Donnerstag, 27. Mai 2021

2254 In der Albertina blicke ich

 

In der Albertina blicke ich vom Vuillard zum Manguin hin und vom Manguin wieder her zum Vuillard – und heute gefällt mir der manguinische Weiberarsch fast mehr, als des blaue Zimmer von Vuillard, das bisher mein Favorit hier in der Ecke war. Aber lange kann ich hier nicht stehen, mein Kreuz droht zu rebellieren. Schade, dass es hier keine Sitzgelegenheit gibt, ich würde das noch gern ausschnapsen. Ich schwitze unter der Maske und bekomme zu wenig Luft. Wie immer öfters in den letzten Tagen und mir wird auch leicht übel. So raste ich bei der geliebten Werefkin und verliere mich ein wenig in ihren Bilderzählungen von magischen Welten ganz nah bei unserer. Alle anderen Bilder lasse ich links und rechts liegen. Ich speanzel nur durch den Durchgang in den anderen Saal auf einen kleinen linken Streifen der Winterlandschaft von Nolde. Aber wieder zurück zum magischen Wolf und zum magischen Café der Werefkin! Achja! einem Jawlensky in meinem Rücken erweise ich noch meine Referenz indem ich meinen verschwitzten Körper umdrehe, einen in diese Haltung gerne einfahrenden Kreuzschmerz riskierend, der aber Gottseikrank ausbleibt.

Oh! Im anderen Raum hängt neu ein Walde! Alfons (Martin wäre … also das ginge nicht: der hat ja vor Jahrzehnten unter anderem meine Bilder photographiert), Kitzpichl. Ich will das länger anschauen, aber erschrocken stelle ich fest, dass ich meine Kokoschkas durch den Durchgang in den nächsten Saal nicht wie gewohnt sehe! Sofort mach ich mich auf den Weg.

Sie hängen ganz rechts in der Ecke und weit ab von der Sitzbank, die hier wollen wohl die zwei Boeckls in den Fokus rücken – zu recht! Zu recht! - und den Gartenkokoschka; aber meine Hits bleiben London und Dresden (mein Verdacht, wer Boeckls Modell sein könnte, erweist sich bei der Lektüre des Beipackzettels als Irrtum (auch meine Vermutungen können in die Irre gehen)).

Ach London! Himmlisches London! Jetzt von einer mächtigen Frau – fast so breit wie hoch – in massiven, schönen Rot – verstellt. Sie hat sich weggewälzt (so wirkt ihr wackelnder, aber fester Gang). Ja, himmlisches London, das himmlische Licht kommt von oben und aus dem Hintergrund schon näher und wird dich bald aufnehmen. In Dresden „da steht ja die Elbe so still, und die Stadt fließt so träge vorbei“ (Biermann), da ist mehr Dunkelheit, das Licht ganz in der Ferne könnte auch Feuer sein (der Kokoschka hatte die Gabe der Prophetie). (Und London? Geht da wieder deine Spekuliererei durch, Bursche? London ist noch nicht erlöst.)

Ich raste beim depperten Kardinal und mache von mir ein Photo, das ich vermutlich nicht hochladen können werde. Die Jawlenskys haben zugenommen, die Klees abgenommen. (Der Kardinal ist ein energieloses Männchen, die Arme hängen ihm wie arme Würmer herab, die Mitra rutscht auf seinem infantilen Knabenschädel bis zu den Augenbrauen herunter, fast über die Augen, wenn er nicht aufpasst, aufrecht gehalten wird er von seinem steifen Ornat, und mit seinem hüstelnden Gesicht und den verkrampften Händen, die bestenfalls zum schwächlichen Herumwacheln taugen, erinnert er mich an den E.C. aus meiner Grazer Zeit. Die Götter – oder wer immer dafür zuständig ist – bestrafen mich sogleich für meine wütende Frechheit und drehen mir den MP3-Player wegen Energiemangels ab. Okay. Noch ein Photo, dann gehe ich weiter.

Motesiczkys Arbeiter ist da, aber der schöne, magische Kröpfelweg ist weg (magisch heißt: weist über sich selbst hinaus), aber den freundlichen Arbeiter mag ich auch. In letzter Zeit bekomme ich unter der Maske zu wenig Luft; ich werde nicht mehr lange hier bleiben. Ein wenig schaue ich mir noch den Arbeiter an – seine Revolution wäre vielleicht milde und freundlich verlaufen. Vielleicht (meine Spekulationen irren sich oft).

An den geliebten Giacomettis eile ich vorbei, keine Sitzmöglichkeit, keine Luft mehr. Nur schnell noch in die andere Abteilung, um wie letztens andächtig vor der Rembrandt-Skizze innezuhalten und sie aufzunehmen, für die ich alle anderen Bilder bleiben lassen würde. Ich spreche sogar deswegen eine Wächterin an – klar, freilich, natürlich fühlt sie sich belästigt und sie darf sich auch nicht ablenken lassen – aber ich will halt auch manchmal reden und mich mitteilen – und so ohne jedes Amt und ohne Würden, absolut am Abstellgleis, geht das nur mehr in der Rolle als alter Trottel und Karikatur meiner selbst. Bis zum Absterben Amen.

 

(19.5.2021)

 

©Peter Alois Rumpf   Mai 2021   peteraloisrumpf@gmail.com

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