Montag, 10. März 2025

3996 Mit kleinem Ball

 



12:18.  High Noon war ich noch auf der Straße. Nichts ist passiert. Keiner hat geschossen. Der Zenit ist überschritten. In den noch kahlen Büschen hängen noch Meisenkugeln. Ein kleiner Bub mit curcuma-ingwergelber Zipfelmütze geht mit seiner Mutter (? - ich weiß es ja nicht wirklich) vorbei. Er dürfte gerade erst gehen gelernt haben. Ein junges Paar (? - weiß ich auch nicht wirklich; jedenfalls sind es zwei Personen) spielt in der erst leicht angerünten Wiese mit einem kleinen Ball. Einige Mütter mit Kinderwagen. Ach ja: Campus, Hof 3. Auf meinem linken Zeigefinger entdecke ich eine kleine orange farbige Stelle, die sich auch mir Spucke nicht säubern läßt. Mit Karotten habe ich heute nichts gemacht, aber vielleicht war das die rote Frühstückspaprika? Zum Ballspiel der jungen Leute gehört ein Gestell mit einem gespannten, ein Dezimeter über dem Boden platziertem Plastiknetz, in das sie offensichtlich den Ball beim ersten Schlag reinhauen müssen, und der andere soll ihn dann, wenn er wieder hochgesprungen kommt, übernehmen und zurückschießen, wobei die Netzberührung nicht mehr vorgeschrieben ist. Geschlagen wird der kleine Ball mit der flachen Hand. Mehr ist mir nicht aufgefallen. Vielleicht ist er jedoch ein Coach? Er klingt bei seinen Ansagen ein wenig so. Ich gehe jetzt weiter, am Narrenturm vorbei.


(10.3.2025)


Peter Alois Rumpf März 2025 peteraloisrumpf@gmail.com

3995 Schönes Erwachen

 



10:03 a.m.  Schönes Erwachen. Dann ordne ich die „ausgelesenen“ Bücher vom Stapel neben dem Bett ins neue Regal im Musikzimmer ein. Vor meinem Therapietermin will ich noch in die Apotheke, aber irgendetwas vergesse ich. Mit dem Gang zur Apotheke war in meiner Planung gestern für heute noch eine zweite Erledigung verbunden, die mir nicht und nicht einfallen will. Ich strenge mein Gehirn an, aber vergeblich. Ich versuche es mit dem einen Schritt zurück, vergeblich. Ich versuche, meinen Geist abzulenken und zu beruhigen, indem ich auf die durch die Brillen gesehen so dezent und angenehm üppige frankophone Schweizerin starre, vergeblich. (Vielleicht frißt auch mir ein Wurm das Gehirn auf; da wäre ich in prominenter Gesellschaft! Naja, mir kommt es eher wie Versulzung vor. Wie auch immer.) Na gut, dann nicht. Dann gehe ich jetzt hinunter frühstücken.


(10.3.2025)


Peter Alois Rumpf März 2025 peteraloisrumpf@gmail.com

3994 Wie wird das werden

 



1:23 a.m.  Die Luft ist rein. So gut habe ich gelüftet. Ich schau ins Kratzelbild. Da fällt mir ein: Sturm Graz hat gewonnen! Ich schaue wieder ins Kratzelbild. Ich frage mich, wie wird das werden, wenn mein anderer kommt? Die Hälfte des Lebens ist längst vorbei und liegt schon ein halbes Leben zurück. Ich meine den anderen, der alles über mein Leben weiß, auch alles, was ich vergessen habe oder nicht wissen will, alles, was ich nicht mitbekommen und was ich übersehen habe, alles, wofür ich zu faul oder zu überfordert war, alles, was hätte sein können und alles, was besser nicht passieren hätte sollen. Alles. Wie wird das werden, wenn der kommt? Der sich an alle meine Wahrnehmungen und alle meine Träume erinnert: die der Tage und die der Nächte, der alle meine Gedanken abgespeichert hat, alle Regungen meines Herzens, der alle meine Handlungen kennt und alle Unterlassungen, der alle meine Ängste kennt und alle meine Hoffnungen, meine Irrtümer und meine „guten Taten“? Wie wird das werden?


