2254 In der Albertina blicke ich
In der Albertina blicke ich vom Vuillard zum Manguin hin und vom Manguin wieder her zum Vuillard – und heute gefällt mir der
manguinische Weiberarsch fast mehr, als des blaue Zimmer von Vuillard, das
bisher mein Favorit hier in der Ecke war. Aber lange kann ich hier nicht
stehen, mein Kreuz droht zu rebellieren. Schade, dass es hier keine
Sitzgelegenheit gibt, ich würde das noch gern ausschnapsen. Ich schwitze unter
der Maske und bekomme zu wenig Luft. Wie immer öfters in den letzten Tagen und
mir wird auch leicht übel. So raste ich bei der geliebten Werefkin und verliere
mich ein wenig in ihren Bilderzählungen von magischen Welten ganz nah bei
unserer. Alle anderen Bilder lasse ich links und rechts liegen. Ich speanzel
nur durch den Durchgang in den anderen Saal auf einen kleinen linken Streifen
der Winterlandschaft von Nolde. Aber wieder zurück zum magischen Wolf und zum
magischen Café der Werefkin! Achja! einem Jawlensky in meinem Rücken erweise
ich noch meine Referenz indem ich meinen verschwitzten Körper umdrehe, einen in
diese Haltung gerne einfahrenden Kreuzschmerz riskierend, der aber Gottseikrank
ausbleibt.
Oh! Im anderen Raum hängt neu ein Walde! Alfons (Martin wäre
… also das ginge nicht: der hat ja vor Jahrzehnten unter anderem meine Bilder
photographiert), Kitzpichl. Ich will das länger anschauen, aber erschrocken
stelle ich fest, dass ich meine Kokoschkas durch den Durchgang in den nächsten
Saal nicht wie gewohnt sehe! Sofort mach ich mich auf den Weg.
Sie hängen ganz rechts in der Ecke und weit ab von der
Sitzbank, die hier wollen wohl die zwei Boeckls in den Fokus rücken – zu recht!
Zu recht! - und den Gartenkokoschka; aber meine Hits bleiben London und Dresden
(mein Verdacht, wer Boeckls Modell sein könnte, erweist sich bei der Lektüre
des Beipackzettels als Irrtum (auch meine Vermutungen können in die Irre
gehen)).
Ach London! Himmlisches London! Jetzt von einer mächtigen
Frau – fast so breit wie hoch – in massiven, schönen Rot – verstellt. Sie hat
sich weggewälzt (so wirkt ihr wackelnder, aber fester Gang). Ja, himmlisches
London, das himmlische Licht kommt von oben und aus dem Hintergrund schon näher
und wird dich bald aufnehmen. In Dresden „da steht ja die Elbe so still, und
die Stadt fließt so träge vorbei“ (Biermann), da ist mehr Dunkelheit, das Licht
ganz in der Ferne könnte auch Feuer sein (der Kokoschka hatte die Gabe der
Prophetie). (Und London? Geht da wieder deine Spekuliererei durch, Bursche?
London ist noch nicht erlöst.)
Ich raste beim depperten Kardinal und mache von mir ein
Photo, das ich vermutlich nicht hochladen können werde. Die Jawlenskys haben
zugenommen, die Klees abgenommen. (Der Kardinal ist ein energieloses Männchen,
die Arme hängen ihm wie arme Würmer herab, die Mitra rutscht auf seinem
infantilen Knabenschädel bis zu den Augenbrauen herunter, fast über die Augen,
wenn er nicht aufpasst, aufrecht gehalten wird er von seinem steifen Ornat, und
mit seinem hüstelnden Gesicht und den verkrampften Händen, die bestenfalls zum
schwächlichen Herumwacheln taugen, erinnert er mich an den E.C. aus meiner
Grazer Zeit. Die Götter – oder wer immer dafür zuständig ist – bestrafen mich
sogleich für meine wütende Frechheit und drehen mir den MP3-Player wegen
Energiemangels ab. Okay. Noch ein Photo, dann gehe ich weiter.
Motesiczkys Arbeiter ist da, aber der schöne, magische
Kröpfelweg ist weg (magisch heißt: weist über sich selbst hinaus), aber den
freundlichen Arbeiter mag ich auch. In letzter Zeit bekomme ich unter der Maske
zu wenig Luft; ich werde nicht mehr lange hier bleiben. Ein wenig schaue ich
mir noch den Arbeiter an – seine Revolution wäre vielleicht milde und
freundlich verlaufen. Vielleicht (meine Spekulationen irren sich oft).
An den geliebten Giacomettis eile ich vorbei, keine
Sitzmöglichkeit, keine Luft mehr. Nur schnell noch in die andere Abteilung, um
wie letztens andächtig vor der Rembrandt-Skizze innezuhalten und sie
aufzunehmen, für die ich alle anderen Bilder bleiben lassen würde. Ich spreche
sogar deswegen eine Wächterin an – klar, freilich, natürlich fühlt sie sich
belästigt und sie darf sich auch nicht ablenken lassen – aber ich will halt
auch manchmal reden und mich mitteilen – und so ohne jedes Amt und ohne Würden,
absolut am Abstellgleis, geht das nur mehr in der Rolle als alter Trottel und
Karikatur meiner selbst. Bis zum Absterben Amen.
(19.5.2021)
©Peter Alois Rumpf Mai 2021
peteraloisrumpf@gmail.com
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