Montag, 5. September 2022

2871 La Grande Dame

 

La Grande Dame. Und der Wind, der die Blätter treibt und die Zweige schaukelt. Und rauscht. So stark, dass er das fröhliche Geschrei vom Spielplatz kräftig unterlegt und trägt. Im Campingstuhl unter der alten, riesigen Platane, die La Grande Dame heißen soll. Plötzlich ist der Wind aus und still. Das Geschrei wird markanter. Das Rauschen übernimmt – aber gottseidank viel zu weit weg – der Straßenverkehr. Eine ganz leichte Brise umspielt meine nackten Fesseln („ein Gegenstand, mit dem jemand gefesselt wird, oder: der Übergang von der Wade zur Knöchelregion beim Menschen“ Wikipedia. Ich finde: sehr gut formuliert!) und schiebt verstohlen ein paar Blätter zurück Richtung Osten. Die Platane und ihre Krone, ihr weitverzweigtes und von Bändern gestütztes Geäst, sind breathtaking (mir ist lieber, sie nehmen meinen Atem wie ein Geschenk und rauben ihn mir nicht). Da oben am Wipfel, da muß die Freiheit grenzenlos sein. Ich wollte aber nie hoch hinaus. Das Blätterrauschen kommt wieder auf. Und die windbetriebenen Versuche, mir in meinem Notizbuch umzublättern. „Eine wehende Reinheit wiegt die Bäume“ schreibt Juan Ramon Jimenez, mein geliebtester Dichter, in Hora Immensa. Aber hier: der Wind ist nicht ganz unverdorben. Ich kann es selbst nicht glauben, dass es so ist. Vielleicht ist es nicht der Wind, sondern die Luft, die nicht rein ist, und der Wind versucht sie wegzublasen. Vielleicht bin ich einfach zu tief herunten: physisch, psychisch oder metaphorisch. Oder es sind die vielen kranken Bäume hier. Oder es ist der alte Sommer, der schon müde ist (auf seine Art auch schön). Ich müßte pinkeln. Mein rechtes, überschlagenes Bein (warum eigentlich „schlagen“?) ist eingeschlafen. Geh ich jetzt? Aber ich bin ein Meister im Rauszögern.

 

(3./5.9.2022)

©Peter Alois Rumpf  September 2022   peteraloisrumpf@gmail.com

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