Wir gehen auf Mariae Empfängnis zu und ich amüsiere mich
immer über das anscheinend noch weit verbreitete Mißverständnis, die Katholiken
feiern – wenn sie überhaupt noch feiern und nicht shoppen gehen - an diesem Tag, dass Maria den Jesus empfangen
hat, während jedoch gefeiert wird, dass Joachim und Anna gevögelt und dabei die
Maria gezeugt haben. Das Besondere daran laut katholischer Lehre: sie haben sie
– im Gegensatz zur gesamten Menschheit seit der Vertreibung aus dem Paradies -
ohne Erbsünde gezeugt. Dass das ein Fest ist, das an einen „gelungenen“
Geschlechtsverkehr erinnern soll, geht dem katholisch-moralischen, dem
puritanisch-panischen und dem neoliberalen-kapitalistischen Geist – der die
gebrochene Sexualität zur Kompensation in den Konsum braucht - gegen den
Strich, deshalb müssen es die einen liturgisch und dogmenproduktiv etc
überhöhen, die anderen abschaffen.
Aber was hat es mit der Erbsündenlehre auf sich? Eine
katholische Rettung dieser moralisch entarteten Lehre möchte ich nicht und
würde mir auch nicht gelingen (außerdem bin ich viel zu faul und
resignationsversunken, unbezahlt jetzt alle Dokumente dazu durchzuarbeiten),
aber ich möchte ein paar Gedanken aufführen, welche Erkenntnisse über die
menschliche Konstitution dahinter stehen könnten, die es möglicherweise wert
sind, betrachtet zu werden.
Zum Beispiel die Tatsache, dass ein jedes Kind mit der
Belastung auf die Welt kommt, unter patriarchalischen und nicht freien
Bedingungen gezeugt worden zu sein, was wohl Auswirkungen auf Quantität und
Qualität seiner von den Eltern weitergegebenen Lebensenergie hat. Es gehören
alle Tatsachen der partiarchalischen Geschlechterverhältnisse –
Vergewaltigungen, Zwangsehen, männliche Dominanz und das damit den Frauen
verweigerte Selbstbestimmungsrecht auch in der Partnerwahl etc über das Erbe
der Vorfahren zur energetischen und genetischen Ausstattung des Kindes. Die
gesamte Vorfahrengeschichte gehört zu den Bedingungen der Existenz aller
Nachkommen. Unter anderen Bedingungen würden wir Heutigen gar nicht leben. Aber
das ist nicht der Kern der katholischen Erbsündenlehre.
Auch „meine“ Schamanen erzählen, dass die Menschheit lange
Zeit („Adam“ ist der Gattungsbegriff „Mensch“ und kein Name) - wie sie es
nennen – am „Platz des Stillen Wissen“ gelebt hat, wo ihr alles gelungen ist,
weil sie direkt – ohne Vermittlung über Theorien, Rituale etc – wie sie es
sagen: mit dem Stillen Wissen, dem „Abstrakten“ verbunden waren. In der Bibel:
die Menschen konnten mit Gott sprechen. Die biblischen Geschichten könnten doch
Erinnerungen der Menschheit an diese Phase zu artikulieren versuchen, wenn auch
durch den Verlust dieses Wissens und Überarbeitungen der Texte im Sinne
religiöser Theorien und Institutionen verdorben. Dann habe sich die Menschheit
– so erzählen „meine“ Schamanen – sich entschieden, den „Platz des Interesses“
aufzusuchen (wobei diese „Plätze“ eigentlich Positionen des Montagepunktes, an
dem die Wahrnehmung der Welt montiert wird, sind. Aber das näher zu erklären
führt mir hier zu weit). Dieser Platz der Interesses ist nicht mehr
gekennzeichnet durch die Verbundenheit mit Allem im Universum, sondern von
Dualität: ich – du, angenehm – unangenehm, Freund – Feind etc (biblisch: gut –
böse; der Baum, von dem Adam und Eva gegessen haben, war nicht einfach der Baum
der Erkenntnis, sondern der Baum der Erkenntnis von Gut und Böse! Vorher gabs
keine Dualität.) Und seitdem – könnte man jetzt sagen – gehört es zur Bedingung
der Existenz der Menschheit und jedes einzelnen Menschenwesen, das auf die Welt
kommt, dass die Vorfahren den Platz des Stillen Wissens verlassen und sich für
die Welt der Dualität entschieden haben.
„Meine“ Schamanen erzählen, dass jeder Mensch diesen Verlust
des Stillen Wissens spürt und unbewußt ahnt, dass in ihm noch unglaubliche
Möglichkeiten angelegt sind, er aber den Zugang dazu nicht findet. Sie sagen
auch, dass alle destruktiven Handlungen auf die Wut über diesen Verlust und das
Scheitern der Wiederanknüpfung zurückgehen, was immer als vordergründige und
offizielle Gründe behauptet wird. Und sie erzählen auch, dass Sexualität unter
diesen Bedingungen besonders gerne als Kompensation für den Verlust (biblisch:
des Paradieses) herhalten muß.
Und? Könnten ein Mann und eine Frau individuell die
Verbindung zum Stillen Wissen wieder hergestellt haben und im Stillen Wissen
ein Kind zeugen, dem sie dann nicht den Verlust des Stillen Wissens als Erbe
weitergegeben?
Man kann ja sagen, dass alle ernsthaften schamanischen
Bemühungen dazu dienen, die Verbindung zum Stillen Wissen, die auch jetzt und
heute nie zur Gänze abgerissen ist, wieder funktionstüchtig zu machen und ins
Leben zu integrieren (biblisch: zum Paradies zurückzufinden; oder: zu Gott;
wobei ich anmerken will, dass „meine“ Schamanen die Gottesvorstellung(en) für
sehr destruktiv halten – wenn ich sie richtig verstanden habe). Nachdem ich nur
ein Theoretiker und Grübler und Sinnierer, aber kein schamanischer Praktiker
bin, also kein Seher, kann ich das nicht wissen und beurteilen. Ich kann bloß
bekennen, dass ich es für möglich halte.
(2.12.2020)
©Peter Alois Rumpf Dezember 2020
peteraloisrumpf@gmail.com