2882 Auf der Liegerstatt
22:58. Eine andere grüne Welt, mit goldenem Pilotstift
geschrieben, sodass die Schrift blendet. Ich bin fein heraußen. Mein Kreuz
schmerzt seit Wochen und ich werde eine Kerze (mit Weihrauch?) anzünden und Tee
trinken. Das Kerzenlicht holt die Heilige Familie aus dem dunklen Winkel. Den
Tee habe ich vergessen. Ich erhebe mich nochmals von meiner Liegerstatt (sic!
Aus einem alpinen Krippenlied) und nehme mehrere Schlucke und stelle das Glas
in besserer Reichweite. Die Musik des Brian. Bin ich es, der der Musik lauscht
oder ist es ein anderer? (vgl. Gedicht „Bin ich es, der nachts ...“ von Juan
Ramon Jimenez). Nein, ich bin es nicht mehr. Mir fehlt der Glaube. Ich meine
nicht den meiner Kindheit. Eigentlich fehlt mir gar nicht der Glaube, sondern
die Zuversicht. Glaube ist billig. Ich bin nicht mehr der, der ich einmal war
und ich weiß nicht, ob das so gut ist. Ich bin nicht traurig, nur leer. Die
Weiber auf den Kunstkarten ziehen auch nicht. Soll ich wieder saufen anfangen?
Mit wem? Allein ist das nichts. Der Weihrauch stinkt verstaubt, verrußt und
verteert. Ich tackere die neue Albertina-Kunst-Karte an die Wand, die mir beim
ersten Durchgang hinters Bett gefallen ist.
Ich ändere meine Position. Ich blicke jetzt nicht mehr nach Südwest, sondern nach Nordwest. Oh Westen, dort wo der Sommer und die Sonne untergehen. Ich singe „Golden Hours“ mit. Die Teelichtflamme schaut ganz fremd und technisch aus. Ich schaue in der neuen Position direkt auf meine Ikonostase und jetzt blicke ich zu meinem einsamen Jesusbild ganz oben unter dem Plafond hinauf, von mir selbst gemalt, wo er einem Mann mit einer Frisur aus dem 20. Jahrhundert mit seinem Finger ins Ohr stierlt; heilend natürlich (der Freud ist so blöd! So blöd!). Die Musik bestätigt mir das.
Wer blockiert wen?
Ich drehe mich mit meiner Vorderseite wieder Richtung
Nordwesten, wo ich wieder auf die nackten Karten schaue. Es ist bequemer so.
Ich habe eindeutig einen gierigen Zug, einen Hang zu exaltieren, eskalieren und
explodieren: drei Kunstkarten von Basquiat habe ich heute in der Albertina
gekauft! Drei! So ein Sich-gehen-lassen! Ohne Maß und Ziel sich verschleudern,
nur aus einer Laune heraus, nur um der Geste der vorgespielten Großzügigkeit
willen. Und das nur für mich, nicht wenigstens für andere. Gut, ich habe ja
keine Freunde, keine Glaubensgemeinde, an die ich mich verschleudern könnte. In
Ermangelung von Gegenüber und Resonanz spiele ich mir selbst Theater vor. „Der
Großzügige und sein Eigentum“. Ohne Kopfhörer geht die Musik mehr an mir vorbei
und erreicht mich weniger. Ich jammere ja gar nicht wegen des Geldes, das die
drei Karten gekostet haben – das geht sich schon aus. Ich lösche Kerze und
Weihrauch. Bald lösche ich sie. Jetzt.
(10./11.9.2022)
©Peter
Alois Rumpf September 2022 peteraloisrumpf@gmail.com
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