3850 Streetfighting Männele
12:30. Während aus den Boxen meines Lieblingscafés vorwiegend Hits aus meiner Jugend spielen – und diesmal vorwiegend die, die ich wirklich mochte - bin ich aufgewühlt von Berichten geflüchteter afghanischer Frauen, die ich gerade im Falter gelesen habe. Ich weiß, es ist sehr fragwürdig, eigentlich obszön und blasphemisch, diese Geschichten in meinem elendigen Selbstbeschreibungen und die meiner pseudautistischen Beobachtungen überhaupt zu erwähnen – weil ja auch die Tränen in meinen Augen zu narzisstischer Selbstbeweihräucherung und Überhöhung geraten können/werden/sind.
Ich bin nicht der einzige Schreibende hier – und ich meine die, die händisch auf Papier schreiben. Eigentlich wollte ich – seit neuestem ausgestattet mit der Bundesmuseumscard – ins Kunsthistorische Museum, aber überraschenderweise zögere ich immer, wenn ich das vorhabe, scheue regelrecht und gehe dann nicht hin. Warum das so ist, weiß ich nicht und ich habe noch keine Idee dazu (vielleicht weil das Kahaem seit Jahren aus Sparsamkeits- und Revierunsicherheitsgründen nicht mehr in dein Repertoire gehört und du es dir neu erobern mußt – der Tipper). Ich drehe mich mit meinen überschlagenen Beinen – auch dort findet ein Wechsel statt – von meiner bevorzugten linken Seite auf die rechte und schaue beim großen Fenster hinaus: auf den Schanigarten, die Platane und die vorbeifahrenden Autos der Burggasse, weniger allerdings auf die Hausfassaden, denn heute werden sie nicht durch strahlendes, gelbes Sonnenlicht hervorgehoben. Ich muß beim Herumschauen - vornehmlich herinnen im Café – etwas aufpassen – ich bin kein unsichtbarer Beobachter, sondern sitze mitten im – meinetwegen: am Rande des Geschehens und bin sichtbar und greifbar – das vergesse ich manchmal in meiner Scheinanwesenheit. Ich bin ja kein freischwebender Geist oder unberührbarer Traumkörper, sondern in einem irdischen Körper inkarniert, der zweifellos und vollständig dieser Welt der Dualität angehört und in ihren physikalischen, chemischen und sonstigen Prozessen involviert ist (also sag’s deutlich: man könnte dich wegen deiner Herumgafferei zur Rede stellen oder dir eine reinhauen - der innere Korrektor). Ich drehe mich wieder nach links und schlage das rechte Bein über das linke. Momentan habe ich das Gefühl, ich könnte hier bis an mein Lebensende sitzen bleiben, aber ich werde mich prognostisch nicht allzuweit aus dem Fenster lehnen, wenn ich behaupte, dass das nicht der Fall sein wird. Sicherheitshalber drehe ich meinen Kopf links über meine Schulter nach hinten, um zu schauen, ob ich etwas von den Plänen meines Todes erahnen kann – nicht dass er meine Behauptung Lügen straft und mich bloßstellt, indem er heute noch hier im Lokal zuschlägt. Street Fighting Man tönt es aus den Boxen. Ich bin nicht so ein Stones-Fan, wie es jetzt erscheinen könnte, aber damals waren sie schon vorne dabei, wiewohl ich die Cream - vorhin gespielt – auch damals höher gestellt haben würde (zumindest nach ein, zwei Jahren der Popleidenschaft) (oder Rock- das ist mir wurscht). Weil ich gerade eine sehe: ich könnte mir buntere, interessantere Jeans zulegen. Und Afghanistan? Das ist weit weg. Und die Reise des Bewußtseins ...darf überall … wie kann ich das vertretbar und glaubwürdig ausdrücken? … zu ihrem Recht kommen, ohne die grausamen Unterschiede zu verwischen. Oder?
Mein Englisch ist zu schlecht, um englischsprachige Zeitungen lesen, oder Songtexte verstehen, oder jemandem den Weg erklären zu können. Anders gesagt: ich kann gar nicht Englisch. Warum ich das herschreibe, weiß ich auch nicht. Im Lokal wird viel Englisch gesprochen, von Gästen und den KellnerInnen.
Jetzt langsam sagt mir meine innere Uhr, dass es Zeit zu gehen ist, aber nicht sosehr wegen irgendeines Termins, sondern einfach wegen des inneren Geschehens und Gleichgewichts.
Männele, es ist Zeit!
(6.11.2024)
©Peter Alois Rumpf November 2024 peteraloisrumpf@gmail.com