2885 Komplexer Morgen
Heute bin ich relativ früh auf. Ich bin sogar aufgeblieben,
nachdem ich die Katze gefüttert hatte, habe ein paar Schluck kalten Kaffees
genommen, der von gestern Nacht übrig geblieben ist, und habe mit dem Gedanken
gespielt, gleich am Vormittag in eines „meiner“ Museen zu gehen. Ich habe das
Laptop aufgedreht um nachzuschauen, welche Ausstellungen wo laufen, aber von
denen, die ich noch nicht besucht habe, hat mich keine besonders angezogen.
Meine Museumspläne gerieten ins Wanken. Außerdem fiel mir ein, dass ich extrem
Geld sparen muß, da mein Konto schon zu sehr überzogen ist (die
Teilrefundierung meiner Psychotherapiekosten ist immer noch nicht eingegangen)
und mein dringender Wunsch, mich nach dem Rundgang in die Lucy-Bar oder ins
Plafond zu setzen – was sowieso schon eine Ausnahme wäre – nicht zu erfüllen
ist. Ich blieb am Computer – gegen meine Gewohnheit im Pyjama – Pyjama ist bei
mir strikt für das Bett; für einen Aufenthalt außerhalb des Bettes kleide ich
mich an – mag es noch so bequeme und schlampige Kleidung sein - also ich
verzettle mich im Internet vulgo Facebook und lege mich schließlich resigniert
wieder ins Bett. Ich decke mich warm zu und beginne zu lesen (M. Sperber).
Aufstehen wollte ich nicht mehr. Ich war auch zu traurig und zu träge, zu
überlegen und zu entscheiden, wann es für mich am günstigsten und für die
Tageskinder am wenigsten störend wäre (Eingewöhnungsphase!), in die Küche hinunter
zu gehen und mir ein Frühstück zu bereiten.
Aber nun bin ich auch der Leserei überdrüssig geworden und
weiß nicht, was tun. Furchtbar müde bin ich und traurig, gelähmt, im Patt und
einfallslos. Mein Magen knurrt hungrig, aber das ficht mich nicht an. Humor
habe ich auch keinen: ich kann über diese veraltete Formulierung nichteinmal
schmunzeln. Meine Gebissmuskulatur schmerzt vom erst jetzt bemerkten
Zähne-zusammen-Beißen. Rasieren und duschen kommt mir zu anstrengend und nass
vor. Vorm Duschen sollte ich auch meine beiden Zöpfe entflechten, auf dass
meine Haare weder verfitzen noch verfilzen und ich sie waschen kann. Wah!
Soviel Mühe! Eine gewisse Hoffnung setze ich auf meine Blase, auf dass sie es
schaffe, mich aus dem Bett zu treiben.
Ich hatte tatsächlich auf die richtige Strategie gesetzt:
als ich den Harndrang nicht mehr ignorieren konnte, bin ich dann doch raus aus
dem warmen Bett. Nicht ohne dass mich einige Missgeschicke noch aufhalten und
zermürben wollten: beim Hantieren mit der Lesebrille ist mir das eine oder
andere von meinem Nachtkästchen unter das Bett gefallen, wobei mir die Unlust,
im Staub unter dem Bett herumzuwühlen, mein Pflichtbewußtsein, das mich
auffordert, das Hinuntergefallene sofort aufzuheben, torpediert hat und damit
auch das Pflichtbewußtsein, das mich auffordert, jetzt endlich aufzustehen.
Erst recht, als beim Öffnen der Lüftungsklappe in der Wand über dem Kopfende
meines Bettes der Griff des Verriegelungsmechanismus sich losgelöst hat und
heruntergefallen ist und mit ihm der dort aufgehängte BH-ähnliche Oberteil, ein
Kleidungsstück meiner Frau, das sofort tief hinters Bett gefallen ist, wo ich
nicht so einfach hingelange. Dieses Oberteil, das meine Frau weggeworfen hatte,
weil „es nicht passt und der Busen ständig irgendwo hervorquillt“, hatte ich
gerade deswegen aus dem Müll gefischt und als Fetisch bei mir überm Bett
aufgehängt. Denn jetzt im Alter werde ich immer infantiler und immer mehr zum Busenfetischisten, den
solche Teile anziehen. Ich muß gestehen, dass ich einmal bei einem Film, wo die
Ursula Strauss eine Betrunkene spielend oben ohne getanzt hat, sogar geweint
habe! So schaut's aus! Gut, inzwischen ist es schon so weit, dass mir die Tränen kommen, wenn ich ein Photo einer zum Almabtrieb geschmückten Kuh sehe.
Aber ich habe allen Anfechtungen widerstanden und bin doch
aufgestanden und rasiert habe ich mich bereits; jetzt werde ich meine Schwielen
an den Fußsohlen abschaben, dann die Zöpfe entflechten, duschen etcetera. Dann
sollte alles fürs Frühstücken passen. Nein! Vorher hole ich noch die
heruntergefallenen Fetische unter dem Bett hervor. Ich habe mich wieder im Griff!
(13.9.2022)
©Peter Alois Rumpf September 2022 peteraloisrumpf@gmail.com
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