1226 Der Wundertäter
Der Wundertäter (eine Figur, die ich von Daniil Charms „die
alte Frau“ gestohlen habe – ich denke, es ist keine Schande, wenn schon, dann
bei den Besten zu stehlen – das ist nämlich ein Wundertäter, der nie ein Wunder
vollbringt), der Wundertäter also verläßt mit seiner Frau das Hotel, wo sie
sich aus zwei verschiedenen Richtungen
kommend getroffen hatten. Aber bevor sie es wirklich verlassen, überlegen sie,
ob sie ihr Gepäck auch nach dem Auschecken bei der Rezeption zwischenlagern
sollen, bis der Zug der Wundertäterin
abfährt, damit sie ohne Gepäck die Stadt erkunden können, oder ob sie es – des Wundertäters
Vorschlag – gleich zum Bahnhof bringen und dort in ein Gepäckfach ablegen
sollen. Es sei nicht weit, argumentiert der Wundertäter, fünf, höchstens zehn
Minuten von hier, und dann sei es dort, wo sie es wieder brauchen. Da bei der
Rezeption des Hotels eine Schlange ansteht, willigt sie ein und sie verlassen
das Hotel und gehen los. Sie, die Ehefrau, tendiert nach links, da sie in
dieser Richtung den Bahnhof vermutet, der Wundertäter jedoch, der sich viel auf
seine gute Orientierung einbildet, tendiert nach rechts. Sie starten in etwa
geradeaus, dann setzt sich der Wundertäter durch (aus Gutmütigkeit der Frau)
und sie biegen immer mehr nach rechts. (Wir vergessen nicht: der Wundertäter hätte nur mit den Fingern
schnipsen brauchen – so erklärt es Daniil Charms – und sie wären am Bahnhof
oder ihr Gepäck im Schließfach. Aber er tut es nicht.)
Was dem Wundertäter auffällt: der Weg
wird immer länger, mindestens viermal so lang wie vorgesehen und versprochen.
Seine Frau glaubt nicht, daß sie den richtigen Weg gehen, aber dem Wundertäter zuliebe folgt sie ihm ohne zu
meckern. Der Wundertäter hätte nur mit den Fingern schnipsen brauchen und der
Weg wäre kürzer geworden, aber er tut es nicht. Endlich erreichen sie die
Bahnhofstraße, deutlich angeschrieben, wie es der Wundertäter prognostiziert
hatte, und er fordert seine Frau auf, die Richtigkeit seiner
Orientierungsansage anzuerkennen. „Wunderbar!“ sagt sie. Er meint, sie könnte
es noch deutlicher mit ihm als eindeutigerem Adressaten der Anerkennung
aussprechen und daß er es war, der den richtigen Weg gefunden hat und nicht sie.
„Wenn wir deinen Weg gegangen wären, wären wir wahrscheinlich bei Rust
herausgekommen“ behauptet er. „Wunderbar!“ sagt sie wieder, aber da es aus ihr nicht
präziser herauszubekommen ist, meint er zu ihr, nicht ohne Resignation: „Einmal
geht’s noch!“ „Wunderbar!“ antwortet sie und der Wundertäter läßt das als ihre Anerkennung
seiner Orientierungsüberlegenheit gelten.
Aber auch die Bahnhofstraße wird länger als geplant und auch
der Wundertäter wird etwas unsicher. Tapfer stapft er mit seinem und ihrem
Gepäck am Buckel, gestützt auf den Gehstock weiter, bittet seine Gemahlin um ihr
Vertrauen, als er sie auf die andere Seite der Straße und durch eine
Unterführung führt, scheinbar endlos zieht sich die Straße dahin, als endlich
der Bahnhof in Sicht kommt und mit letzter Anstrengung erreicht wird. Dort angelangt
fällt ihm auf, daß es zwar ein Wartezimmerhinweisschild gibt, aber kein
explizites für eine Gepäckablage. Und tatsächlich! Ein Wunder ist geschehen!: es
gibt am ganzen Bahnhof weder eine Gepäckaufgabestelle, noch Münzschließfächer! „Das gibt’s nicht!“ ruft der Wundertäter aus und
umkreist den Bahnhof zuerst gegen den Uhrzeigersinn, und dann im Uhrzeigersinn.
Umsonst! Die Gepäcksschließfächer bleiben verschwunden!
„Ich werde der ÖBB einen Brief schreiben. Das geht nicht! Der
Bahnhof einer Landeshauptstadt und keine Gepäcksablage!“ schimpft er im Weggehen,
beladen mit seinem und ihrem Gepäck. „Nein, ich schreibe dem Landeshauptmann!“
Und nach ein paar weiteren Schritten „Nein, ich schreibe gleich dem Fürsten
Esterhazy! Soo geht das nicht!“
(13.1.2019)
©Peter Alois Rumpf
Jänner 2019
peteraloisrumpf@gmail.com
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