaffee, Kaffeegewürz und einen Packen Kopierpapier zum Ausdrucken meiner Texte). Also: dass es heute über 20°C hat, mußte ich – wie schon gesagt – auf die harte Art lernen; durch direkte Konfrontation mit der Wirklichkeit, direkt aus dem Leben heraus, ohne Vermittlung, ohne Warnhinweise! Gut, es ist nicht viel passiert, denn als ich dann wieder zu Hause war, habe ich zuerst mein blaues Sakko ausgezogen, dann den dicken dunklen Pullover, sowie meine Jeans (wobei es mich auch noch aus dem Gleichgewicht geschmissen und arschlings aufs Bett geschleudert hat), dann meine Socken, dann die lange weiße Unterhose (die ich immer über eine kurze, normale trage damit sie länger basicly brauchbar bleibt und ich sie dann nicht dauernd noch waschen muß, denn ich habe nur eine einzige unzerrissene); dann habe ich die Socken wieder angezogen, die Jeans darüber und das war’s.

Und als ich mich vor zwanzig Minuten in den Augarten zum verabredeten Platz begeben habe, haben mich zwei Schülerinnen – offensichtlich eine schulische Gruppenarbeit – angesprochen und gefragt, was ich von Autorität und ihrem Verschwinden halte. Ich habe – nach einigem Herumstottern – sinngemäß gesagt, dass ich Autorität und autoritär unterscheide und das Autoritäre verschwinden möge, aber zum umfassenden Ausführen des Gedankens bin ich nicht gekommen (er schwindelt ein wenig: ganz so ist es nicht abgelaufen; er versucht, sich wieder besser darzustellen als er es in echt in der Situation bei seinem Mangel an Schlagfertigkeit war – der innere Verräter).

Der dichte Wald an unbelaubten Bäumen, der sich aus meinem Blickwinkel quer durch den ganzen Augarten, wodurch im Abbild die Abstände zwischen den Baumreihen verloren gehen und alle Bäume mit ihren Ästen und Zweigen auf eine dichte, rötlich-braune Masse zusammengeschoben erscheinen, wenn eines länger hingafft, fast zum verstörenden Anblick werden kann. Das gelbliche Sonnenlicht darauf von rechts hat auch noch einen befremdenden Effekt. Das alles ist bei genauerer Betrachtung viel weniger vertraut, als eines annimmt. Und die vielen Menschen, die an diesem ersten wirklich warmen Tag ins Freie gepilgert sind.


(6.3.2025)


©Peter Alois Rumpf März 2025 peteraloisrumpf@gmail.com

Donnerstag, 6. März 2025

3989 Dahinter das Meer

 



9:14 a.m.  Wenn ich – so wie jetzt beim Hochziehen des Rollos – aus dem Fenster auf die weißen Wände des Lichtschachts und - wenn ich mich weit vorbeuge und meinen Kopf weit in den Nacken lege - auf das Stück blauen Himmels, und auf die Spiegelungen wieder der weißen Mauern und des blauen Himmels im Dachbodenfenster gegenüber einen Stock höher blicke, dann habe ich an sonnigen Tagen wie diesen den Eindruck: hinter diesen Mauern ist das Meer. Gleich dahinter.


(6.3.2025)


©Peter Alois Rumpf März 2025 peteraloisrumpf@gmail.com

3988 Käfer und Wurm

 



