2881 Die Albertina-Basquiat-Tour
Ja, frisch, fromm, fröhlich, frei – hier stimmt es und
gefällt mir (so frei, fröhlich, fromm, frisch vielleicht auch wieder nicht).
Aber so viele Leute sind hier. Ich setzte die Ffp2-Maske auf. Gefällt mir
wirklich gut, der Jean-Michel Basquiat. Zu g'schmackig? Nein. Zumindest noch
nicht beim ersten Durchgang (man weiß ja nie...). Aber ich kann kaum sitzen
bleiben. Es geht schon recht ein Drive aus von den Arbeiten. Ich flüchte zu den
Guggingern (Sammlung Chabot). Hier ist es ruhiger und sind weniger Leute. Ich
glaube, ich habe eine uneingestandene, aber starke Sehnsucht nach
Lebensintensivierung und fürchte mich davor. Die Bilder von Basquiat triggern
das. Direkt beruhigend, vor Wallas „Frau, Hacker, Huppe“ zu sitzen. Auch die
Buntheit hier animiert mich zu verrücken. Aber ich halte an mich und
rutsche nur auf der Sitzbank hin und her. Auch die Eva von Verena Bretschneider
kann mich nicht abhalten, aber hilft mir doch nicht über den Zaun. Wallas
„Isoth.!“ mit Mars und Mond („die erregten Schleimhäute“ W. Döbereiner) und
„Solex“ (A. Walla).
Aufwühlend. Ich ahne den eigenen Wahnsinn. Bei Brandl und
Moroder beruhige ich mich. Soll ich noch zu meinen Lieblingsbatlinern gehen?
Wen frage ich?
Ich raste jetzt bei der geliebten Werefkin, aber anscheinend
kann ich kaum ruhig sitzen. Vielleicht sollte ich eine Knoblauch/Zitronen-Kur
machen, gegen die Verkalkung. Mich packt der Nachtschwärmer heute mehr: das
Licht, der Wald, Schnee und Eis, und die Nacht, die Kälte: jagt mir einen
gehörigen Schauer über den Rücken. (Kunst als Erlebnissteigerungsdroge.
Fragwürdig.) Als blauer Fußgänger schreibe ich mir blauer Schrift und gehe
weiter.
„In Dresden, da steht ja die Elbe so still, und die Stadt
fließt so träge vorbei ...“ (Wolf Biermann), Im Hintergrund lichtet der Himmel
sich (Heidegger-Alarm!) und die Düsternis geht vorbei. Die Häuser sind so schön
gemalt, so schön, dass ich heulen könnte (könnte ich heulen). Das Bild ist so
schlicht und so reich. Die Wirklichkeit kann diesem Bild nie standhalten!
„Meine Zukunft ist mindestens so gefährdet wie deine Gegenwart“ denke ich, als
ein alter Mann ganz langsam und mühsam seinen (!) Rollstuhl vorbeischiebt. Ach
Dresden! Ich bin froh, dass ich mir keine Reise dorthin leisten kann – das kann
nur eine Enttäuschung sein! Denn die
Realität ist die Täuschung, das Kokoschka-Bild näher am Eigentlichen
(Heidegger-Alarm!). Ich sollte gleich den Plotin lesen. Der mit seinen
Emanationen sollte mir liegen. Und warum gaffe ich dann den Weibern auf den
Arsch? Gibt es Emanationen, die mich mehr ansprechen? Der alte Mann mit dem
Rollstuhl schiebt jetzt wieder mühsam vorbei; auch ihm schaue ich auf den Hintern,
aber um an seinem schmalpickten meinen zukünftigen Verfall zu sehen. Dabei
lächelt der alte Mann! Das muß ich noch besser lernen. Und jetzt tanzt eine
Frau vorm Bild herum. By the way: auf den Hintern gaffen ist einfacher als von
vorne in Gesicht et cetera. Und der Hintern soll laut Lowen ein wichtiges
Energiereservoir sein – da kann man schon etwas ablesen. Dresden habe ich jetzt
ganz vergessen. Zurück zum Bild, das das Wirkliche besser abbildet als die
Realität. Seitenblicke auf Thönys New York. Es wird ruhig hier. Reisen – eh nur
in Mitteleuropa wäre wirklich nicht schlecht! Auskosten der mitteleuropäischen
Melancholie und sich damit aufblustern. Beim Kokoschka sitzt jeder
Pinselstrich. Jeder.
Ein alter Mann mit Künstlerkapperl, Krücken und Hörgerät
schleppt sich den Kokoschkas entlang. Wann läuft meine Zeit ab? Ich sehe
Hinweise auf bald – oder bilde sie mir in Eitelkeit ein. Auf zu den Klees. Beim
Selfisieren bei den Spiegeln beim depperten Kardinal hebe ich immer im
übertriebenen Überlebensgetue (Wasser bis zum Hals) in übertriebener Weise mein
Kinn. Der Bauch wölbt sich verräterisch im Spiegel und straft meine Melancholie
Lügen: bei Männern sind nur Leptosome als sensibel echt. Wer viel frißt,
braucht nicht mit der Verzweiflung spielen. Also: weiter am glaubwürdigeren
Klee vorbei in den nächsten Saal.
Den freundlichen, geliebten Arbeiter hatte ich total
vergessen, umso mehr freue ich mich, ihn auf meinem Weg zu treffen
(Motesiczky). Das Kastl neben ihm zu Füßen fällt mir heute auf. Zum ersten Male
trotz so vieler Besuche! Was bin ich schaasaugert! Das Handtuch wirft sich auch
so schön in Falten. Wie auch sein Gewand. Die Wand leuchtet aus sich heraus.
Der Mann lächelt.
(10.8.2022)
©Peter Alois Rumpf September 2022
peteraloisrumpf@gmail.com©Peter Alois Rumpf September 2022
peteraloisrumpf@gmail.com
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