Donnerstag, 27. Mai 2021

2260 Opernabend

 

Völlig überraschend habe ich mich in einen veritablen Opernabend hineinmanövriert, mit Monteverdi, Weihrauch und Votivlichtlein bei meiner Steingöttin. Die Dämmerung sickert in den Raum, denn es gibt nur drei kleine Lichter: das besagte bei den drei übereinander geschlichteten Steinen, das unter dem Weihrauchkesselchen, und das blaue vom Radioapparat. Als hätte ich eine alte Tradition von mir wieder entdeckt: ich denke an des Miles-Davis-Hören im Dachgeschoß in der Keplerstraße in Graz mit Blick auf die Mur, wenn man zum kleinen Fenster geht, zum Beispiel. Oder den Ecalator Over The Hill daselbst. Oder Gulda/Golowin (Kaasgraben). Die einsamen Nachmittage und Abende bei Kerzenlicht, Dämmerung und Musik.

Das Kerzenlicht wird jetzt klein, verletzlich und schön und zitternd wie kleine Sterne, während das unverstandene Drama in der Oper fortschreitet. Vor der Steinchenskulptur auf meinem Hausaltar flackert filigran die Kerze, in der schmerzvollen Dramatik der Oper in nichts nachstehend. Leben, Glück und Gelingen sind dort und da gefährdet.

Ich überrede meine liebe Frau, sich zu mir aufs Bett zu legen und mit mir die Oper anzuhören. Wenigstens eine kleine Weile. Sie hat alle möglichen Bedenken: Katzenhaare, dass sie einschläft … Aber es gelingt mir, sie zu überreden: immerhin hält sie einen halben Akt bei mir in meinem Zimmer aus, was so, aneinander geschmiegt und keusch, sehr schön ist. Tatsächlich schläft sie ein. Ich habe Mitleid (oder Mitgefühl) mit ihr und sage, dass sie nicht bleiben muß, wenn sie es nicht aushält. Und wirklich: sie steht auf und geht. Dafür kommt jetzt die Katze, die ihre Chance ergreift, denn sie liegt gern bei mir.

Dafür blicke ich nun durchs Fenster auf die Nacht und die Mauer und mir dämmert: da draußen lauert alles: der ganze Mob aller Zeiten, die ganzen Mordbanden, die nur warten, dass sie zuschlagen dürfen. Weniger pathetisch: dort hinterm Fenster lauert der Tod. Mein Tod. Das zerbrechliche Fenster hat es mir bewußt gemacht.

Ich bin nahe dran, das Radio und die – offensichtlich – aufwühlende Oper, von deren Thema und Handlung ich keine Ahnung habe, abzudrehen.

Ich wundere mich über diese Gedanken beim Anhören dieser schönen, Gottseidank unverputzten Barockoper. In der Pause zwischen erstem und zweiten Akt erfahre ich durch die Radioansage, dass es in dieser Oper auch um Gewalt geht.

Jetzt verstehe ich, warum mir beim Betrachten der nächtlichen Mauer diese Gedanken in den Sinn gekommen sind: Diese Mauern haben genug gesehen. Dieses Haus, in dem ich wohne, war ein jüdisches, chassidisches Haus, und in der schlimmsten Zeit aller schlimmen Zeiten, die dieser Ort gesehen hat, in der Nazizeit, war hier ein Sammelllager.

 

(22.5.2021)

 

©Peter Alois Rumpf   Mai 2021   peteraloisrumpf@gmail.com

 

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