Mittwoch, 20. November 2024

3873 Überraschung!

 



10:25 a.m. Noch ohne Frühstück mache ich mich auf und fahre mit dem Lift zur U-Bahnstation hinunter. Die Halle ist leer und still und das ist schon befremdend. Plötzlich eine Lautsprecherdurchsage, ganz laut ist sie und richtig entrisch hallt sie in die Leere.

12:24. Auf der Suche nach einem Thema, zumindest nach einem Anfangssatz. Na gut: Ich bin sicher nicht der einzige Egozentriker, der es nicht merkt. Ach was! Nein! Nicht das schon wieder! Gut: Linkshänder und Rechtshänder und umgemodelte Linkshänder. Ein Thema? Jetzt nicht. Schaut nicht gut aus für diesen Text, dabei habe ich alles gut bereitet: Frühstück im Lieblingscafé, lange Zeitungslektüre, relativ ruhige Stimmung, genug Platz im Lokal (Musik: im Moment Percy Sledge), die Platane draußen hat noch gelb-braune, manchmal noch grüne Blätter. Ich glaub, ich bin gerade eher demütig (wenn das nur keine Selbsttäuschung ist! - der innere Spötter). Etwas stinkt. Bin ich das oder der Nachbar? Könnte auch sein betont männliches Parfüm sein – da hätten wir fast ein Thema! Aber nein, heute keine Lust dazu. Alle Kräfte im Universum heben sich auf. (Mit Blödsinn kannst auch keine Literatur generieren. Und was soll das überhaupt heißen? Aufheben in des Wortes dreifacher Bedeutung – du erinnerst dich? - der innere Spötter). Trinität? Fühle mich jetzt diesem brisanten Thema nicht gewachsen (Und sonst? - der innere Spötter). Ich sollte das Ganze eher als Pattstellung sowohl der inneren als auch der äußeren Impulse beschreiben (dann tu’s doch einfach! - der innere Kritiker) (Eine Überschrift ist keine Beschreibung – der innere Spötter.) Der Schmäh mit den verschiedenen Protagonisten des inneren Monologs war auch schon witziger und lustiger – der innere Spötter.

Überraschung! Zufällig kommt meine ältere Tochter ins Café. Ich lege das Schreibzeug weg.


(20.11.2024)


©Peter Alois Rumpf November 2024 peteraloisrumpf@gmail.com

3872 Entscheidungsexperiment

 



1:48 a.m. …… . Okay, dann nicht.

12:14. Manchmal gehe ich auf der Straße, diesmal aus einem Baumarkt, im Rucksack ist nur Kleinzeug, nicht schwer (kein Goldklumpen), und schreite fröhlich dahin und freue mich, und als ich an Hänschen klein denke, muß ich innerlich lachen. Ja, es macht mir nichts aus: Hänschen klein oder auch Hans im Glück, der Dolm: ich bin nichts und Wanderer durch die große, weite Welt (jetzt steigert er sich hinein: Wien, eine der sichersten Millionenstädte der Welt ist nicht die Welt; sein Kreuz grummelt nur so leicht vor sich (also hinter ihm) hin und gibt ziemlich Ruh, und er glaubt immer noch, das Leben vor sich zu haben! - der innere Spötter). Das, was der Spötter sagt, ist mir egal; ich genieße jetzt die Bewegung, die Schritte, das Vorankommen und das Dasein auf dieser Erde, die frische Luft, die Kälte – ich bin nicht sehr, aber warm genug angezogen – auch die graue Monotonie des nebelüberzogenen Herbsttages.