(10.3.2025)


Peter Alois Rumpf März 2025 peteraloisrumpf@gmail.com

3993 Die Papierrolle

 



16:21.  „Ja, du hast recht gehabt, die Falterrolle ist viel schöner, seriöser und edler!“ sagte ich zu meiner Frau, nachdem ich mich eine gute Stunde früher darüber mokiert hatte, dass sie mir - wahrscheinlich schon längst – was mir aber bis heute nicht aufgefallen ist – die von mir am Fensterbrett im Badezimmer deponierte dicke Rolle aus Zeitungspapier – ich kann mich nicht erinnern, ob ich sie mit Klebeband umwickelt auch in ihrer runden Form stabilisiert hatte – wie ich es nachgewiesenermaßen bei anderen Papierrollen bei anderen Fenstern getan habe – weggeschmissen hat, weil angeblich staubig und verlurcht. Diese Rollen liegen an den Fenstern bereit, weil ich mit ihnen bei längerer Lüftung – wie es jetzt bei diesem warmen Wetter sinnvoll ist – den dann zwischen den zwei rechten Fensterflügeln eingeklemmten linken äußeren Flügel daran hindern will, bei jedem Luftzug oder Windstoß gegen den Griff des äußeren rechten Fensterflügels oder gegen die Rahmen der anderen fixierten Flügel zu schlagen. Ja, sie hat recht gehabt! Die Falterrolle hat mehr Niveau. Soll ich sie noch mit Tixo fixieren? Zahlt sich das aus?

Früher verwendete ich noch Holzstücke als Rollenkern. Eigentlich war es umgekehrt: zuerst habe ich ein Holzstück zwischen die Fensterflügel geklemmt, dann habe ich sie durch Umwickeln mit Zeitungspapier hinsichtlich ihrer dämpfenden Wirkung verbessert, geräuschärmer und insgesamt sicherer gemacht. Dann habe ich auf den Holzkern verzichtet und eine recht dicke Zeitungspapierrolle produziert. Apropos Rolle, Zeitung und produzieren – bei meinen Großeltern gab es nur alte, in handliche Größe zerschnittene Zeitungen als Klopapier - ich habe heute festgestellt, dass beim Scheißen (scheißen von der indogermanischen Wurzel *skei- lostrennen wie scheiden, Scheit, Scheitel (Stelle, wo sich die Haare trennen), scheitern (das Holzschiff, das in Holzscheiter zerfällt – alles nach Mackensen, Ursprung der Wörter) festgestellt, dass dies – bei entsprechender Materialproduktion und problemlosem Ablauf – durchaus ein Akt sein kann, der eine gewisse Befriedigung verschaffen kann; nicht wahr?


(9.3.2025)


©Peter Alois Rumpf März 2025 peteraloisrumpf@gmail.com

Freitag, 7. März 2025

3992 Spazihieren

 



15:44.  Die Donau – ihr Seitenarm – fließt und fließt und fließt; recht flott eigentlich (und uneigentlich? - der innere Spötter). Meine liebe Frau hat mich überredet mit ihr in die Sonne zu kommen und ich – in Erwartung einen Spaziergang zu machen (vergleiche: er heißt Peter und er geht so gern spazihieren und meine Art zu gehen ist zu machen einen Spaziergang) – habe zugestimmt. Dann hat sich herausgestellt: sie hat eine Decke mit und will lagern. Das habe ich nicht so gern, weil das ungestützte Hocken am Grund und Boden sehr gern auf mein Kreuz geht. Aber was macht eines nicht alles, damit jemand einmal in der Woche, am Wochenende, alle meine Texte der ganzen Woche liest (jetzt tut er wieder so arm! Dabei hat sie diese morgendlichen Wochenendlesungen im Bett nie in Frage gestellt und liebt sie auch! - der innere Korrektor!). Na gut, schreib ich hald (sic!) noch einen Text, der letzte – und die letzten sind beim Vorlesen immer die ersten am elektronischen Stapel – ist ja wirklich kein so guter Einstieg für ein Wochenendvergnügen. Also: die Donau fließt und fließt und fließt. Ein Saxophonspieler am anderen Ufer hat unter der Brücke (Resonanzraum!) zu spielen begonnen. Er (oder sie) übt dort wohl, obwohl ich ihn/sie nicht sehen kann, vermutlich hinter einem Pfeiler der Brückenkonstruktion versteckt. Ah! Er wechselt die Standorte – offensichtlich um die verschiedenen Akustiken auszuprobieren: nun sitzt er (oder doch sie?) ganz unauffällig und von den Farben der Kleidung her gut getarnt seitlich auf einem niederen Mäuerchen. Mehr kann ich im Gegenlicht und bei dem wasseroberflächlichen Geglitzer nicht sehen. Bei meinen aufgestellten Beinen rutschen ständig die Füße am Gras des kleinen Wiesenhanges ab. Schon angenehm, dass Schreiben keinen Lärm macht und dabei im Gegensatz zur Malerei kaum Aufbewahrungsprobleme auftauchen. Mir gefällt das saxophonische – und ich meine das nicht negativ! - Gejammer; es passt perfekt zu meiner Stimmung. Lesen, schreiben, essen tu ich in „der Natur“ nicht so gern; schnell fehlt mir dabei die gewünschte Intimität, die solipsistische Abgeschlossenheit und soziale Sicherheit. Außerdem habe ich immer den Verdacht, dass mir die Sonne meine tiefsinnigen, existenzialphilosophischen Gedanken und alltheologischen Fähigkeiten wegbrennt. Aber zur Not geht es schon und gottseidank gibt es jetzt noch keine nennenswerten Insekten. Schlimmstenfalls lege ich mein Schreibzeug weg.
Mir tut bereits vom harten Grund und Boden der Hintern weh und das Kreuz beginnt zu schmerzen. Polizeisirenen überheulen das Saxophon, das auch sofort abbricht. Und nach dem Vorbeirasen der alarmierten Autos wieder von neuem ansetzt. Ich kann so – ohne Anlehnen – nicht mehr länger sitzen. Das Kreuz tut schon richtig weh. Verdammt noch mal! Ich bin alt, alt, alt. Die frei improvisierte Saxophonmusik ist wirklich schön; ich höre da auch selbstironischen Humor heraus, oder?


