2888 Unglaublich still
5:55 a.m. Dieser frühherbstliche Morgen: schon recht
finster, kalt, aber man heizt noch nicht und hat die Fenster noch gekippt.
Unglaublich still. Ich staune immer wieder über diese Stille mitten in der
Stadt und freue mich, es so gut erwischt zu haben. Meine Ohren surren extrem
laut, wie es aber zu dieser Zeit, in dieser Situation üblich ist. Meine Augen
gleiten ein wenig befremdet über meine Kunstkartensammlung halbnackter und ganz
nackter Frauen vor mir an der Pinnwand und verstehen das nicht recht; meine
Seele scheint noch in anderen Dimensionen zu sein. Das Bücherregal, das im
Halbdunkel steht, hat noch eine eigenartige, fast ins Aggressive gehende Präsenz.
Mein Blick bleibt eher bei den abstrakteren Bildern hängen. Eine richtige
Feierlichkeit kommt auf. Ob sie lebensecht und angemessen ist oder ein
passiv-autoritärer Trick, weiß ich noch nicht. Gefallen tut sie mir schon, die
Feierlichkeit. Sie könnte etwas mit dem Ahnen von Sterblichkeit und Endlichkeit
zu tun haben, aber damit ist die obere Frage nicht geklärt. Weil
Selbstüberhöhung und Bedeutungsaufblasen eines faden Lebens oder
Lebenszustandes könnten auch ihre Quelle sein.
Wenn mir der Ernst und die Feierlichkeit zu langweilig
werden, spiele ich mit meiner Optik herum: hinstarren, bis das Angestarrte
verfremdet oder sich bewegt, oder so unspezifisch, unzentriert gaffen, dass
zumindest die Ränder des Gesichtsfeldes ins Fließen kommen. Oder mit dem Glitzern,
das da oder dort durch reflektiertes Licht entsteht, herumtun. Ich atme kurz
stockend, dann beruhigt sich mein Atem. Die Augen fallen mir zu und das
unwillkürliche Gähnen, das mich überfällt, verändert die Farbe der Dunkelheit,
in die ich mit den geschlossenen Augen blicke.
(16.9.2022)
©Peter
Alois Rumpf September 2022 peteraloisrumpf@gmail.com
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