1:06 a.m.  Wie war das? Für’s Schlafen sind die Stunden der steigenden Sonne die besten? Die richtigen Wege zweigen oft von den falschen ab? Der frühe Vogel fängt den Wurm? Ich habe bloß einmal einen Holzwurm „gefangen“, gebraten und gegessen – das war aber am Nachmittag und nicht in der Früh. Wie der geschmeckt hat? Blöderweise hatte ich ihm nicht den Kopf und damit das daran hängende, mit Holzmehl gefüllte Gedärm abgezogen, aber ansonsten in etwa wie geröstete Kokosstücke. Ich glaube, das war meine einzige Schlachtung. Nein! Nicht ganz: einmal habe ich für einen Regenzauber ein paar lebende Käfer – aber als Ganzes – hinuntergeschluckt – also eigentlich eh nicht geschlachtet. Wahrscheinlich war ich bei dieser Zeremonie zu zögerlich, oder ich habe die falsche Käferart genommen – ganz so exakt wird meine Übertragung der indianisch-amerikanischen Bioverhältnisse auf die Wiener Umwelt auch nicht gewesen sein – denn es hat dann nur kurz zu tröpfeln begonnen. Ich habe das gemacht, weil wegen einer lange anhaltenden Trockenperiode der Dachgarten schon ganz dürr war und ich des ständigen Gießens müde mit der Wasserversorgung der Pflanzen nicht mehr nachgekommen bin. Noch dazu, wo ich befürchtete, dass die Benützung des Flachdaches und das Anlegen des Gartens illegal waren und bei offizieller Anfrage von der Hausverwaltung nicht erlaubt worden wären. Noch dazu wo das Dach dazu tendierte, undicht zu werden und wir ohne Blumentöpfe direkt in den Dach-Boden pflanzten beziehungsweise die karge, aber schon von selbst vorhandene Vegetation damit erst so richtig aufpäppelten. So habe ich diese Arbeiten immer heimlich und unbemerkt und nicht zu auffällig auszuführen versucht. Ja, das ist schon Jahrzehnte her, das waren die Käfer und der Wurm. Und sonst? Weiß nicht. Bin schon müde.


(6.3.2025)


©Peter Alois Rumpf März 2025 peteraloisrumpf@gmail.com

3987 Unrasiert

 



2:05 a.m.  Unrasiert hocke ich des Nachts im Bett; die Augen müde vom Lesen, das Herz aufgewühlt und der Geist wie geblendet, so dass er nur wenig versteht. Das Sirren und Surren besetzt mein Gehör, mein Kopf dröhnt von den Resonanzen (nein, ich habe nicht Kopfweh, sondern bloß einen Turban aus wellenlosem Schall – dieser ist nämlich nicht durch die Luft gekommen). Wieder das Nebelgefühl im Zimmer, ein Nebel vielleicht aus zurückgeworfenem, gestreutem Licht. Eine Kunstkartennackte steht heute – mit Brillen gesehen – so komisch da – ohne Brille schaut sie bildgemäßer aus. Mein Reich ist wirklich nicht von dieser Welt, mein inzwischen eingeschlafener Schreib-Arm schon.


(5.3.2025)


©Peter Alois Rumpf März 2025 peteraloisrumpf@gmail.com

Dienstag, 4. März 2025

3986 Wau wau

 



12:28.  Im Espresso Burggasse blicke ich direkt und gerade aus durch den Gastraum hindurch und durch das große Fenster hinaus auf den Gehsteig und den Schanigarten und die stark befahrene Burggasse und sehe einen jungen Mann mit einem Baby am Übergang zum Kleinkind „umgehängt“, wie ich das früher als gar nicht mehr so junger Vater auch gemacht habe. Einige Verwegene sitzen schon im Gastgarten - mein Handy sagt: 11°C – wo schon Frühlingsstimmung des sonnigen und relativ warmen Tages wegen aufkommt, aber es zum Sitzen im Freien schon noch recht kühl ist. Heute ist hier während meines Frühstückens viel los gewesen, zwei größere Gruppen junger Erwachsener waren hier, jetzt jedoch wird es leerer. Der relativ junge Mann (relativ zu mir sind die meisten Menschen jung) mit dem kleinen Kind sitzt nun herinnen beim Fenster und hat sein Kind vor sich auf den Tisch gesetzt und dieses schaut neugierig und aufgeweckt die Umgebung erkundend um sich und arbeitet mit seinen Händen wie im Versuch zu dirigieren, und als wir kurz Augenkontakt hatten, habe ich ihm aus meiner zirka drei oder vier Meter Entfernung in Nachahmung seiner Arm- und Handbewegungen zugewunken, was bei ihm so eine Art gestischen und mimischen Lachanfall ausgelöst hat.