Nun aber bin ich in einem Café mit Ausblick auf belebte Gassen, Durchblick gar bis zum Karmelitermarkt. Der Linienbus plagt sich durch die enge, verparkte Gasse. Aber er schafft das. Schulkinder mit ihren schweren, bunten Schultaschen. Ich habe sogar eine Lampe auf dem Tisch bekommen und bin etwas unentschlossen, ob ich sie aufdrehen soll oder nicht; wie es geht habe ich schon herausgefunden, obwohl ich einige Zeit gebraucht habe, das Ding als Lampe zu erkennen. Ich habe sie jetzt aufgedreht (dieses Experiment, wo der/die ProbantIn entscheiden soll, ob er/sie zum Beispiel einen Gegenstand, der am Tisch liegt, so lassen will oder verschieben – die meisten verschieben, denn solange eines es läßt, ist immer noch die Möglichkeit, es zu verschieben, gegeben. Durchs Verschieben ist die Sache endgültig entschieden). Italienische Popmusik. Ich amüsiere mich wirklich an meinem inneren Monolog, den ich oft als Dialog ausgestalte: ich erkläre jemandem Ausgedachten oder jemand draußen Realen und hier herinnen dafür Okkupierten zum Beispiel die Etymologie und weite Reise von Tschüss vom spanischen Adios (soweit er die überhaupt korrekt wiedergeben kann; er kann sich ja in irgendwelche Theorien verlieben und ist dann nicht mehr bereit, sie aufzugeben – der innere Spötter) oder die dogmatisierten zwei Naturen Christi als Beschreibungsversuch des Verhältnisses des physischen Körpers zum Energiekörper, oder ist streite innen tapfer mit dem bajuwarischen Affenarsch (immer noch! - das ist doch schon 35 Jahre her! - der innere Kritiker). Manchmal artet es zu inneren Vorlesungen aus, allerdings sehr bruchstückhafte und nicht sehr stringente und konsequente und so weiter (und seine Zuhörer und Gegner kann er sich auch zurechtmachen – der innere Spötter). Oft bin ich dabei witzig und manchmal lustig und meine ZuhörerInnen lachen und freuen sich. Und ich mich auch.

Über die zwei großen Fenster übertragen bewegen sich Autos und PassantInnen durch mein neues Gesichtsfeld (ich sitze zum ersten Mal hier herinnen).

Ich betrachte noch das eine und das andere und werde wohl bald gehen.


(19.11.2024)


©Peter Alois Rumpf November 2024 peteraloisrumpf@gmail.com

Montag, 18. November 2024

3871 Das Krawattenstück

 



11:11 a.m. Im letzten Traum heute hatte ich in einer eher farbschwachen, grau-braunen Welt in einer Schublade eines Kleiderkastens herumgesucht. Offensichtlich ein verlassenes Haus, alles war ausgeräumt, nur mehr so Reste wie Teile von Kleiderbügel und Ähnliches lag am Boden herum und in den Kästen. Aber in dieser tiefen, großen Schublade lag die abgetrennte Spitze einer Krawatte - schon ein paar Zentimeter groß - und die war so bunt und farbig und glänzend, dass es sich völlig von seiner faden Umgebung abhob, wie ein Schmuckstück aus verschiedenen Edelsteinen – aber eben aus Stoff, aus wertvollem Stoff. Ich staune und staune und habe die Idee, dieses Stück aus der Lade zu nehmen und in meinem Zimmer zu den Kunstkarten und Kultgegenständen zu hängen, aber es kommt nicht mehr dazu. Jedenfalls ist nach dem Aufwachen das schöne Stück nicht da (er schwankt in seiner Deutung zwischen der Theorie, dass dieses Krawattenstück ein Scout der anorganischen Wesen war, der sich in seinem Traum bemerkbar machen wollte, worüber er sich absurderweise geehrt fühlen würde, und der Theorie, dass mit dieser tiefen, großen Schublade dieser sein Blog gemeint ist und das wertvolle Stück darin seine literarische Produktion – der innere Spötter). (Es könnten – so viel ich weiß – beide Theorien zutreffend sein: der anorganische Scout taucht auf und der Rest des Alltagbewußtsein, das beim Träumen noch wach ist, versucht den Scout, ein Klumpen fremdartiger Energie, so gut es geht in die vertraute Alltagswelt, zu der der Scout nicht gehört, einzukleiden und einzufügen und in das gerade traumaktive Psychodrama des Träumenden einzubauen – was jedoch wegen der fremden Energie nie ganz gelingen kann; darum strahlt er auch so heraus. Aber ich bin hier kein Wissender, sondern bloß eine Vermutender – der innere Kritiker.)

Jetzt jedoch schaue ich aus dem Musikzimmer auf den wolkigen Himmel (beim Aufstehen war er noch hoffnungsvoll blau mit einem grandiosen, scharfen, deutlichen und ganz weißen Kondensstreifen darin) und irgendwo unten von der Straße kommt Baulärm, der das stille Bild vorm Fenster Lügen straft. Ein dickes Insekt fliegt am Fenster vorbei. Die Wolken ziehen – ich würde sagen: nach Osten. Die Tageskinder singen fröhlich ihre eigenen Gesänge und Rufe.