(7.3.2025)


©Peter Alois Rumpf März 2025 peteraloisrumpf@gmail.com

3991 Auch

 



10:22 a.m.  Im Kaffeeamt. Viele Leute frühstücken hier. Ein Kellner spielt mit einem Hund einer Kundin. Den Falter hatte ich zum besseren Lesen aus seinem Holzgestell geschraubt. Die Schiffamtsgasse – so kommt mir vor – gibt beschreibungsmäßig nicht allzuviel her; das Gebäude gegenüber ist hässlich (ich habe nichts gegen architektonische Sachlichkeit; es ist nicht Dekoration, die mir hier abgeht). Die meisten Menschen sind paarweise hier. (Den kindergerechten zweiten Gastraum – eine wirklich segensreiche Einrichtung für Leute mit Kleinkindern, die sich hier unbefangen treffen können - habe ich nicht im Auge.) Farblich fallen im Ambiente die Orangenkörbe an der Budel auf; also nicht die Metallkörbe selbst, sondern die Orangen. Übrigens: den Falter habe ich heute am Freitag als Erster gelesen; ich habe es beim Umblättern an den noch in den Druckereilöchern verkeilten Seiten bemerkt. Trotz all dem weiß ich nicht, wo ich im offiziellen Leben hingehöre. Ich kann nicht hinschreiben, dass ich Schriftsteller bin, obwohl ich – so gott-oder-wer-oder-was-auch-immer-will – bald meinen viertausendsten Text geschrieben haben werde. Dabei sind die verlorenen, zerstörten Texte meiner Frühzeit gar nicht mitgezählt. Das kommt von der Überlagerung der zwei Begriffe von Kunst (& Co): erstens als kategorialer Begriff - Künstler, Schriftsteller, Musiker etc im Unterschied zu Tischler, Koch, Tagesmutter, Installateur, Krankenschwester etc, und zweitens Kunst als inhaltlicher Begriff: dass eine Tätigkeit - egal ob kochen, schreiben, malen, Kinder betreuen, tischlern etc in ihrer Ausführung und ihrem Ergebnis - sagen wir es pathetisch – die Unendlichkeit berührt und damit die Kultur einer Epoche von den unterschiedlichen Standorten aus ausrichtet und orientiert. Beim inhaltlichen Begriff Kunst gibt es eigentlich keine Künstler als Beruf, sondern bloß Schreiber, Maler, Installateure, Köche etc und -innen, die in einem, vielleicht auch nur einem einzigen Moment in ihrer Arbeit über die Beschränkungen und Kategorien der Alltagswelt hinausgelangt sind und diese „Berührung“ ihrem Werk „eingespeichert“ haben. Weil aber der inhaltliche Begriff und seine Aura in Sprachgebrauch und Bewußtsein auch beim kategorialen Begriff von Schriftsteller etc mitschwingen – weshalb ja die „Kunst“ von der Gesellschaft besonderen Schutz erwartet, ähnlich wie die religiösen Institutionen – und dabei wie die letzteren im Einzelfall nicht immer oder auch nur selten zu Recht – was nicht gegen einen solchen prinzipiellen Schutzstatus spricht, denn diese Ungewissheit und Unsicherheit ist auszuhalten – also wegen der Überlagerung der beiden Begriffe von Kunst traue ich mich meistens nicht, mich als Schriftsteller zu bezeichnen, weil es offen ist, ob mir – und wenn ja: in welchen Texten) dieser Hinausgriff auf die Unendlichkeit beziehungsweise das Zulassen deren Hereinstrahlens gelungen ist, obwohl ich viertausend Texte geschrieben habe. Vielleicht ist es mir leichter, zumindest den kategorialen Begriff Schriftsteller auf mich anzuwenden, wenn ich in die Grazer Autorinnen Autorenversammlung aufgenommen werde (mein Antrag vor zwei Jahren ist wegen der Schlamperei der Österreichischen Post beim letzten Aufnahmeverfahren im September 2023 nicht bearbeitet worden), denn ganz unwirksam und sinnlos sind solche Bestätigungen zumindest bei mir nicht. In etwa so wie eine Gesellenprüfung eines Tischlers zum Beispiel, auch wenn das unter Umständen auch nicht allzuviel über die tischlerischen Fähigkeiten des Probanden aussagt.


