Mittwoch, 7. September 2022

2877 Hysterisch 1-4

 

Nun sitz ich am Ufer und warte, bis meine Frau auftaucht. Im wörtlichen Sinn, denn sie will im Donaukanal, der in Wahrheit ein alter Seitenarm ist, strömen. Nachmittag ist es, schon auf den Abend zu, die Luft ist warm, mit leichtem Touch ins Schwüle, und der Schatten der Bäume mild, das Wasser riecht und fließt recht flott. Laut ist es hier: die U-Bahn gegenüber und hinter meiner und vorder meiner viel lästiger Autoverkehr. Gewitter ankündigende, aber noch helle und dünne Wolken beginnen die Sonnenscheibe zu verdecken. Die unvermeidlichen Leute mit ihren unvermeidlichen Hunden sind hier und gehen herum. Die vollbeschissene Wiese stinkt und ich passe angestrengt und hysterisch (1x) auf, dass ich nicht in Hundescheiße trete und erst recht, dass ich mich nicht in Hundescheiße setze. So kann der Genuß noch nicht kommen, obwohl eine sanfte, warme, weiche Brise meine nackten Fesseln, meine nackten Knöcheln und meine nackten Wadeln umspült. Das Wasser ganz grün; dieses milchige Grün. Links von mir wachsen mindestens drei von mir heimlich ausgestreute Pflanzen, wahrscheinlich mehr. Manche, aber einzelne Zweige am unbekannten Baum rechts rüttelt die Brise (nehme ich an. Wer sonst? Der Baum kann seine Zweige von sich aus schütteln?) geradezu fanatisch und sie, aber nur sie schaukeln ständig hysterisch (2x) hin und her.

Die grüne Wasseroberfläche treibt schnell dahin und ist nur leicht gekräuselt. Aber jetzt! Jetzt taucht meine Frau auf, ihr Kopf kommt am Wasser still daher, sie bleibt noch kurz im Strom, schaut mich verliebt an und klettert gekonnt und geschickt über die Ufersteine herauf ans grasige Ufer. Eine Frau daneben, mit ihrem Freund – wie ich vermute – dahingelagert, lacht hysterisch (3x). Mein Weib kommt her, beugt sich über mich und sagt: „Herr!“ Nein, das ist geschwindelt: sie sagt „herrlich!“ und meint das Strömen im Wasser. Sie trocknet sich ab, entledigt sich ihrer Badedress unter dem umgewickelten Hamamtuch und legt sich auf die Decke, auf der auch ich sitze. Und wischt sich fast überall trocken und zieht mit yogischer Gewandtheit ihr Alltagsgewand unter dem Tuch an. Dann holt sie eine Zeitung vom Sonntag – heute ist Mittwoch – aus ihrer Tasche und beginnt gekonnt und aufmerksam zu lesen.

Einige Krähen schreien hysterisch (4x). Am anderen Ufer breitet ein Gestellt seine Arme aus, aber - so weit ich sehe - wird nichts erlöst. Die bedeckte Sonnenscheibe spiegelt sich im Wasser und glitzert, aber ich frage mich: wohin flieht der Fluß? Warum hat er es so eilig? Mir tut am harten, vertrockneten Wiesenboden trotz Decke der Hintern weh. Außerdem nervt mich die Frau links da drüben, die so gelacht hat, mit ihrem Tonfall und ihrer Art und Weise, wie sie redet. Weibliche Schnösel.

Die Oberfläche des Wassers kräuselt und kräuselt sich unendlich in endlichen Schlieren. Doch jetzt kommt ein Boot den Fluß abwärts und schlägt hintennach hohe Wellen (für hiesige Verhältnisse). So ein abgrundhässliches Hundertwasserboot – die Verlogenheit zum Prinzip gemacht. Der Donau ist das wurscht und sie hat inzwischen die hohen Wellen zu vielen kleinen Wellen teilberuhigt. Und noch und nöcher. Vielgestaltige Wasserperformance. Mir tut mein Arsch weh. Zu wenig Sitzfleisch. Geschrei, Lärm, Unruhe. Das Wasser wellt immer noch. Allmählich kommt es zum ursprünglichen Gekräusel zurück.

Die Pappelblätter blinken, dann ist die Sonne hinter einer dickeren Wolke. Jetzt ist das Gewässer wieder wie vor dem Boot.

 

(7.9.2022)

©Peter Alois Rumpf  September 2022   peteraloisrumpf@gmail.com

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