Freitag, 16. September 2022

2888 Unglaublich still

 

5:55 a.m. Dieser frühherbstliche Morgen: schon recht finster, kalt, aber man heizt noch nicht und hat die Fenster noch gekippt. Unglaublich still. Ich staune immer wieder über diese Stille mitten in der Stadt und freue mich, es so gut erwischt zu haben. Meine Ohren surren extrem laut, wie es aber zu dieser Zeit, in dieser Situation üblich ist. Meine Augen gleiten ein wenig befremdet über meine Kunstkartensammlung halbnackter und ganz nackter Frauen vor mir an der Pinnwand und verstehen das nicht recht; meine Seele scheint noch in anderen Dimensionen zu sein. Das Bücherregal, das im Halbdunkel steht, hat noch eine eigenartige, fast ins Aggressive gehende Präsenz. Mein Blick bleibt eher bei den abstrakteren Bildern hängen. Eine richtige Feierlichkeit kommt auf. Ob sie lebensecht und angemessen ist oder ein passiv-autoritärer Trick, weiß ich noch nicht. Gefallen tut sie mir schon, die Feierlichkeit. Sie könnte etwas mit dem Ahnen von Sterblichkeit und Endlichkeit zu tun haben, aber damit ist die obere Frage nicht geklärt. Weil Selbstüberhöhung und Bedeutungsaufblasen eines faden Lebens oder Lebenszustandes könnten auch ihre Quelle sein.

Wenn mir der Ernst und die Feierlichkeit zu langweilig werden, spiele ich mit meiner Optik herum: hinstarren, bis das Angestarrte verfremdet oder sich bewegt, oder so unspezifisch, unzentriert gaffen, dass zumindest die Ränder des Gesichtsfeldes ins Fließen kommen. Oder mit dem Glitzern, das da oder dort durch reflektiertes Licht entsteht, herumtun. Ich atme kurz stockend, dann beruhigt sich mein Atem. Die Augen fallen mir zu und das unwillkürliche Gähnen, das mich überfällt, verändert die Farbe der Dunkelheit, in die ich mit den geschlossenen Augen blicke.

 

(16.9.2022)

©Peter Alois Rumpf  September 2022   peteraloisrumpf@gmail.com

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