Sonntag, 13. Januar 2019

1225 Das Wunder


Ich bin in E und mein erster Weg - nachdem ich die Rückfahrzeiten gecheckt habe – geht – schließlich habe ich genug Zeit – zum Dom des Heiligen Martin.
Diesen Weg zum zentralen Heiligtum mache ich – kirchenrechtlich eingetreten oder ausgetreten: egal! – fast immer auf meinen kleinen Reisen. Immer will ich, wo ich mich auch aufhalte, den lokalen Gottheiten oder Heiligen beziehungsweise dem Spiritus loci meine Referenz erweisen.
Ich gehe also wie vorgeschrieben (die Hinweistafel hängt am Nordtor) zum  Westtor. Der Wind bläst mir ordentlich in den Rücken, in den Ohren John Frusciante mit Curtains. Als ich das Kirchentor aufmachen will – oh! – da geht es von selber auf! Ich glaube sofort an ein Wunder! Daß nämlich der stürmische Wind für mich das Tor genau zum richtigen Zeitpunkt meines Eintretens aufgemacht hat. Der Vorgänger oder die Vorgängerin hat es nicht gut geschlossen, so konnte es der Wind aufdrücken. Ja, ein Wunder! Ein Zeichen des Himmels!

Ich will es bessermachen und das Tor ordentlich schließen und versuche das schwere Tor gegen den Widerstand des starken, stürmischen Luftdrucks zu schließen, was mir nicht gelingt. Ich drücke und drücke, bis ich kapiere, daß das nicht der Wind, sondern die Türautomatik ist. Schade! Kein Wunder! Es war nicht der vom Himmel geschickte Wind (der Heilige Geist weht wo er will), der das Tor vor meinem Eintreten geöffnet hat, sondern die Türautomatik. Wirklich schade! Ich wäre vielleicht nicht nur in den Dom eingetreten.
Drinnen im Dom „opfere“ ich meine üblichen drei Kerzen („offering“  klingt wirklich nicht so masochistisch), bete ein Vaterunser und ein GegrüßetseistduMaria, mache schöne, konzentrierte Kniebeugen und Kreuzzeichen – den John Frusciante habe ich nicht abgedreht – und gehe wie ein Gehbehinderter am nicht benötigten, aber zum Eigentümer zu  transportierenden Gehstock hinaus, stapfe durch eine kleine, enge Gasse zur Mariensäule auf der Hauptstraße, umkreise diese, oben die Krönung Mariens nach ihrer Himmelfahrt am 15. August (ich wiederhole mich: Himmelfahrten bezweifle ich nicht!),  erinnere mich jetzt im Cafe an den angepfeilten Heiligen Sebastian, den Heiligen Nepomuk, ich vermute den Heiligen Jakob (wegen des Hundes als Wegbegleiter Tobias?), einen Heiligen, der fast lasziv ein Knie vorstreckt, kann ich nicht identifizieren, und dreiunddreißig Schritte entfernt steht die Statue des Heiligen Sankt Florian, der unser Haus schont und andere anzündet. Ich peile dann, nachdem ich mich bezüglich unseres gebuchten Hotels orientiert habe, eine Konditorei (nicht Cafe) an, wo wir schon beim letzten Aufenthalt in dieser Stadt eingekehrt sind, wo ich alles aufschreiben will (zum Zeitpunkt, den ich beschreibe), tatsächlich aufschreibe (zum Zeitpunkt, wo ich aufschreibe). Dabei breche ich beim Eintreten in eine reine Damenwelt ein, bestehend aus zwei Peronaldamen und zwei separate, erstaunlich lautstarke Damenrunden, die mich erstaunt bis mißtrauisch beäugen, obwohl ich schon vorm Eintritt meine Kapuze vom Kopf und die Empedreistöpsel aus den Ohren gezogen habe. Ich komme mir in dieser Gesellschaft trotz ähnlichen Alters jünger vor – ein Fehler, den ich gern mache, aber ungern aufdecke. Nach der Bestellung muß ich die Stiege hinunter zur Toilette (eben!) und stelle erleichtert fest: es gibt auch ein Herrenklo.
Ich  bestelle zum italienisierten Kapuziner eine Kastanientorte, die ich mir genüßlich einverleibe (und die Tort‘ ist Fleisch, respektive Fett geworden).

Aber nun muß ich der langen Sätze wegen Luft holen und mein Notizbuch weglegen.

Das größte Wunder jedoch wäre trotzdem: ich sage: „Oh Herr, ich bin nicht würdig, daß du eingehst unter mein Dach, aber sprich nur ein Wort, so wird meine Seele gesund“. Und der Herr spricht ein Wort, und meine Seele ist gesund.










(12.1.2019)











©Peter Alois Rumpf  Jänner 2019  peteraloisrumpf@gmail.com


0 Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Abonnieren Kommentare zum Post [Atom]

<< Startseite