Freitag, 9. September 2022

2879 Viel besser!

 

Ich blicke auf den urbanen loritz'schen Himmel weit in den Süden und dann auf die Stadt. Die Wolkendecke verspricht Abwechslung. Die Musik im Café oben passt mir auch. Die Straßenbahnen von hier wie flotte Raupen; schade, dass sie nicht diese Autokäfer fressen – die sind eine echte Plage (ich darf das sagen, denn ich habe einmal direkt am Gürtel gewohnt). Ich studiere die große Dachkonstruktion der Haltestellen da unten von da oben, besonders das Regenwasserleitsystem, aber auch die Verspannungen und die drachenartige Gestalt des Daches. Der Handymasten am Hausdach drüben am Rand des Platzes hat die gewalttätige Präsenz eines triumphal-religiösen Zeichens. Hinter der Spinnerin am Kreuz geht es nach Süden. Da muß die Freiheit wohl grenzenlos sein, oder? Männliches Lauthalsgelächter, wie man es in jedem beliebigen Landgasthaus tagsüber an der Alkoholikerschank hören kann, irritiert mich hier sehr. Ich habe dieses Café einer anderen Reichshälfte zugeordnet. Aber nachdem ich das Himmelreich nicht mehr erreichen kann, ist es mir egal, wenn ich ungerecht bin. „Häusermeer“ - das trifft's schon, auch wenn es sich nicht bewegt, sondern nur in ihm. Die Autokarawanen, die auf meinen Blick zurollen – fast rühren sie mich in ihrer existenziellen Vergeblichkeit; alle diese strebsamen Willen erreichen nichts. Gar nichts. Wobei ihr Streben nicht aus eigener Kraft kommt, sondern die fragwürdige, fremde Energie wird um einen hohen Seelen- und Wirtschaftspreis von fragwürdigen Anbietern gekauft. Oh die Wolken! Das ist aber gar nicht der Himmel, aber ich tu jetzt so. Rettungsgasse will auch nicht funktionieren. Ach! Ich glaub das waren nur irgendwelche E-Werke, die da blaulichtig gelb geblinkt haben.

Allmählich kommt bei mir so eine Stimmung auf, so urban-euphorisch: wo ich mir ganz toll vorkomme, dass ich da mitten in der Großstadt bin, ohne erkannt zu werden, ohne etwas geleistet zu haben, unentdeckt und nicht zur Rede gestellt von der Karmapolice, noch nicht erschlagen: als wäre das Überleben hier ein Verdienst. Das kann jederzeit umschlagen: zum Beispiel wenn das Wirtschafts- und Verwaltungssystem zusammenbricht und die sozialen Spannungen als was auch immer explodieren: dann wäre das Überleben hier Schwerarbeit – es sind schon andere Städte untergegangen. Und bei der Spinnerin am Kreuz und am Laurenziberg grasen Kühe, Ziegen und Schafe, oder überhaupt Rotwild. Wenn dann die Stadt leer ist und verfällt, würde ich auch gerne hier sitzen und unten herumgehen und den Pflanzen beim Wachsen und Erobern zuschauen und den Tieren beim Wiedereinzug. Wieder das brutale männliche Gelächter, diesmal mit einer Frau. Die Autokolonnen, die in Richtung meines Blickes nach Süden fahren, beeindrucken mich nicht so. Meinetwegen! Adieu! Fahrt mit Gott! Auch ihr landet im Nichts! (Heideggeralarm! - von dem bin ich mehr verseucht als ich gelesen und nicht verstanden habe.)

Die Wolkendecke reißt auf und zeigt ihr himmelblaues Loch. Das ist wirklich nett! Ich beginne von diesem meinen ersten Kaffee heute (zirka 13:45) zu schwitzen. Wieder kommt eine dreispurige Autokolonne auf mich zu: hier heroben auf den höchsten Stufen fühle ich mich nicht bedroht, aber sie tun mir so leid! Da habe ich es schon viel besser. Viel besser!

 

(9.9.2022)

©Peter Alois Rumpf  September 2022   peteraloisrumpf@gmail.com

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