Dienstag, 1. August 2023

3323 Ich spiele mit meiner Paranoia

 



6:53 a.m. Ich habe die Jalousie hinaufgezogen, weil ich den Nebel sehen will. Aufgeweckt haben mich die Fliegen. Ich weiß nicht, warum mich die heute suchen. Meine Ohren singen in höchsten Tönen, der Wecker tickt verhalten. Jetzt gehen die Fliegen aufs Notizbuch und auf meine Schreibhand, aber mein Gesicht lassen sie in Ruhe. Ganz undeutlich höre ich eine Glocke läuten, oder läutet die in meinem Inneren? Das Ohrengesurre wird nun sehr vielschichtig, hoch und tief und polyphon und wird mir zum ersten Mal etwas unheimlich.

Ich habe mich nach draußen gesetzt um besser in den Nebel gaffen zu können. Der Verkehrslärm ist in vollem Gange und passt gar nicht zu den nebelverhüllten Bäumen und der versenkten Gegend. Auch die Hausdächer ragen aus einer anderen Welt aus dem Nebel. Eine kühle Brise bringt leichte Bewegungen in die Stille des Nebels (der Verkehrslärm ist einfach eine falsche Tonspur). Aber ich kann im Osten die Sonnenscheibe sehen; sie brennt sich durch den Nebel ohne ihn zu verletzen. Eine heisere und schreigehemmte Krähe hat gerufen, eine verhaltene Taube hat geantwortet. Wieder herinnen brummt der Kühlschrank. Die Welt gerät mir irgendwie aus den Fugen. Sie bricht nicht zusammen, aber sie ist an ihren Fugen und Nähten etwas verrutscht, wenn sie nicht auch schon Sprünge abbekommen hat. Vielleicht kommt mein Ohrensurren gar nicht aus mir, sondern außerirdische Geräusche oder Gesänge dringen durch diese Sprünge und Spalten in meine labile Welt. Eine Taube ruft, aber so heiser und so entstellt, dass ich vermute, dass dieser Ruf ein Fake ist, eine schlecht gemachte Imitation.

Ich konzentriere mich jetzt auf den Autoverkehr – ich betone, dass ich von hier aus kein Auto sehen kann – vielleicht fällt mir da etwas auf. Ja! Der Verkehrslärm hört abrupt auf, als ich ihn untersuchen will! Dafür höre ich nun Fliegen. Was jetzt so ganz von fern auftaucht könnte Verkehrslärm sein, aber völlig verstört. Jetzt rauscht ein – wenn’s wahr ist – Auto durch; das Geräusch kommt mir viel zu komplex, viel zu vielschichtig vor. Und das Gejaule der angeblichen Reifen auf dem angeblichen Asphalt ist viel zu stark ausgearbeitet. Die wollen mich jetzt mit einem Flugzeug irritieren und vom neuerlichen unechten Autolärm ablenken. Dem Auto jetzt – also wenn ich „Auto“ sage, habe ich immer noch einen erkenntnistheoretischen Vorbehalt – folgen so eigenartige Schwingungen im Sound. Und das jetzt verrauscht mir viel zu schnell. Und das jetzt: zuerst glaubte ich, es ist ein Auto, weil ich Türen zuschlage zu hören vermeinte, aber der Ton ist zu langsam, zu unauffällig, selbst für ein sanftes Wegfahren. Die Fliege: sie interessiert sich wieder nur für Notizbuch und Schreibhand: das kann kein Zufall sein! Ich vermute: das, was ich als Verkehrslärm hören soll, sind einfach komplexe, aufwendig ausgetüftelte und teuer produzierte Klangteppiche, die auf die Straßen projiziert und ausgegeschickt werden. Einfach Reifen auf Asphalt kann so etwas nicht hergeben!

Ich bin aufs Klo gegangen und habe dann aus dem Fenster in der Ferne ein Auto fahren gesehen. Arbeiten die nicht nur mit akustischen, sondern auch mit optischen Täuschungen?

(1.8.2023)

Peter Alois Rumpf August 2023 peteraloisrumpf@gmail.com

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