Schöne, auseinandergezogene Soulmusik aus den Boxen. Cappuccino numero drei. Die Sonnenflecken auf den gegenüber liegenden Hausfassaden sind schon etwas weiter herunter gewandert, aber wie geht es jetzt weiter? Die Plexiglas(?)wände des Schanigartens zur Straße hin sind von Feuchtigkeit beschlagen und bilden so auch einen dezenten, aber dennoch durchscheinenden Sichtschutz. Der Mann links am Nebentisch ist mir nicht ganz geheuer. Ich winke dem kleinen Kind am Fensterplatz an der gegenüber liegenden Seite und es lächelt sofort. Und noch einmal. Jetzt hat es die Schnüre der Jalousie entdeckt und zieht und zupft eifrig daran. Ein Hund bellt und das Kind sagt: „wau wau!“ Neue Gäste kommen herein und schauen sich um und sind schon im hinteren Raum verschwunden. Der Mann links nebenan ißt Linsen und macht – so wirkt es auf mich – dabei eigenartiges und befremdliches Theater. Aber ich muß ja nicht alles verstehen. Jetzt reicht der Papa beim Fenster dem kleinen Kind, das noch kein Glas halten kann, Wasser aus seinem Glas zum Trinken (warum kommen mir jetzt Tränen?). Jetzt ruft das Kind mit strahlenden Augen seiner jungen Nachbarin am Nebentisch „A!!“ zu (das A sehr scharf und prägnant und nicht in die Länge gezogen). Jetzt krabbelt es am Boden, denn der Papa ist aufgestanden und rüstet sich zum Aufbruch. Aus den Boxen heult eine schwarze Stimme so schön „alone!“. Ich gehe noch aufs Klo, zahle dann (Geburtstagsgeschenk!) und werde nachher ebenfalls aufbrechen.


(4.3.2025)


©Peter Alois Rumpf März 2025 peteraloisrumpf@gmail.com

3985 Ecce Puer

 





9:43 a.m.  Mein Herz klopft vor Aufregung. Warum weiß ich nicht. Beim Hochziehen des Rollos (na gut! Meinetwegen! Halte ich mich heute hald (sic!) an das vorgeschriebene Geschlecht!) spüre ich schon eine feierlich leicht sakrale Stimmung. Aber wieso? Das frage ich, mich während mir auf einmal im vollbepackten Bücherregal eine dunkle Stelle – ein querliegendes dunkelblaues Buch ist tiefer in die Buchreihe hineingeschoben als die anderen – unheimlich wird. Das gibt es doch nicht! Welcher Film läuft da ab? Ich versuche mein Gemüt am Bild einer Medardo-Rosso-Skulptur rechts an der Wand zu beruhigen. Und dann bei einem näher hängenden Weiler. Ah! Jetzt geht ein tiefer Atemzug. Und noch einer. Was heckt da meine arme Seele aus? Zufällig fällt mein Blick auf die frankophone Schweizerin mitten am Regal. Ganz verschwommen nehme ich ihren ein wenig unsicheren, fast hilfesuchenden Blick wahr (aber der Maler hatte kein Erbarmen). Ist es das? (Le chapeau violet, 1907 von Felix Edouard Vallotton.) Hängen zu viele Abbilder von Erbarmungslosigkeit und was-weiß-ich-noch-was im Zimmer? Und welche Energien sind in all den Büchern gespeichert und was strahlen sie ab? Liege, hocke und lebe ich da mitten im Wahnsinn? Oder ist das einfach das Leben?

