80 Das Dogma der Unfehlbarkeit
Jetzt habe ich wieder einmal
schmerzlich miterleben dürfen, wie jungen Mädchen von einem
„kritischen“ Intellektuellen ihre religiösen Gefühle sehr
verletzt wurden. Re-ligare – zurückbinden an das, wo wir
herkommen, nämlich an die Unendlichkeit. Oder castanedrisch
ausgedrückt: Verbindung zum Unendlichen, Bindeglied zur Absicht.
Ein „kritischer“, aufgeklärter
junger Mann zieht in Anwesenheit der zwei ihn bewundernden jungen
Mädchen über die katholische Kirche her – das ist wirklich keine
große Kunst, erstens liefert die Kirche genügend Stoff und zweitens
traut sich das heute jeder Windlbrunzer – während das eine junge
Mädchen – sie hat gerade mit dem Firmunterricht begonnen – ihr
Verhältnis zu all dem erst herausfinden will. Das halten diese Typen
nicht aus, sie können die anderen nicht in Ruhe lassen und haben
einen Missionseifer und -zwang, der in Respektlosigkeit und
Kaltblütigkeit den katholischen weit in den Schatten stellt.
Kritisch immer gegen die anderen, nie
gegen sich selbst! Die päpstliche Unfehlbarkeitsanmaßung ist
wenigstens beschränkt und begrenzt auf ganz bestimmte Lehräußerungen
in ganz bestimmten Situationen; diese Intellektuellen aber sitzen
permanent auf dem Thron der Unfehlbarkeit und maßen sich an, von
dort ständig alles be- und verurteilen zu können, zu verdammen und
zu zerstören. Diese Unfehlbarkeit macht nie Pause; diese kritischen
Aufgeklärten brauchen nie verständnisvoll sein und kommen nie auf
die Idee, daß ihr Horizont äußerst beschränkt sein könnte; nicht
eine Sekunde der Gedanke, daß sie von anderen außerhalb ihrer
intellektuellen Glaubensgemeinschaft auch nur irgendetwas lernen
könnten. Als er merkt, daß das Mädchen weint – es ist
eingeschüchtert und traut sich fast nicht mehr sagen, daß es für
sie jetzt Zeit ist, in den Firmunterricht zu gehen - entschuldigt er
sich sinngemäß (nicht wörtlich) mit „manchmal vergesse ich, wie
jung ihr seid“ - aber gerade da kommt wieder der intellektuelle
Hochmut zum Vorschein, denn übersetzt heißt das: „Ach! Ihr seid
ja noch ein bißchen jung und dumm, aber wenn ihr größer seid,
werdet ihr auch so denken wie wir, denn wir haben die einzig wahre
Religion.“ Wieder kein Gedanke, daß er auch unrecht haben könnte
– er hat sich nur taktisch ein bißchen ungeschickt verhalten. Weit
und breit keine geistige Redlichkeit. Diese Ideologie beansprucht für
sich, die absolute Wahrheit gepachtet zu haben – auch wenn sie das
Gegenteil behauptet – im Vergleich dazu ist der katholische
Wahrheitsanspruch viel vorsichtiger, umsichtiger formuliert; er
anerkennt auch Wahrheit in anderen Religionen und Philosophien. Und
dort, wo er das Ankommen des Absoluten im Irdischen behauptet, ist er
sich viel mehr bewußt, wie ungeheuerlich und gewagt diese Behauptung
ist. Man vergleiche dazu Folgendes: Wenn eine Kirche geweiht wird, wo
ja gesagt wird, daß Gott dann dort anwesend ist, und somit, daß das
Absolute hier an diesem Ort, in dieser Zeit anwesend ist, so liest
sie immer einen Text vor, in dem Gott dem alttestamentarischen
Tempelbauer sagt (sinngemäß, nicht wörtlich): „Was glaubst du
eigentlich, du Würschtl!, daß du mir eine Wohnung bauen kannst? Ich
bin überall und wo ich will!“ Also in dem Moment, wo das Ankommen
des Absoluten an einem konkreten irdischen Punkt (oder in einer konkreten Aussage) behauptet wird, wird gleich der Text
vorgelesen, der dies radikal in Frage stellt. Gleich als Warnung. Zu
solcher Subtilität scheint mir die rationalistische
Glaubensgemeinschaft nicht fähig.
Da hat Wolfgang Döbereiner wirklich
recht: das Intellektuelle ist die steckengebliebene Aggression, man
tut neutral und sachlich, dahinter verbirgt sich Destruktivität und
Hass.
[Anmerkung
zu Döbereiner: Mit ihm habe ich eigentlich gebrochen. Ich war vor
langer Zeit bei ihm in der Beratung und nach diesem Crash, der sich
ganz still vollzogen hat, brauchte ich zwanzig Jahre, um allmählich
wieder selber denken und fühlen zu können und dem zu vertrauen, was
ich liebe. Für mich ist Döbereiner ein aufgeblasener Egomane voll
Hass. Aber!: wo er recht hat, hat er recht; was „Intellekt“ im
Gegensatz zu „Geist“ bedeutet, das habe ich von ihm gelernt, und
einiges mehr, und daß ich Texte schreibe, das geht auch auf ihn
zurück.]