(7.3.2025)


©Peter Alois Rumpf März 2025 peteraloisrumpf@gmail.com

3990 Auf die harte Art

 



15:29.  Heute ist es viel wärmer als ich erwartete hatte. Ich mußte das so auf die harte Art lernen, weil ich wie zur Winterszeit gewohnt mit langer Unterhose und Pullover einkaufen gegangen bin (eingekauft habe ich Lupinienkaffee, Löwenzahnkaffee, Getreidekaffee, Kaffeegewürz und einen Packen Kopierpapier zum Ausdrucken meiner Texte). Also: dass es heute über 20°C hat, mußte ich – wie schon gesagt – auf die harte Art lernen; durch direkte Konfrontation mit der Wirklichkeit, direkt aus dem Leben heraus, ohne Vermittlung, ohne Warnhinweise! Gut, es ist nicht viel passiert, denn als ich dann wieder zu Hause war, habe ich zuerst mein blaues Sakko ausgezogen, dann den dicken dunklen Pullover, sowie meine Jeans (wobei es mich auch noch aus dem Gleichgewicht geschmissen und arschlings aufs Bett geschleudert hat), dann meine Socken, dann die lange weiße Unterhose (die ich immer über eine kurze, normale trage damit sie länger basicly brauchbar bleibt und ich sie dann nicht dauernd noch waschen muß, denn ich habe nur eine einzige unzerrissene); dann habe ich die Socken wieder angezogen, die Jeans darüber und das war’s.

Und als ich mich vor zwanzig Minuten in den Augarten zum verabredeten Platz begeben habe, haben mich zwei Schülerinnen – offensichtlich eine schulische Gruppenarbeit – angesprochen und gefragt, was ich von Autorität und ihrem Verschwinden halte. Ich habe – nach einigem Herumstottern – sinngemäß gesagt, dass ich Autorität und autoritär unterscheide und das Autoritäre verschwinden möge, aber zum umfassenden Ausführen des Gedankens bin ich nicht gekommen (er schwindelt ein wenig: ganz so ist es nicht abgelaufen; er versucht, sich wieder besser darzustellen als er es in echt in der Situation bei seinem Mangel an Schlagfertigkeit war – der innere Verräter).

Der dichte Wald an unbelaubten Bäumen, der sich aus meinem Blickwinkel quer durch den ganzen Augarten, wodurch im Abbild die Abstände zwischen den Baumreihen verloren gehen und alle Bäume mit ihren Ästen und Zweigen auf eine dichte, rötlich-braune Masse zusammengeschoben erscheinen, wenn eines länger hingafft, fast zum verstörenden Anblick werden kann. Das gelbliche Sonnenlicht darauf von rechts hat auch noch einen befremdenden Effekt. Das alles ist bei genauerer Betrachtung viel weniger vertraut, als eines annimmt. Und die vielen Menschen, die an diesem ersten wirklich warmen Tag ins Freie gepilgert sind.


(6.3.2025)


©Peter Alois Rumpf März 2025 peteraloisrumpf@gmail.com