Samstag, 10. September 2022

2881 Die Albertina-Basquiat-Tour

 

Ja, frisch, fromm, fröhlich, frei – hier stimmt es und gefällt mir (so frei, fröhlich, fromm, frisch vielleicht auch wieder nicht). Aber so viele Leute sind hier. Ich setzte die Ffp2-Maske auf. Gefällt mir wirklich gut, der Jean-Michel Basquiat. Zu g'schmackig? Nein. Zumindest noch nicht beim ersten Durchgang (man weiß ja nie...). Aber ich kann kaum sitzen bleiben. Es geht schon recht ein Drive aus von den Arbeiten. Ich flüchte zu den Guggingern (Sammlung Chabot). Hier ist es ruhiger und sind weniger Leute. Ich glaube, ich habe eine uneingestandene, aber starke Sehnsucht nach Lebensintensivierung und fürchte mich davor. Die Bilder von Basquiat triggern das. Direkt beruhigend, vor Wallas „Frau, Hacker, Huppe“ zu sitzen. Auch die Buntheit hier animiert mich zu verrücken. Aber ich halte an mich und rutsche nur auf der Sitzbank hin und her. Auch die Eva von Verena Bretschneider kann mich nicht abhalten, aber hilft mir doch nicht über den Zaun. Wallas „Isoth.!“ mit Mars und Mond („die erregten Schleimhäute“ W. Döbereiner) und „Solex“ (A. Walla).

Aufwühlend. Ich ahne den eigenen Wahnsinn. Bei Brandl und Moroder beruhige ich mich. Soll ich noch zu meinen Lieblingsbatlinern gehen? Wen frage ich?

Ich raste jetzt bei der geliebten Werefkin, aber anscheinend kann ich kaum ruhig sitzen. Vielleicht sollte ich eine Knoblauch/Zitronen-Kur machen, gegen die Verkalkung. Mich packt der Nachtschwärmer heute mehr: das Licht, der Wald, Schnee und Eis, und die Nacht, die Kälte: jagt mir einen gehörigen Schauer über den Rücken. (Kunst als Erlebnissteigerungsdroge. Fragwürdig.) Als blauer Fußgänger schreibe ich mir blauer Schrift und gehe weiter.

„In Dresden, da steht ja die Elbe so still, und die Stadt fließt so träge vorbei ...“ (Wolf Biermann), Im Hintergrund lichtet der Himmel sich (Heidegger-Alarm!) und die Düsternis geht vorbei. Die Häuser sind so schön gemalt, so schön, dass ich heulen könnte (könnte ich heulen). Das Bild ist so schlicht und so reich. Die Wirklichkeit kann diesem Bild nie standhalten! „Meine Zukunft ist mindestens so gefährdet wie deine Gegenwart“ denke ich, als ein alter Mann ganz langsam und mühsam seinen (!) Rollstuhl vorbeischiebt. Ach Dresden! Ich bin froh, dass ich mir keine Reise dorthin leisten kann – das kann nur eine Enttäuschung sein! Denn die Realität ist die Täuschung, das Kokoschka-Bild näher am Eigentlichen (Heidegger-Alarm!). Ich sollte gleich den Plotin lesen. Der mit seinen Emanationen sollte mir liegen. Und warum gaffe ich dann den Weibern auf den Arsch? Gibt es Emanationen, die mich mehr ansprechen? Der alte Mann mit dem Rollstuhl schiebt jetzt wieder mühsam vorbei; auch ihm schaue ich auf den Hintern, aber um an seinem schmalpickten meinen zukünftigen Verfall zu sehen. Dabei lächelt der alte Mann! Das muß ich noch besser lernen. Und jetzt tanzt eine Frau vorm Bild herum. By the way: auf den Hintern gaffen ist einfacher als von vorne in Gesicht et cetera. Und der Hintern soll laut Lowen ein wichtiges Energiereservoir sein – da kann man schon etwas ablesen. Dresden habe ich jetzt ganz vergessen. Zurück zum Bild, das das Wirkliche besser abbildet als die Realität. Seitenblicke auf Thönys New York. Es wird ruhig hier. Reisen – eh nur in Mitteleuropa wäre wirklich nicht schlecht! Auskosten der mitteleuropäischen Melancholie und sich damit aufblustern. Beim Kokoschka sitzt jeder Pinselstrich. Jeder.

Ein alter Mann mit Künstlerkapperl, Krücken und Hörgerät schleppt sich den Kokoschkas entlang. Wann läuft meine Zeit ab? Ich sehe Hinweise auf bald – oder bilde sie mir in Eitelkeit ein. Auf zu den Klees. Beim Selfisieren bei den Spiegeln beim depperten Kardinal hebe ich immer im übertriebenen Überlebensgetue (Wasser bis zum Hals) in übertriebener Weise mein Kinn. Der Bauch wölbt sich verräterisch im Spiegel und straft meine Melancholie Lügen: bei Männern sind nur Leptosome als sensibel echt. Wer viel frißt, braucht nicht mit der Verzweiflung spielen. Also: weiter am glaubwürdigeren Klee vorbei in den nächsten Saal.

Den freundlichen, geliebten Arbeiter hatte ich total vergessen, umso mehr freue ich mich, ihn auf meinem Weg zu treffen (Motesiczky). Das Kastl neben ihm zu Füßen fällt mir heute auf. Zum ersten Male trotz so vieler Besuche! Was bin ich schaasaugert! Das Handtuch wirft sich auch so schön in Falten. Wie auch sein Gewand. Die Wand leuchtet aus sich heraus. Der Mann lächelt.

 

(10.8.2022)

©Peter Alois Rumpf  September 2022   peteraloisrumpf@gmail.com©Peter Alois Rumpf  September 2022   peteraloisrumpf@gmail.com

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