Und
dann so Argumente, daß sich wegen dem Papst Aids verbreitet: den
promiskuitiven Herumvögler möchte ich sehen, der sich wegen dem
Papst keine Kondome verwenden traut!
Überhaupt
diese aufgeklärte Anmaßung, daß alle Menschen, Kulturen und Völker
vor uns und neben uns zurückgebliebene Idioten sind, stinkt schon
zum Himmel, weil da die eigene erbärmliche Existenz zum einzig
wahren Maßstab für alles gemacht wird. Wie sagt Don Juan Matus zu
Carlos Castaneda? „Der moderne Mensch habe das Reich des
Unbekannten und Geheimnisvollen verlassen und sich im Reich des
Funktionalen häuslich eingerichtet. Er habe der Welt der dunklen
Ahnungen und der jubelnden Freude den Rücken gekehrt und sich der
Welt der Langeweile zugewandt.“ (C.Castaneda, Das Feuer von innen;
Seite 149). Darum müssen sie sich auch ständig mit irgendwelchen
Medien ablenken, damit ihnen ihre innere Leere und Langeweile nicht
bewußt wird.
Wir sind umgeben von Unendlichkeit und Wundern. Es ist eine Kastration des Geistes, die diesen Intellekt hervorbringt, der sich dann nur in seiner Selbstbespiegelung suhlen kann (siehe C. Castaneda). Darum kann er auch nichts aushalten, was über ihn hinausweist – er muß es zerstören (bei Döbereiner nachzulesen).
Wir sind umgeben von Unendlichkeit und Wundern. Es ist eine Kastration des Geistes, die diesen Intellekt hervorbringt, der sich dann nur in seiner Selbstbespiegelung suhlen kann (siehe C. Castaneda). Darum kann er auch nichts aushalten, was über ihn hinausweist – er muß es zerstören (bei Döbereiner nachzulesen).
Es
ist schmerzlich anzuschauen, wie in der Seele eines jungen Mädchens,
das empfindsam und rücksichtsvoll ist – es würde nicht so leicht
etwas äußern, das jemanden verletzen könnte – wie in einer
solche Seele, die sich gerade ganz empfänglich und rein und
vorsichtig der Welt draußen zu öffnen beginnt, wie da so ein
intellektueller Unfehlbarkeitsterrorist herzlos herumtrampelt! Das
Mädchen hat dann viel geweint. Liberté,
Egalité, Brutalité –
(ich glaube, dies stammt von Grillparzer).
Und
diese Bombardement geht ja weiter: in der Schule, in den Medien und
und und.
Soweit
es mich betrifft: ich bin ja selber vor 40 Jahren in dieser
Intellektuellen-Suppe geschwommen, wie man ja auch an diesem Text und
anderen Texten hier und ihren Suppenflecken leicht erkennen kann;
also wenn mir das jetzt um die Ohren geknallt wird, geschieht's mir
schon recht. (Aber nicht den Mädchen!)
Drei
Tage später. Warum dieser Zorn? Ich hatte mir ja vorgenommen, keine
Polemiken mehr zu schreiben, keine verächtlich-machende Vokabel zu
benutzen, sondern nur mehr Texte aus der inneren Stille heraus zu
schreiben, oder zumindest in einem Zustand, der dieser nahe kommt, wo
es nicht mehr notwendig ist, umher- oder zurückschlagen? Hat sich
meine in Kindheit und Jugend diesbezüglich traumatisierte Seele Luft
verschaffen müssen und für sich endlich den Anspruch auf Zugang zum
Unendlichen – das natürliche Erbe des Menschen - behaupten trauen?
Mußte sie endlich einmal aussprechen, welchem meistens neutral,
„vernünftig“ und rational daherkommenden Hass sie ausgesetzt
war? Diese Sache hat mich ja so aufgeregt, daß ich eine ganze Nacht
nicht schlafen konnte und auch am folgenden Tag, als ich mich
erschöpft hinlegte, war an Schlafen nicht zu denken. Erst nachdem
ich obigen Text geschrieben hatte, konnte ich mich entspannen. Beim
Rekapitulieren bin ich in letzter Zeit immer wieder auf solche Szenen
meiner Kindheit und Jugend gestoßen und die haben anscheinend meine
Seele sehr aufgewühlt. Der junge Mann und das Mädchen haben sich
inzwischen ausgesprochen und anscheinend tut es ihm wirklich leid,
daß er sie verletzt hat. Ob er wirklich begriffen hat, was er getan
hat? Wird er beginnen, seine Ideologie in Frage zu stellen? Muß ich
mir sagen, daß ich mich in meiner Polemik auf das gleiche Niveau
begeben habe? (vgl. Auch Text Nr.62 hier in der Schublade). Also
genauso ideologisch-absolutistisch herumgewütet habe? (Und das nicht
nur in diesem Text). Jedenfalls habe ich dabei mehr meine eigene
Sache abgehandelt als die des Mädchen und jedenfalls habe ich noch
viel zu rekapitulieren, um den ganzen Mist wegzubekommen.
©Peter Rumpf 2013
peter_rumpf_at@yahoo.de