(18.11.2024)


©Peter Alois Rumpf November 2024 peteraloisrumpf@gmail.com

3870 Tatz!

 



7:21 a.m. Der Morgen so grau wie meine Angst und mein elendes Gefühl. Gefahr besteht nicht; ich habe nur schlecht geträumt: von meiner elenden Substandard-Kellerwohnung und muß mich erst erholen. Mein Surren in den Ohren klingt noch ganz jenseitig. Mein Zimmer wirkt noch nicht so freundlich und bergend, weil es zu kalt ist. Ein wenig hilflos sucht mein Blick seine gewohnten Stationen auf, gleitet jedoch überall ab. Es bleibt mir nur die Bettdecke und … ich will jetzt nicht den Augen erlauben zuzufallen. Mein Geist wandert ins Wochenende zurück auf der Suche nach Wärme und Vertrautheit; oder nach einem Anknüpfungspunkt an meine Lebensgeschichte. Allmählich verliere ich den Kampf um die offenen Augen und den um meine Lebenserzählung habe ich noch nicht gewonnen. Ich weiß jedoch: die Zeit arbeitet für mich (ha, ha, ha! Tut sie das? - der innere Spötter). Ja, vielleicht schätze ich die Lage falsch ein. „Tatz!“ - das Wort höre ich drüben. Die Heizung springt an.


(18.11.2024)


©Peter Alois Rumpf November 2024 peteraloisrumpf@gmail.com

3869 Die Heizung

 



8:11 a.m.  Ist das die Heizung, die gerade angesprungen sein müßte, was ich da höre? Ist es überhaupt möglich, die aus dieser Entfernung zu hören? Bilde ich mir das Geräusch nur ein? Das frage ich mich heute nach dem Aufwachen. Nein, das ist etwas anderes, was ich da höre. Aber heizt die Heizung wirklich, wie ich sie programmiert habe? In letzter Zeit spinnt die auch (oder ich, weil ich die Programmierung nicht hinbekomme).

Es hat mir keine Ruhe gelassen: also bin ich aufgestanden und habe nachgeschaut: die Heizung heizt und das Geräusch kommt von ihr und klingt anders in der Nähe als weiter weg. Da ich schon aus dem Bett war, habe ich in beiden Stockwerken die Pflanzen gegossen, die täglich am Morgen einzunehmende Tablette eingenommen und zwei Rollen Klopapier hinuntergetragen und beim Klo abgelegt. Dann bin ich wieder ins Bett um – Wochenende! - daselbst zu frühstücken.




12:35.  Manchmal rede ich soviel, dass es nur so aus mir heraussprudelt. Innen ist gleich ein Alarm ausgelöst, aber es hilft nichts: ich kann mich nicht mehr einbremsen. Kaffee wird auch eine Rolle spielen, aber gar nicht die entscheidende; die Stimmung ist umfassender. So werde ich stehenden Auges (oder heißt das sehenden Auges?) zum Quasselkasper aus Wasserburg, anstatt ein tiefsinniger, schweigsamer Philosoph zu bleiben (bleiben ist gut! - der innere Spötter). Tiefsinniger, ernsthafter und schweigsamer Philosoph – das wäre ich gerne, denn das ist so ein Selbstbild, dass ich vor mir hertrage – innen – aber sowieso hint’ und vorn nicht stimmt. Was ich weiß, aber nicht wahrhaben will. Als Quasselkasper jedoch kann ich mir den Philosophen nicht mehr vormachen. So weit so, wie es ist.

Das Blau des Himmels ist wunderschön.


(17.11.2024)


©Peter Alois Rumpf November 2024 peteraloisrumpf@gmail.com

3868 Haltestellen

 



12:30. Hinter der Bushaltestelle liegen Blätter am Asphalt und ihre Schatten sind so betörend.

15:15. Und in Oberdöbling steht die Sonne so tief, und still, und die Autos fahr’n so lästig vorbei. Und die Hausfassaden leuchten oben so schön und die Schwermut schleicht schon herbei.

17:02. Die Schwermut soll ruhig kommen; ich fürchte mich nicht. Ich grüße sie freundlich und lächle sie an, wir kennen uns schon so lang; sie würde mir fehlen, erschiene sie gar nicht mehr.


