Mittwoch, 25. September 2024

3785 Unausgesprochen

 



12:06. Ein schöner Regen, wie ich ihn liebe. Ein ganz normaler Regen, die Fensterscheiben auch der Straßenbahnen sind nass, die Leute gedämpft aufgekratzt, sie ducken sich und huschen mit angestrengten Gesichtszügen durch die Straßen, die Farben sind zurückgenommen und die Stimmung – oder meine Stimmung – ist eine – wie kann ich sagen? - resignative Aufbruchseuphorie, nur dass jetzt nicht Sommer und Ferien zu Ende gegangen sind und ein neues Schul- oder Universitätsjahr ansteht, sondern mein Lebensabend nicht mehr verleugnet werden und mein Aufbruch nicht irgendwelchen Lebensprojekten gelten kann – meine sind fast alle gescheitert [und fast schreibt er nur, weil er nicht so hart (und gar so selbstmitleidig – der ganz innere Kritiker) rüberkommen will – der innere Kritiker] – sondern dem Projekt Fensterputzen nach der monatelangen Reparatur, gegen das ich eine auch mir schwer verständliche Aversion habe und eine noch unverständlichere Angst (das Leitersteigen trotz Kreuzschmerzen kann es nicht ernsthaft sein).

Ich sitze im ruhigen, locker besuchten Espresso Burggasse, und weil es nicht so voll ist, sind die einzelnen Tischgespräche so laut, denn sie heben sich nicht gegenseitig auf (sozusagen). Ich trinke Tee! Nicht Kaffee. So kommt kein Koffeinrausch auf. Vielleicht fehlt er mir. Dabei war ich vor Jahrzehnten eine richtige und ausdauernde Teetante; das hat aufputschmäßig auch funktioniert. Die Musik ist heute anders, wie Chicha. Es hat zu regnen aufgehört, Fensterputzen wäre wieder möglich. Nachdem ich in letzter Zeit täglich in ein Café gegangen bin, bekomme ich das Gefühl, das ist normal und steht mir zu. Schaumamal was die Götter dazu sagen. Die Musik könnte ein bisschen lauter sein.

12:54. Die Musik hat sich verändert (eine noch kitschigere Version eines Leonard-Cohen-Liedes) und ich blicke wieder von der Bank aus in den Spiegel an der Wand und sehe mich darin nicht, aber: Das Weinregal, das sich drei, vier Meter vom Spiegel entfernt befindet, einen kleinen Fensterausschnitt, ein bisschen Laub der Platane draußen, das sich auch im Spiegel leicht bewegt, und das Rot einer Ampel, die sich gerade auf gelb, dann auf grün schaltet, und für mich undefinierbares Gestell. Das Lokal füllt sich. Die Musik ist eindeutig zu leise (ich sitze auf den unteren Ausläufern meines Sakkos und zupfe sie unter meinem Hintern hervor). Fensterputzen fällt mir ein, als ich durchs Fenster auf die Straße schaue, aber ich mag noch nicht. Wir sind wieder bei den Chansons. Am Nebentisch fällt das Wort ungerecht. Eine gewisse (oder ungewisse – der innere Spötter) Rührung steigt in mir auf. Ich glaube nicht, dass das direkt mit dem Chanson zu tun hat, das mir nicht gefällt, aber wer weiß: auch ein kleiner Input kann das Setting komplett ändern.

Was sagt ihr? Soll ich endlich zum Fensterputzen heimfahren? Ich mag nicht. Aber so richtig bequem ist es mir von der langen Herumsitzerei hier auch nicht mehr. Der 46A braust vorbei und lenkt meine Aufmerksamkeit wieder Richtung nach Hause. Das Wort unausgesprochen fällt irgendwo im Raum.


(24.9.2024)


©Peter Alois Rumpf September 2024 peteraloisrumpf@gmail.com

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