Ich wollte unbedingt herausfinden, welches Buch mich erschreckt hat und mußte dazu aufstehen und zum Bücherregal gehen: Michael Köhlmeier; Telemach.

Dann wollte ich herausfinden, welche Skulptur von Medardo Rosso das ist, die da als Abbild an der Wand hängt und mich ein wenig beruhigt hat, und weil ich die Kunstkarte an der Wand nicht umbiegen wollte, um die Angaben an der Rückseite zu lesen, bin ich ins Musikzimmer gegangen, wo mein neues Ausweichbücherregal steht, um im dort abgelegten Medardo-Rosso-Katalog nachzuschauen, habe jedoch in meiner Hektik und beim nervösen Herumblättern die Skulptur nicht gefunden, sodass ich dann doch auf mein Bett kraxeln und die Karte an der Wand umbiegen mußte: ecce puer (den ich immer für ein Mädchen gehalten habe).

Wie auch immer: durch dieses Suchen sind mein Geist angekurbelt und meine Kräfte aktiviert worden; ich bin jetzt für den Tag gerüstet und bereit. Auf ins Lieblingscafé! (Espresso Burggasse.)


(4.3.2025)


©Peter Alois Rumpf März 2025 peteraloisrumpf@gmail.com

3984 Spät nachts

 



2:10 a.m.  Jetzt schaut es aus, als würden spätnächtliche Nebel durchs wenig erleuchtete Zimmer ziehen. Und als würden manche Gegenstände auszufransen beginnen. Und es scheint ein unsichtbarer Druck durchs Zimmer zu schleichen – ich spüre ihn von außen an Gesicht und Gebiß.


(4.3.2025)


©Peter Alois Rumpf März 2025 peteraloisrumpf@gmail.com

3983 Wegbeamen

 



15:46.  Und nun sitze ich in der Gesundheitskassenzahnambulanz, mit dem Rücken zum Bildschirm dieses depperten „Gesundheitsfernsehens“, weil ich so etwas (gott-oder-wer-oder-was-auch-immer wenigstens ohne Ton) nicht vertragen kann (im Gegensatz zu Lichtspiegelungen). Ich starre auf das feine Muster des linken unteren Ärmels meines blauen Sakkos. Dann geht es schnell. Aufruf zur Behandlung.

16:14.  Im Behandlungsraum habe ich die Lüftungsschlitze, Feuermelder (?), deren beigeklebten Nummernpickerl an der Decke und die Lichter, Lampen und Lichteffekte plus die verschiedenfarblichen Nachbilder betrachtet und angegafft, während ich am Behandlungsstuhl liegend, beziehungsweise meine Zähne bearbeitet wurden. Fast konnte ich mich wegbeamen, aber nur fast. Ich freue mich aufs unpersönliche Universum (ha! ha! ha! - der innere Spötter).


3.3.2025


©Peter Alois Rumpf März 2025 peteraloisrumpf@gmail.com

3982 Spiegelungen

 



15:17.  Das polnische Institut und eines der frühneuzeitlichen Häuser werden mit schönen Lichtornamenten in Form einander überlappend gekreuzt gedrehter Lichtbänder (ich habe im Internet gesucht, ob ich unter den Maschendrahtzäunen irgendeine ähnliche Verknüpfungsstruktur finde, aber nein) und Ovalen und anderen, zum Teil in gebrochenem Licht, über irgendwelche für mich nicht nachvollziehbare Spiegelungen geschmückt.

[gute Gründe, warum der drohende Bethlemitische Kindermord nicht den anderen verraten werden sollen könnte: „Was?! Ihr redet so schlecht über unseren geliebten König Herodes!?“ (in Gedanken: ... diesen Verrat werde ich den Behörden melden!“). Oder: „Was spinnen die da zusammen! Wer denkt sich so etwas aus! Die müssen verrückt sein! Die gehören ins Irrenhaus!“] (Tut mit leid! So steht es im Notizbuch – der Tipper)

Spiegelungen, die sich mit der sinkenden Sonne verändern und an den Häuserfronten wandern. Und am Heimweg die herrlichen, optimistisch sonnenbeleuchteten Hausfassaden, zum Beispiel am Donaukanal, in weitverlaufenden Häuserreihen, die so ein tolles Stadtgefühl vermitteln.


