2879 Viel besser!
Ich blicke auf den urbanen loritz'schen Himmel weit in den
Süden und dann auf die Stadt. Die Wolkendecke verspricht Abwechslung. Die Musik
im Café oben passt mir auch. Die Straßenbahnen von hier wie flotte Raupen;
schade, dass sie nicht diese Autokäfer fressen – die sind eine echte Plage (ich
darf das sagen, denn ich habe einmal direkt am Gürtel gewohnt). Ich studiere
die große Dachkonstruktion der Haltestellen da unten von da oben, besonders das
Regenwasserleitsystem, aber auch die Verspannungen und die drachenartige
Gestalt des Daches. Der Handymasten am Hausdach drüben am Rand des Platzes hat
die gewalttätige Präsenz eines triumphal-religiösen Zeichens. Hinter der
Spinnerin am Kreuz geht es nach Süden. Da muß die Freiheit wohl grenzenlos
sein, oder? Männliches Lauthalsgelächter, wie man es in jedem beliebigen
Landgasthaus tagsüber an der Alkoholikerschank hören kann, irritiert mich hier
sehr. Ich habe dieses Café einer anderen Reichshälfte zugeordnet. Aber nachdem
ich das Himmelreich nicht mehr erreichen kann, ist es mir egal, wenn ich
ungerecht bin. „Häusermeer“ - das trifft's schon, auch wenn es sich nicht
bewegt, sondern nur in ihm. Die Autokarawanen, die auf meinen Blick
zurollen – fast rühren sie mich in ihrer existenziellen Vergeblichkeit; alle
diese strebsamen Willen erreichen nichts. Gar nichts. Wobei ihr Streben nicht
aus eigener Kraft kommt, sondern die fragwürdige, fremde Energie wird um einen
hohen Seelen- und Wirtschaftspreis von fragwürdigen Anbietern gekauft. Oh die
Wolken! Das ist aber gar nicht der Himmel, aber ich tu jetzt so. Rettungsgasse
will auch nicht funktionieren. Ach! Ich glaub das waren nur irgendwelche
E-Werke, die da blaulichtig gelb geblinkt haben.
Allmählich kommt bei mir so eine Stimmung auf, so
urban-euphorisch: wo ich mir ganz toll vorkomme, dass ich da mitten in der
Großstadt bin, ohne erkannt zu werden, ohne etwas geleistet zu haben,
unentdeckt und nicht zur Rede gestellt von der Karmapolice, noch nicht
erschlagen: als wäre das Überleben hier ein Verdienst. Das kann jederzeit
umschlagen: zum Beispiel wenn das Wirtschafts- und Verwaltungssystem
zusammenbricht und die sozialen Spannungen als was auch immer explodieren: dann
wäre das Überleben hier Schwerarbeit – es sind schon andere Städte
untergegangen. Und bei der Spinnerin am Kreuz und am Laurenziberg grasen Kühe,
Ziegen und Schafe, oder überhaupt Rotwild. Wenn dann die Stadt leer ist und
verfällt, würde ich auch gerne hier sitzen und unten herumgehen und den
Pflanzen beim Wachsen und Erobern zuschauen und den Tieren beim Wiedereinzug.
Wieder das brutale männliche Gelächter, diesmal mit einer Frau. Die
Autokolonnen, die in Richtung meines Blickes nach Süden fahren, beeindrucken
mich nicht so. Meinetwegen! Adieu! Fahrt mit Gott! Auch ihr landet im Nichts!
(Heideggeralarm! - von dem bin ich mehr verseucht als ich gelesen und nicht
verstanden habe.)
Die Wolkendecke reißt auf und zeigt ihr himmelblaues Loch.
Das ist wirklich nett! Ich beginne von diesem meinen ersten Kaffee heute (zirka
13:45) zu schwitzen. Wieder kommt eine dreispurige Autokolonne auf mich zu:
hier heroben auf den höchsten Stufen fühle ich mich nicht bedroht, aber sie tun
mir so leid! Da habe ich es schon viel besser. Viel besser!
(9.9.2022)
©Peter Alois Rumpf
September 2022
peteraloisrumpf@gmail.com
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