Montag, 9. September 2024

3773 Das Balkongitter

 



12:46. Der Regen ist da (bis jetzt haben – da kein Sturm – die Plastikabdeckungen gehalten). Nach einem Kebab an einem etwas zu lustigen Stand nun auf einen Cappuccino im Welt-Café. Zum ersten Mal bin ich hier. Ich nehme jetzt den ersten Schluck und werde die Wirkung sofort sorgfältig beschreiben: am Gaumen leicht, der Schaum nicht pickig (und schön als Blatt gestaltet), der Kaffee fruchtig, milde Röstung, im Abgang … genug jetzt! Der Cappuccino passt. Die zarte Substanz spürt man noch, wenn man nach dem Schlucken die Zunge auf den Gaumen presst (ohje! Zahnersatzgaumen!). Also: der Regen ist da und hier ist viel Platz und moderat lebhaftes Leben (Kinder- und Familienecke da drüben ums Eck). Ich blicke auf so 19.-Jahrthundert-Prachtbautenecken, die meistens rund sind. Ach ja: die Wirkung: leichtes, sanftes Ansteigen der inneren Helligkeit, Aufkommen von so einer Art Zuversicht beziehungsweise Gleichgültigkeit meinem Scheitern gegenüber. Schesko jedno! (richtig: „schezko jedno!“ - scheiß egal! - von „wszystko jedno“ - polnisch oder in Wien eher von „všecko jedno“ – tschechisch - der innere Korrektor) – ich habe es doch angenehm. Zurück zu den großbürgerlichen Feudalbauten (zwei Fliegen auf einen Streich): von meinem Platz aus sehe ich fünf Stück. Will ich da wohnen wollen? Ich weiß nicht. Was Aufgeräumtes hat es hier schon und die Räume sind sicher alle hoch. Will ich wirklich noch hoch hinaus (wo ich doch immer ungerner Leitern hinaufsteige)? Draußen im Schanigarten unter der großen Plane rauchen sie. Das ist mir schon ganz fremd. Will ich eigentlich etwas sagen oder schreibe ich nur, um die Zeit totzuschlagen (Termin in 55 Minuten und im Park ist alles nass)? Und zu Hause rennt die ganze Zeit das Radio der Handwerker im Lichtschacht. Meine Exile kommen mir teuer. Noch einen Cappuccino? Ist das gut oder schlecht für die Psychotherapie nachher? Koffeinfrei lehne ich eher ab. Mir sind diese schmiedeeisernen Balkongitter schnell zu viel, zu überkandidelt und zu spießig, aber das hier dort oben, das einen riesigen Balkon – wirkt eher unbenutzt – der sich großzügig und breit über die runde Ecke zieht – umrahmt, der hat etwas. Wahrscheinlich eine Firma (ob darin stehend Leute sitzen entzieht sich meiner Kenntnis – der innere Spötter). Das ist halt schade, wenn in den großzügigen Wohnungen lauter Firmen sitzen, aber vielleicht täusche ich mich und es ist großartig.

Es regnet, es regnet, die Bäume werden nass. Der zweite Cappuccino wirkt eine Spur kompakter, im Schluck trifft er auf ein wohlvorbereitetes Umfeld und auf Reste seines Vorgängers. (Bitte, lieber Freund! Belästige deine LeserInnen nicht mit deiner Langeweile, deiner Bedeutungslosigkeit und deinen gescheiterten Versuchen, dich in der Welt der Dualität und des Funktionalen gemütlich einzurichten – der innere Kritiker.) Das ist doch mir wurscht! Wenn jeder Autofahrer, jeder Handwerker, überhaupt „die Wirtschaft“ und wer oder was auch immer mich akustisch und optisch belästigen darf, dann darf ich auch belästigen! Ich belästige wen ich will! (Lieber Freund! Das ist falsch! Du hast wenig Einfluß darauf, wer deine Texte liest – der innere Kritiker.) Schau ma mal, was das Internet sagt. Gut, einen kleinen Scherz angebracht. So geht Lebensabend! Noch 30 Minuten muß ich hier ausharren, wenn ich nicht in den Regen will. Ich schaue wieder das Balkongitter an. Sehr ambitioniert, tatsächlich etwas ungewöhnlich. Wohnte ich dort, ich ginge ständig am Balkon im Halbkreis, besser: im Halbmond, bliebe von Zeit zu Zeit am Gitter stehen und schauete erwartungsvoll auf die Straße hinunter (3. Stock; Wiener Zählung), um dann wieder hin und her zu gehen. Ich lenke meinen Blick – soweit erreichbar – auf die Dachgeschosse. So weit ich sehen kann sind sie alle ausgebaut. Es regnet – und ich bin stur und stolz ohne Schirm und kurzärmelig unterwegs (vielleicht bist du nur zu faul gewesen, dein Zeugs aus der ärmellosen Jacke in die Kapuzenjacke zu transferieren – der innere Spötter). Jetzt schüttet es, die Wiesen, die Sträucher und die Bäume werden sich freuen. Mir kommt vor, im Zentrum des Balkongitters ist ein Tier dargestellt, aber ich erkenne es nicht deutlich und vielleicht ist es doch bloß ein Ornament. Eine Viertelstunde noch, dann muß, darf, kann und soll ich aufbrechen. Auch hier gibt es elegische Bohrmaschinen – nein, nein! Das ist wohl ein Handmixer; Schlagobers zum Beispiel. Den „Blumen“kisten da draußen am Rande des Schanigartens, in denen kleine Bäumchen stecken, wird der Regen auch gefallen; wie ich jetzt sehen kann, hängt das eine noch so hin und her. Zehn Minuten. Nein, ich mach es anders: ich gehe jetzt und stelle mich bei diesem Durchgang unter. Ich muß da raus.


(9.9.2024)


©Peter Alois Rumpf September 2024 peteraloisrumpf@gmail.com

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