(3.3.2025)


©Peter Alois Rumpf März 2025 peteraloisrumpf@gmail.com

Montag, 3. März 2025

3981 Im Sitzen

 



1:40 a.m.  Den Fehler, dass ich statt - zum Beispiel - in ich schreibe, mache ich oft. Und der ist verräterisch! Aber heute bin ich schon zu müde, mehr darüber zu notieren. Außerdem bin ich ja kein Notar.


7:48 a.m.  Als ich – aufgeweckt von Lärm in der Küche unten – mich nach dem Gang auf die Toilette wieder ins Bett gesetzt habe, bin ich – durch eine unerklärliche Bewegung – mit dem Hintern an die Leselampe gestoßen. Passiert ist nichts, gott-oder-wer-oder-was-auch-immer-sei-dank, aber das war in meinem einundsiebzigjährigen Leben das ersten Mal!
So, dieses Ereignis haben wir jetzt einmal festgehalten. Wer sagt, der spöttelt sich so durch den Tag, hat nicht ganz unrecht. Die Rollo (sic! Ich bleibe heute bei meiner inneren Grammatik und Sprechweise) (aber nur teilweise! Siehe hochgezogen ein paar Zentimeter weiter - der innere Spötter) habe ich schon hochgezogen und der helle, freundliche Morgen kann optisch herein und ich muß nicht die Leselampe als Schreiblampe aufdrehen. Acht Uhr: die Heizung gurgelt los. Die – noch – Kälte im Zimmer bringt mich zum husten (da bin ich jetzt grammatikalisch unsicher: zu husten klingt für mich im Moment falsch, und zum Husten … ich weiß nicht, schaut auch nicht gut aus). Ach ja, heute habe ich nicht nur meinen Psychotherapietermin, sondern auch einen bei der Zahnärztin. Wie mache ich das mit dem Essen und meinen Haushaltspflichten? Ich werde noch eine Runde schlafen; im Sitzen.


(3.3.2025)


©Peter Alois Rumpf März 2025 peteraloisrumpf@gmail.com

3980 Gern

 



0:52 a.m.  Der Rasierapparat schrillt und schreit gequält in meine Ohren, dass mir vor allem am linken hören vergeht. Beim Zähneputzen bin ich in eine - ich schätze - fast halbstündige Bürsttrance verfallen. Beim vorgebeugten Zehennägelschneiden habe ich wieder einmal mein Kreuz stärker gespürt. Es kann natürlich auch die Kälte sein, die meinem Kreuz zusetzt oder das lange Stehen in der Küche beim Zubereiten der Speisen für das Familienessen morgen (heute). Aber 19° C im Pyjama ist mir doch etwas kalt. Wozu schreibe ich das eigentlich auf? Naja, ich schreibe hald (sic!) gern! Formulieren macht mir Freude. Und selbst wenn ich an einem Tag nicht den Eindruck habe, dass mir ein wirklich guter Text gelungen ist, empfinde ich den Tag dennoch als einen halbwegs gelungenen. Meistens kritzel ich meine Texte wie nebenbei hin; ich weiß fast nie, was rauskommen wird. Ich habe selten einen Plan. Manchmal fällt mir ein Einstiegssatz ein, bevor ich mich zum Schreiben hinsetze oder hinknotze, oft starte ich ohne jede Idee. Ist das interessant? Ich weiß nicht. Ich schreibe hald (!) gern.


(1.3.2025)


©Peter Alois Rumpf März 2025 peteraloisrumpf@gmail.com