1656 „I'm With You“
Der gemütskranke Mann ist nicht „der schwimmende Mann“, aber
schaut auf den ersten Blick so ähnlich aus. Aber bei jenem geht nichts weiter.
Im Übrigen: möglicherweise wäre ich heute ganz am Morgen als kranker Mann im
Halbschlaf nicht nur zum „schwimmenden Mann“ (laut Andreas Vitasek eine
Tantrastellung) fähig gewesen, sondern vielleicht sogar zum „fünfbeinigen Hund“
(allerdings nicht realitätsgetestet). Und jetzt siehe oben.
Also ich geh nicht mehr außer Haus. Was soll ich dort? Auf
den Tod warten kann ich hier im warmen Bett auch. Mir fehlt nämlich ein
gscheiter oder auch blöder Lebenssinn. Und es ist anstrengend genug, dem
Wunsch, es gut sein zu lassen, zu widerstehen. So warte ich eben und schaue mir
im Internet viele KabarettistInnen an, das hilft, und wenn mir selbst ein
lustiger Text gelingt – schmunzeln genügt! - dann erst recht. Und ich stimme
Alex Kristan im Grundsatz zu: „lieber eine Depression im Porsche, als in der
U-Bahn“, auch wenn es für mich in diesem Punkt gerade umgekehrt wäre:
der Porsche interessiert mich persönlich überhaupt nicht, aber als Reicher in
der U-Bahn und dann aussteigen und Essen gehen, stundenlang Kaffeehaussitzen,
reisen (mit dem Zug) … ja, sagen wir: im Anzug, mit ganz leichtem Gepäck, was
ich sonst noch brauch kaufe ich im angereisten Ort vor Ort (kann mir jemand
erklären, warum es „vor Ort“ heißt, wenn man dort ist? Aus der
Kriminalberichterstattung, weil der Tatort immer abgesperrt ist?). Ich müßte
nicht zum tausendsten Mal mein Zimmer beschreiben – an dem ist nichts falsch!
Ich finde es großartig, wie variantenreich und neu ich jedesmal dasselbe Zimmer
beschreibe (dasselbe? πάντα ῥεῖ!) - aber ich müßte nicht; ich könnte viele
verschiedene Hotelzimmer, Orte, Landschaften, Laute etcetera aufnehmen und
betrachten.
Übrigens hocke ich jetzt gar nicht in meinem Zimmer, sondern
vor dem dunkelgelben, orangelichem Distelblütenlicht.
Reich sein heißt mobil sein. Können, aber nicht müssen.
Meine Reisen würden über Europa nicht hinausgehen. Die Karibik zum Beispiel
interessiert mich genauso wenig wie der Rum. Aber Schruns-Tschagguns (H.C.
Artmann!) oder Kamnik und Celje würden mich interessieren; ebenso wieder
Narvik, und Rovanjemi, wo ich es damals nicht hin geschafft habe. Oder Graz,
Sinabelkirchen und Stinatz. Oder Zirl, Vienne, Avignon, La Collada/ San Pelayo
de Tehona, Ilirska Bistrica (Illyrisch Feistritz), Slovenj Gradec
(Windischgrätz), diverse Hauptstädte, Càk,
und und und.
Also keine Abenteuerreisen! Kein Interesse! Ich will
gar nichts mehr erleben (vergessen? Ich warte auf Bruder Hain). Alles
rechtliche wäre geregelt: Begräbnis, Erbschaft. Ich glaube, ich würde verfügen,
daß mein Leichnam an Ort und Stelle des Todes verbrannt und begraben werden
solle, egal wo. Eventuell ausgestreut; ein Waldfriedhof könnte mich auch noch
interessieren.
Das alles, vom Kaffeehaus bis nach XY ist außer meiner
Reichweite, momentan, aber wir werden es demütig hinnehmen (bleibt mir auch gar
nichts anderes über, ich (ich!) habe keine andere Wahl).
Ich gehe aufs Klo. Und nachher habe ich brav mein
Antidepressivum eingenommen und komme mir dabei immer noch etwas blöd vor, als
Versager, weil ich es nicht selber geschafft habe. Und entmündigt. Wobei ich
gestehen muß, dass ich das brav hingeschrieben, aber nach dem Klobesuch schon
wieder vergessen hatte und die Tablette (I'm with you! Red Hot Chili Peppers)
erst Stunden später eingeworfen habe (klingt gleich cooler; und wäre es eine
illegale Droge, dann noch cooler).
Was könnte mich noch hinaus locken? Konsum!
Bücher, CDs, Konzerte, Theater, Museen, Kleidung, vielleicht
sogar Schmuck – ein paar coole Ringe, oder eben die Zugreisen. Das einzige
Abenteuer daran wäre, daß ich im Normalfall weder Zug noch Hotel (La Collada:
die Ausnahme) reservieren würde. Spontanes Aussteigen möglich!
Außerdem hat der Lukas Resetarits recht: in den
Siebzigerjahren war es leichter. Da hatten wir noch viel Hoffnung und ich noch
nicht so extreme Legasthenie.
(15.12.2019)
©Peter Alois Rumpf, Dezember 2019
peteraloisrumpf@gmail.com
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