Dienstag, 17. September 2024

3775 Eigenartig

 



11:40 a.m. Boah! A so a scheene leitn! Also Wald ist es nicht, auf das ich jetzt schaue, sondern eine ungemähte Herbstwiese auf dem schönen, steilen Hang, und ich bin nicht weder Macbeth noch sitze ich auf einem Schloss, sondern erlebe mich als recht machtlos und sitze auf einer Holzbank der Stadt Wien. Neben der Wiese ist ein Weingarten, und neben diesem dann doch auch Wald. Ich bin über den Nussberg in den Graben unterm Kahlenberg gewandert und gehe zurück Richtung Stadt. Woher kommt dieses tiefe Berührtsein vom Anblick dieser und anderer Leiten? Ja, die Leite hinter dem Haus der Großeltern (das nicht ihnen gehört hat), aber warum? Das braune, vertrocknete Gras, durch das ein wenig der Wind geht. Es ruft etwas ganz stark Empfundenes aus meiner Kindheit ab, aber ich komme nicht dahinter, was es ist. Vielleicht war es nicht mehr, als dass mich der Anblick einer spätsommerlichen Hangwiese voll getroffen hat, weil Sommer und Ferien mit ihren vielen Hoffnungen unerfüllt vorbei sind und ich wieder tapfer in den schulischen Demütigungszwang muß (was nicht heißt, dass es in den Ferien keine Demütigungen gegeben hat). Ein Falke fliegt über die Wiese. Jetzt kommen die Krähen und rufen. Hinter mir plätschert wirklich ein Bächlein. Mit dieser Leite hier muß es mehr auf sich haben: ist dort das Leben und Tod? Oder droht von dort oben Gefahr? Oder wurden hier Menschen getötet? Waren hier Kriegsgefechte oder Massaker? Hatte ein Mob dort an diesem Baum einen aufgehängt? Wurde hier eine Frau, ein Mädchen vergewaltigt? Unsere Landschaften sind voll gesogen davon und die Erde hat das alles abgespeichert und aufbewahrt und strahlt es noch ab. Oder ganz anders: haben sich hier einmal salige Frauen einem einsamen Wanderer gezeigt? Oder andere nicht-organische Wesen? Was ist es, was mich bei diesem Anblick so betroffen macht? Ich weiß es nicht.

Die Glocken rundherum läuten Mittag, aber das baut mich jetzt nicht auf; die Verbindung von Glockengeläut und üppiges Mittagessen (die Radiosendung „Autofahrer unterwegs“) empfinde ich als obszön. Ich blicke nochmals zum Hang, den nun eine schwache Sonne bescheint. Es bleibt mir alles verschlossen.

Als ich weitergegangen bin, hat mir der Wind ein vertrocknetes Blatt direkt vor die Füße geworfen, dass es am Asphalt gekracht hat. Unglaublich viele Wanderer sind hier unterwegs auf dieser Straße, in den verschiedensten Sprachen und Dialekten. Eigenartig.


(11.9.2024)


©Peter Alois Rumpf September 2024 peteraloisrumpf@gmail.com

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