2877 Hysterisch 1-4
Nun sitz ich am Ufer und warte, bis meine Frau auftaucht. Im
wörtlichen Sinn, denn sie will im Donaukanal, der in Wahrheit ein alter
Seitenarm ist, strömen. Nachmittag ist es, schon auf den Abend zu, die Luft ist
warm, mit leichtem Touch ins Schwüle, und der Schatten der Bäume mild, das
Wasser riecht und fließt recht flott. Laut ist es hier: die U-Bahn gegenüber
und hinter meiner und vorder meiner viel lästiger Autoverkehr. Gewitter
ankündigende, aber noch helle und dünne Wolken beginnen die Sonnenscheibe zu
verdecken. Die unvermeidlichen Leute mit ihren unvermeidlichen Hunden sind hier
und gehen herum. Die vollbeschissene Wiese stinkt und ich passe angestrengt und
hysterisch (1x) auf, dass ich nicht in Hundescheiße trete und erst recht, dass
ich mich nicht in Hundescheiße setze. So kann der Genuß noch nicht kommen,
obwohl eine sanfte, warme, weiche Brise meine nackten Fesseln, meine nackten
Knöcheln und meine nackten Wadeln umspült. Das Wasser ganz grün; dieses
milchige Grün. Links von mir wachsen mindestens drei von mir heimlich
ausgestreute Pflanzen, wahrscheinlich mehr. Manche, aber einzelne Zweige am
unbekannten Baum rechts rüttelt die Brise (nehme ich an. Wer sonst? Der Baum
kann seine Zweige von sich aus schütteln?) geradezu fanatisch und sie, aber nur
sie schaukeln ständig hysterisch (2x) hin und her.
Die grüne Wasseroberfläche treibt schnell dahin und ist nur
leicht gekräuselt. Aber jetzt! Jetzt taucht meine Frau auf, ihr Kopf kommt am
Wasser still daher, sie bleibt noch kurz im Strom, schaut mich verliebt an und
klettert gekonnt und geschickt über die Ufersteine herauf ans grasige Ufer.
Eine Frau daneben, mit ihrem Freund – wie ich vermute – dahingelagert, lacht
hysterisch (3x). Mein Weib kommt her, beugt sich über mich und sagt: „Herr!“
Nein, das ist geschwindelt: sie sagt „herrlich!“ und meint das Strömen im
Wasser. Sie trocknet sich ab, entledigt sich ihrer Badedress unter dem
umgewickelten Hamamtuch und legt sich auf die Decke, auf der auch ich sitze.
Und wischt sich fast überall trocken und zieht mit yogischer Gewandtheit ihr
Alltagsgewand unter dem Tuch an. Dann holt sie eine Zeitung vom Sonntag – heute
ist Mittwoch – aus ihrer Tasche und beginnt gekonnt und aufmerksam zu lesen.
Einige Krähen schreien hysterisch (4x). Am anderen Ufer
breitet ein Gestellt seine Arme aus, aber - so weit ich sehe - wird nichts
erlöst. Die bedeckte Sonnenscheibe spiegelt sich im Wasser und glitzert, aber
ich frage mich: wohin flieht der Fluß? Warum hat er es so eilig? Mir tut am
harten, vertrockneten Wiesenboden trotz Decke der Hintern weh. Außerdem nervt
mich die Frau links da drüben, die so gelacht hat, mit ihrem Tonfall und ihrer
Art und Weise, wie sie redet. Weibliche Schnösel.
Die Oberfläche des Wassers kräuselt und kräuselt sich
unendlich in endlichen Schlieren. Doch jetzt kommt ein Boot den Fluß abwärts
und schlägt hintennach hohe Wellen (für hiesige Verhältnisse). So ein
abgrundhässliches Hundertwasserboot – die Verlogenheit zum Prinzip gemacht. Der
Donau ist das wurscht und sie hat inzwischen die hohen Wellen zu vielen kleinen
Wellen teilberuhigt. Und noch und nöcher. Vielgestaltige Wasserperformance. Mir
tut mein Arsch weh. Zu wenig Sitzfleisch. Geschrei, Lärm, Unruhe. Das Wasser
wellt immer noch. Allmählich kommt es zum ursprünglichen Gekräusel zurück.
Die Pappelblätter blinken, dann ist die Sonne hinter einer
dickeren Wolke. Jetzt ist das Gewässer wieder wie vor dem Boot.
(7.9.2022)
©Peter Alois Rumpf September 2022
peteraloisrumpf@gmail.com
0 Kommentare:
Kommentar veröffentlichen
Abonnieren Kommentare zum Post [Atom]
<< Startseite