2270 Dawn of your Lifestyle
Der plötzlich sehr heftige Windstoß schmeißt mir die
abgelegte Brille von der Bank und bläst meinen nicht ganz leeren Rucksack
beinahe davon. Dabei wollte ich es heute langsam angehen und mich in diesen mir
bisher eher unzugänglichen Platz mit den drei – momentan hysterisch zuckenden –
Bäumen, der mir von den Fenstern oben immer so anziehend erscheint,
eingewöhnen. Ein fe- bis feister Arbeiter muß die hingesprayte Aufschrift „dawn
of your lifestyle“ am Nachbarhaus überpinseln. Dabei ist das eines der
intelligentesten Graffiti weit und breit. Diese Botschaft will nicht gehört und
nichteinmal gelesen werden: ja, das dreht der Spießbürger durch, noch dazu bei
verletzten Eigentumsrechten.
Ich nehme einen zweiten Anlauf, an diesem Ort für seriöses
Schreiben ruhig zu werden – nicht so leicht bei dem nervösen Wind, der an mir,
den Blättern meines Notizbuches und an den Bäumen zerrt und reißt, sodaß ihre
Schatten verzweifelt und wie verrückt tanzen. Und immer glaube ich, im rechten
Eck meines Gesichtsfeldes bewegt sich wer und hüpft heran und ich schaue
schnell hin um mich der Situation zu vergewissern. Jedenfalls bin ich
freiwillig hier (T-Shirt!).
Das andere intelligente Graffito steht vorne rechts an der
Hausmauer: „Sexismus tötet“ und da es aus schön gestalteten Buchstaben, aber
auf an die Wand geklebtes Papier besteht, ist es schon recht zerzupft, weil
alle möglichen Lümmel – einen Buben habe ich von oben vom Fenster aus dabei
gesehen – daran herumkletzeln.
Ich möchte hier ruhig werden, hier, im Vorfeld und Weichbild
„unseres“ Hauses. Aber richtig aggressiv und laut schlägt mir der Wind die
Notizbuchblätter auf die Finger meiner Schreibhand – die Windgötter wollen
nicht, dass ich schreibe. Oder der Mister Uranus himself? Ihr könnt mich mal!
Jetzt ist es zu spät für Belehrungen und Herumjagerei. Wenn euch etwas nicht
passt, dann schriftlich, leserlich geschrieben, an meinen Namen adressiert und
auf Deutsch, weil ich anderer Sprachen nicht mächtig bin – meinetwegen in
griechischen Buchstaben, Herr Uranos. Auf „mene mene tekel upharsin“ reagiere
ich nicht mehr, ihr Gelichter! Jetzt kräht ein Kähenvogel! Das auch noch.
Gedankenlos schaue ich auf meine stehengebliebene Uhr, die
mir nur als Statement dient. Nicht blöd, diese Windgötter! Denn auf der Uhr
steht „Sturm 1909“. Gemeint ist natürlich Sturm Graz. Nicht blöd! Also gut, was
wollt ihr da oben mir da herunten sagen? „Schwarzes Loch sucht Restmaterie“
steht am Mistkübel links von mir. Bloß ein schwacher, aber doch ein Trost, wenn
man schon weiß, wo man im Absterben Amen landen wird. Aber das wäre mir nicht
neu (Eine Taube ruckelt und zuckelt sich vorbei; der bajuwarische Affenarsch
sagt „der Himmel signiert mit Tauben“). Gibt es sonst noch was, was ihr
Windigen mir unbedingt mitteilen wollt? Ihr Windgötter, ist das eigentlich von
ganz oben abgesegnet, gezeichnet und paraphiert? Oder treibt ihr eure eigenen
Spielchen (Spielchen ιδιοτής)? (Altgriechischkenner: bitte übersetzt mir
„Spielchen“ und bringt mir des idiotisch eigene in die richtige
grammatikalische Form! Danke!)
„Einbahn“ steht auch noch und „ausgen.“. Wohin meine Einbahn
führt, das haben wir schon; und mein Radl habe ich schon längst weggegeben. Nur
den Schlüssel vom Fahrradschloß trage ich noch auf meinem Schlüsselbund.
Das nackte Weib ganz oben an „unserem“ Haus und ihr bärtiger
Haberer sind schon sehr verdreckt (ich weiß: das Weib, sein Haberer,
aber ich bin dafür, dass man „sie“ zu Weib und Mädchen sagen kann. Diese
Sprachentwicklung unterstütze ich, denn ich will, dass sich die durchsetzt. Den
Puristen zum Ärgernis.)
Heute nehme ich alle die Blechkübeln – die sich eben nicht
selbst, sondern mit fremder Energie bewegen – aber auch die sinnlos
herumstehenden und Raum und Sicht raubenden – ich nehme sie relativ gelassen
hin.
Wenn ich mich umdrehe, kann ich auch „ausgenommen (Stecker)“
lesen.
Aber nun holt mich mein Weib ab. Sie (sic!) will mit mir
einkaufen gehen.
(26.5.2021)
©Peter Alois Rumpf Mai 2021
peteraloisrumpf@gmail.com
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