Montag, 16. Dezember 2019

1660 Die Lobauquerung


Als ich hinuntergehe, begrüßen mich die Tageskinder lieb und freundlich, und ich grüße dankbar zurück. Sie sind gerade angekommen und ich gehe mit Rucksack und den Walkingstecken ins Vorzimmer und meine Frau sagt: “ah, das sieht frisch aus!“ Ich habe diese unnötige, aufmunternde, affirmative und pädagogische Bemerkung an meinem Ärger und an meiner Arroganz abprallen lassen, sonst wäre ich umgedreht und in mein Zimmer zurück. Denn ich will weder Optimismus noch Frische beweisen – ich bin sowieso ein Feind der hausfräulichen Frischeideologie! Ein Brot zum Beispiel schmeckt besser, wenn es nicht mehr ganz frisch ist.

Ich will nur durch dichten Nebel gehen, die Welt im Nebel in ihrer Aufdringlichkeit sehr heruntergedämpft, die Spitzen der Alltagsaggressionen aufgeweicht, ich will nichts von „Und die Morgenfrühe, das ist...“-Fröhlichkeit und niemandem nichts beweisen.

Was die „pädagogische Intervention“ (auch so eine Art doppeltes Deppenapostroph?) betrifft, gilt das Gesagte gegebenenfalls auch für meine Interventionen, auch meinen Töchtern gegenüber.

Als ich dann endlich in der Lobau angekommen bin – ich vergesse immer wieder den kürzeren Weg über die U2 – hat sich der Nebel schon zu einem Hochnebel gehoben, der sich an manchen Stellen bereits zu lichten beginnt, und der Lärm der Stadt und vor allem der Flugzeuge des nahen Flughafens ist zu laut. Trotzdem wird mir die kleine Wanderung gut tun (so muß man doch denken! Zu denken: „wäre ich daheim geblieben“ ist ein Tabu in unseren Zeiten. Das muß einfach gesund sein. Dem komm ich auch nicht aus.)

Ich möchte auch niemandem beweisen, daß ich aus meiner Depression herauskomme, warum auch? Meine Lebensumstände sind deprimierend. Ich soll das anders sehen! Ich soll das anders sehen! Schön und gut – das ändert aber nichts an meiner Lage, nichts an meinem inneren Ankläger (hebräisch שָׂטָן; Satan), nichts an meinem Leben im Abseits. Ach!

Für kurze Zeit kommt die Sonne heraus; die weitet Herz und Raum - gebe ich gerne zu. Ansonsten habe ich mir bei meiner Lobauwanderung starke Kreuzschmerzen geholt, aber gut durchlüftet werde ich schon sein.









(16.12.2019)









©Peter Alois Rumpf,  Dezember 2019  peteraloisrumpf@gmail.com

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