2260 Opernabend
Völlig überraschend habe ich mich in einen veritablen
Opernabend hineinmanövriert, mit Monteverdi, Weihrauch und Votivlichtlein bei
meiner Steingöttin. Die Dämmerung sickert in den Raum, denn es gibt nur drei
kleine Lichter: das besagte bei den drei übereinander geschlichteten Steinen,
das unter dem Weihrauchkesselchen, und das blaue vom Radioapparat. Als hätte
ich eine alte Tradition von mir wieder entdeckt: ich denke an des
Miles-Davis-Hören im Dachgeschoß in der Keplerstraße in Graz mit Blick auf die
Mur, wenn man zum kleinen Fenster geht, zum Beispiel. Oder den Ecalator Over
The Hill daselbst. Oder Gulda/Golowin (Kaasgraben). Die einsamen Nachmittage
und Abende bei Kerzenlicht, Dämmerung und Musik.
Das Kerzenlicht wird jetzt klein, verletzlich und schön und
zitternd wie kleine Sterne, während das unverstandene Drama in der Oper
fortschreitet. Vor der Steinchenskulptur auf meinem Hausaltar flackert filigran
die Kerze, in der schmerzvollen Dramatik der Oper in nichts nachstehend. Leben,
Glück und Gelingen sind dort und da gefährdet.
Ich überrede meine liebe Frau, sich zu mir aufs Bett zu
legen und mit mir die Oper anzuhören. Wenigstens eine kleine Weile. Sie hat
alle möglichen Bedenken: Katzenhaare, dass sie einschläft … Aber es gelingt
mir, sie zu überreden: immerhin hält sie einen halben Akt bei mir in meinem
Zimmer aus, was so, aneinander geschmiegt und keusch, sehr schön ist.
Tatsächlich schläft sie ein. Ich habe Mitleid (oder Mitgefühl) mit ihr und
sage, dass sie nicht bleiben muß, wenn sie es nicht aushält. Und wirklich: sie
steht auf und geht. Dafür kommt jetzt die Katze, die ihre Chance ergreift, denn
sie liegt gern bei mir.
Dafür blicke ich nun durchs Fenster auf die Nacht und die
Mauer und mir dämmert: da draußen lauert alles: der ganze Mob aller Zeiten, die
ganzen Mordbanden, die nur warten, dass sie zuschlagen dürfen. Weniger
pathetisch: dort hinterm Fenster lauert der Tod. Mein Tod. Das zerbrechliche
Fenster hat es mir bewußt gemacht.
Ich bin nahe dran, das Radio und die – offensichtlich –
aufwühlende Oper, von deren Thema und Handlung ich keine Ahnung habe,
abzudrehen.
Ich wundere mich über diese Gedanken beim Anhören dieser
schönen, Gottseidank unverputzten Barockoper. In der Pause zwischen erstem und
zweiten Akt erfahre ich durch die Radioansage, dass es in dieser Oper auch um
Gewalt geht.
Jetzt verstehe ich, warum mir beim Betrachten der
nächtlichen Mauer diese Gedanken in den Sinn gekommen sind: Diese Mauern haben
genug gesehen. Dieses Haus, in dem ich wohne, war ein jüdisches, chassidisches
Haus, und in der schlimmsten Zeit aller schlimmen Zeiten, die dieser Ort
gesehen hat, in der Nazizeit, war hier ein Sammelllager.
(22.5.2021)
©Peter Alois Rumpf Mai 2021
peteraloisrumpf@gmail.com
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