Sonntag, 13. Januar 2019

1226 Der Wundertäter


Der Wundertäter (eine Figur, die ich von Daniil Charms „die alte Frau“ gestohlen habe – ich denke, es ist keine Schande, wenn schon, dann bei den Besten zu stehlen – das ist nämlich ein Wundertäter, der nie ein Wunder vollbringt), der Wundertäter also verläßt mit seiner Frau das Hotel, wo sie sich aus zwei verschiedenen Richtungen kommend getroffen hatten. Aber bevor sie es wirklich verlassen, überlegen sie, ob sie ihr Gepäck auch nach dem Auschecken bei der Rezeption zwischenlagern sollen, bis der Zug der Wundertäterin abfährt, damit sie ohne Gepäck die Stadt erkunden können, oder ob sie es – des Wundertäters Vorschlag – gleich zum Bahnhof bringen und dort in ein Gepäckfach ablegen sollen. Es sei nicht weit, argumentiert der Wundertäter, fünf, höchstens zehn Minuten von hier, und dann sei es dort, wo sie es wieder brauchen. Da bei der Rezeption des Hotels eine Schlange ansteht, willigt sie ein und sie verlassen das Hotel und gehen los. Sie, die Ehefrau, tendiert nach links, da sie in dieser Richtung den Bahnhof vermutet, der Wundertäter jedoch, der sich viel auf seine gute Orientierung einbildet, tendiert nach rechts. Sie starten in etwa geradeaus, dann setzt sich der Wundertäter durch (aus Gutmütigkeit der Frau) und sie biegen immer mehr nach rechts. (Wir vergessen nicht: der Wundertäter hätte nur mit den Fingern schnipsen brauchen – so erklärt es Daniil Charms – und sie wären am Bahnhof oder ihr Gepäck im Schließfach. Aber er tut es nicht.)

Was dem Wundertäter auffällt: der Weg wird immer länger, mindestens viermal so lang wie vorgesehen und versprochen. Seine Frau glaubt nicht, daß sie den richtigen Weg gehen, aber dem  Wundertäter zuliebe folgt sie ihm ohne zu meckern. Der Wundertäter hätte nur mit den Fingern schnipsen brauchen und der Weg wäre kürzer geworden, aber er tut es nicht. Endlich erreichen sie die Bahnhofstraße, deutlich angeschrieben, wie es der Wundertäter prognostiziert hatte, und er fordert seine Frau auf, die Richtigkeit seiner Orientierungsansage anzuerkennen. „Wunderbar!“ sagt sie. Er meint, sie könnte es noch deutlicher mit ihm als eindeutigerem Adressaten der Anerkennung aussprechen und daß er es war, der den richtigen Weg gefunden hat und nicht sie. „Wenn wir deinen Weg gegangen wären, wären wir wahrscheinlich bei Rust herausgekommen“ behauptet er. „Wunderbar!“ sagt sie wieder, aber da es aus ihr nicht präziser herauszubekommen ist, meint er zu ihr, nicht ohne Resignation: „Einmal geht’s noch!“ „Wunderbar!“ antwortet sie und der Wundertäter läßt das als ihre Anerkennung seiner Orientierungsüberlegenheit gelten.

Aber auch die Bahnhofstraße wird länger als geplant und auch der Wundertäter wird etwas unsicher. Tapfer stapft er mit seinem und ihrem Gepäck am Buckel, gestützt auf den Gehstock weiter, bittet seine Gemahlin um ihr Vertrauen, als er sie auf die andere Seite der Straße und durch eine Unterführung führt, scheinbar endlos zieht sich die Straße dahin, als endlich der Bahnhof in Sicht kommt und mit letzter Anstrengung erreicht wird. Dort angelangt fällt ihm auf, daß es zwar ein Wartezimmerhinweisschild gibt, aber kein explizites für eine Gepäckablage. Und tatsächlich! Ein Wunder ist geschehen!: es gibt am ganzen Bahnhof weder eine Gepäckaufgabestelle, noch Münzschließfächer! „Das gibt’s nicht!“ ruft der Wundertäter aus und umkreist den Bahnhof zuerst gegen den Uhrzeigersinn, und dann im Uhrzeigersinn. Umsonst! Die Gepäcksschließfächer bleiben verschwunden!

„Ich werde der ÖBB einen Brief schreiben. Das geht nicht! Der Bahnhof einer Landeshauptstadt und keine Gepäcksablage!“ schimpft er im Weggehen, beladen mit seinem und ihrem Gepäck. „Nein, ich schreibe dem Landeshauptmann!“ Und nach ein paar weiteren Schritten „Nein, ich schreibe gleich dem Fürsten Esterhazy! Soo geht das nicht!“








(13.1.2019)










©Peter Alois Rumpf  Jänner 2019  peteraloisrumpf@gmail.com


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