Freitag, 6. September 2024

3769 Schlafplatz

 



0:28 a.m.  Noch sind Tage und Nächte heiß. Ich sitze im Hochbett, die Fenster sind offen, ein kleines Insekt ist hereingekommen und umkreist in falscher Orientierung die kleine Leselampe, die ich aufgedreht habe. Ich schwitze allein vom Heraufklettern über die Leiter.

Vom Platz mit den drei Säulengleditschien dringt eine männliche Stimme herauf. Dort auf der Bank sitzt ein Mann, allein, wie jede Nacht und redet unaufhörlich, so zirka bis Mitternacht oder ein Uhr. Er schreit nicht, er redet in ganz normaler Lautstärke; ich verstehe seine Sprache nicht; eventuell ist es Pidgin-English (aber das kann ich nicht sicher beurteilen, weil ich kein Englisch beherrsche). Aber Tonfall und Gestik des Mannes, die ich vorhin kurz vom Fenster aus beobachtet hatte, bevor ich heraufgestiegen bin, legen es sehr nahe, dass er sich erklärt und zu rechtfertigen versucht. Vor welchem inneren Tribunal, vor welchem Gericht, vor welchem Forum und vor welcher Gesellschaft – ich kann es nicht wissen (wenn es wirklich Pidgin-Englisch ist, dann nicht vor seiner muttersprachlichen). In der Nähe ist eine Notschlafstelle für Obdachlose – vielleicht kommt er von dort. Hat er keinen Platz gefunden oder hält es dort in der Masse nicht aus? Oder er will erst im letzten Moment an seinem Schlafplatz einkehren? Oder wohnt er einfach in der Nähe und es ist ihm in der Wohnung zu heiß? Das alles ist natürlich Spekulation oder gar Projektion. Ich weiß nichts, aber sehr einsam wirkt er schon. Ich gehe nicht hinunter und frage ihn und schon gar nicht biete ich ihm bei uns einen Schlafplatz an. Wir haben hier keine Kultur der privaten Gastfreundschaft mehr. Aber das soll keine Ausrede sein: ich wäre damit überfordert und hätte Angst. Und jetzt lege ich mich nieder und werde zu schlafen versuchen. 


(6.9.2024)


©Peter Alois Rumpf September 2024 peteraloisrumpf@gmail.com

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