(16.11.2024)


©Peter Alois Rumpf November 2024 peteraloisrumpf@gmail.com

Freitag, 15. November 2024

3867 Die Dinge der Welt

 



12:04. Im Musikzimmer am Schreibtisch vorm Fenster - mein neuer, zusätzlicher Arbeitsplatz - blicke ich auf die Spinnweben zwischen Heizkörper und Unterseite des überragenden Fensterbretts. Es gefällt mir hier im hellen, großen Raum und am leeren Schreibtisch - nur eine Lampe und eine Sternenkarte befinden sich darauf – und wenn ich durchs Fenster schaue, sehe ich die Wolken dahinziehen und höre nicht allzu laut und nicht allzu nah die Geräusche der Stadt. Ich überlege, ob ich demnächst die Kraft aufbringen werde, das Fenster zu putzen und ob das überhaupt notwendig ist (er glaubt, nur eine ordentliche finanzielle Besserstellung könnte seine Not wenden, der Dolm! - der innere Spötter). Ein Staubwutzel rutscht auf meinem Pilotstift den Schaft hinunter und bleibt bei meiner Schreibhand hängen. Ich aber zupfe ihn weg und schmeiße ihn zu Boden. Ich bin nicht immer so grausam mit den Dingen der Welt, mit denen ich ja auch zu sprechen pflege. Und wirklich: noch ein Staubwutzerl, deutlich kleiner, fällt vom Pilotstift aufs Papier; wieder wische ich es weg; und ebenso verfahre ich mit dem noch kleineren, das ich auf der aufgeschlagenen Notizbuchseite entdecke. Die Wolken am Himmel verdichten sich und wie ich sie anstarre, habe ich die Wahrnehmung, sie würden sich ruckartig weiterbewegen, nicht im Flow – sozusagen der Film in die einzelnen Bilder aufgelöst. Ein wenig kann ich diesen Effekt steuern, aber dennoch erhebt sich die Frage (Phrasenalarm! - der innere Spötter), ob meine Bildverarbeitung im Gehirn noch richtig funktioniert. Das Spinnennetz schwingt in der Aufwärme des jetzt stärker aufgedrehten Heizkörpers in eleganten Bewegungen. In den Fenstern der gegenüber stehenden Häuser sind die Dinge nur schemenhaft zu sehen. Die Wolkenschicht wird heller und es reißt sogar zu einzelnen kleinen blauen Stellen auf. Eine Taube gleitet schön, schnell und wahrlich elegant am Rande durch mein Gesichtsfeld. Ich will meine Gedanken sortieren um endlich zum Thema zu kommen, das ich zu bearbeiten vorhatte, aber es ist weg. Ich bekomme es nicht zu fassen. Ich schneuze mich, weil meine Nase rinnt, und wie immer in solchen Situationen, hilft das Schneuzen nicht viel, nur kurzfristig, weil die Nase weiterhin rinnt. Was wollte ich schreiben? Von den Künstlern um 1913? Den Dingen der Welt? Ja, aber was? Ich probiere wieder den Wolken-Ruck-Effekt aus und ja, nach ein bißchen Übung funktioniert er noch, während gleichzeitig Trübungen an meiner Netzhaut hinunter laufen. Am Haus dort drüben flattert die stoffliche Zierleiste an der eingezogenen Markise am Balkon hoch oben im Wind, während sich im Fenster daneben ein schwankender Zweig eines Bäumchens spiegelt. Es wird noch heller. Ja die Dinge, mit denen ich spreche: ich habe mich heute Morgen wirklich gefreut, als ich eine saubere, nicht zerschlissene, lange Unterhose in meinem chaotischen Wäschefach gefunden habe – ich hatte nur eine vage Idee im Hinterkopf, dass ich schon eine gekauft habe und also noch da sein sollte („Ah, da bist du ja! Entschuldige, dass ich dich fast vergessen und bisher vernachlässigt habe! Und danke Universum!“ - der innere Spötter). Mir ist nämlich ständig kalt, auch in der Wohnung. Ich erhebe mich vom Sessel (österreichischer Sprachgebrauch!) und strecke mich und kann auf den kleinen Platz hinunter schauen. Die geschmack- und gedankenlosen Ornamente auf den Häusern aus dem 19. Jahrhundert können einem schon auf die Nerven gehen (diesen Satz habe ich erdacht und hingeschrieben, nachdem ich mich wieder gesetzt hatte).


(15.11.2024)


©Peter Alois Rumpf November 2024 peteraloisrumpf@gmail.com