Mittwoch, 7. September 2022

2875 Der albertinische Hund

 

Diesmal sind die richtigen Bilder auf der einen Seite und ich kann alle meine Lieblinge des Saales von der Bank aus ohne kreuzbeschmerzenden Verdrehungen betrachten. Danke, Albertina. Blauer Fußgänger (blau von Romantik und blue) wäre auch ein Pseudonym für mich (reiten kann ich nicht). Der Boden vor dem Café in der Sturmnacht beleuchtet und apergetreten (nicht von Schnee, sondern von Gras). Klaro! Ich bin bei Werefkin. Das betörende Licht der Winternacht, der Schnee, die unglaublichen Bäume, das einsame Tier – vorsichtig und geduckt geht es über das Eis. Viele schöne Frauen gibt es hier, aber ich bleibe mit meiner Aufmerksamkeit zu 95% bei den Bildern. Der Leuchtende Berg von Oberstdorf (Jawlensky), auch so ein Durchblick ins „Eigentliche“ („eigentlich“, „Eigentliche“ kann man nicht mehr schreiben). Boeckls schöne Frau ist auch da, wenn auch woanders.

Auf zu meinen geliebten Städten! Oh! London ist weg! Dresden ist noch da. Das himmlisch leuchtende London! Ich habe den Eindruck, nicht nur ich, sondern auch Dresden ist erschrocken über die Kokoschkareduzierung. Dresden ist noch schwermütiger und trauriger, als es wegen seiner Zukunft ohnehin schon war. Aber was für ein schönes, dichtes, reiches, schlichtes Bild!

Jetzt raste ich beim depperten Kardinal. Ich kann diese Gestalt nur als Karikatur sehen: Büblein, vom Amt und Gwand aufrecht gehalten und überfordert.

Ich stelle hier in der Albertina eine Reduzierung der Bilder und eine Vermehrung von Schrift an den Wänden fest. Zunehmende Pädagogisierung. Schade! Sehr schade! Auch der Weiler an Eingang der Bartliner ist verschwunden – das tut mir weh. Auch der Klee wurde zugunsten von Text reduziert – dabei kann sich heute jeder die Informationen aus dem Internet holen.

Mein lieber Arbeiter (Motesiczky) ist noch da. So ein feiner Mensch! denke ich. Der magische Kröpfelsteig mit seiner fast mediterranen Sommer- und Mittagsdichte fehlt schon länger. (90%). Der Beckmann'sche Mann mit Hut himself stellt schon etwas dar - im Gegensatz zu dem Mann mit Hut aus der Bluebox – myself ist Männele mit Hütele - aber doch ihm gegenüber.

Dieses immer wieder wunderschöne atemberaubende Blau bei Chagalls Papierdrachen: so eine wunderbare Farbe in so einer wunderbaren weiten Landschaft! (80%).

Endlich kann ich vor Giacometti sitzen, aber es ist nur mehr ein Bild da und das ist auf die Seite gerückt für Bilder an der Hauptwand, die es garantiert nicht verdienen. Die tapfere, traurige, einsame Annette in Ehren - mir fehlt seine wahrhaftige Landschaft. Und wo sind Giacomettis Skulpturen und ihre Schatten? Oh! Jetzt habe ich die vier Frauen auf Sockel mit ihren Schatten gefunden.

Und? Nun bei den Sphinxen? Die Passanten? Mein Bauch wölbt sich im Spiegel wohlgenährt. Es gehen viel mehr Männer als Frauen vorbei. Wie geht das physikalisch und statistisch? In den Sälen sind viel mehr Frauen als Männer. Gut, ich sollte weder meiner Wahrnehmung noch meinem statistischen Gedächtnis trauen. Diese Sphinxe haben so leere, biedere Gesichter, wie dumme und wohlgenährte höhere Töchter.  Ach, jetzt beginne ich auf der steinernen (wirklich?) Bank davonzugleiten, als würde mein energetisches Raumschiff abheben. Jetzt! Doch! doch: jetzt gehen ein Haufen Frauen vorbei (15%) und ich bin wieder da. Die Passanten haben mich wieder hierher zurückgezogen. Gekrümmt dasitzend schaue ich wie ein armer Sünder und Bettler aus. Mir fehlt eindeutig die Aufrichtigkeit. Zusammengezogen wie ein geprügelter Hund. Mit meinem Alter kann ich mich ein wenig darüber hinwegschwindeln. So hinterfotzig! Aber ich bin nicht der einzige Angeber hier, wie mir mein Sitzplatz an der albertinainternen Hauptstraße zeigt.

 

(6./7.9.2022)

©Peter Alois Rumpf  September 2022   peteraloisrumpf@gmail.com

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