Sonntag, 14. Oktober 2018

1140 Einzelgänger gegen Türkis-Blaun


Was Umzüge in der Öffentlichkeit betrifft habe ich Erfahrungen seit meiner Kindheit. An die St.Martin–Laternenumzüge kann ich mich nicht erinnern, haben aber sicher stattgefunden. Faschingsumzüge (Cowboy, Scheich, Reporter – außer Cowboy unter mütterlicher Regie); als Ministrant (oft mühsam das Kreuz getragen) und dann phasenweise bis herauf fast zur Gegenwart: Fronleichnamsprozessionen – auch da wird von oben Regie geführt (Volk antwortet dem Zelebranten, wie vorgeschrieben etc.); in meiner Grazer Studentenzeit: Demonstrationen, eine Hörsaalbesetzung, eine Protestkundgebung gegen den sogenannten „Steirischen Frühling“, das war damals eine faschistoide, deutschnationale, naziverseuchte Gegenveranstaltung gegen die „entartete“ Kunst des „Steirischen Herbstes“ (obwohl ich den Peter Rosegger heute auch mag – trotz aller Problematik), wo wir, als die Polizei uns vertreiben wollte – die Anregung kam von den meistens gut organisierten Kommunisten – die österreichische Bundeshymne gesungen haben, wodurch es für die Polizei etwas schwerer wurde, auf uns loszugehen. Und so weiter.

Dann habe ich mich politisch zurückgezogen, wußte auch nicht mehr, wo ich hingehöre. In Wien habe ich nur mehr bei einer illegalen Demo um 1980 herum teilgenommen und bin für ein paar Stunden verhaftet gewesen – und bin mir dabei sehr blöd vorgekommen, weil das schon eine ganz andere Generation war. Und zu einer Anti-Waldheim-Demonstration bin ich noch gegangen, aber mich hat dann doch das blauäugige antifaschistische Getue genervt – wer weiß schon, wie er sich in der Nazizeit verhalten hätte? Sicher, der Waldheim war eine verlogene, hohle Gestalt, aber trotzdem. Dann wollte ich nichts mehr damit zu tun haben, habe mich auch nicht mehr als „links“ gesehen und eher meine konservativen Seiten betont und gepflegt. (Das war komplizierter: ich müßte da noch meine döbranitische Gefangenschaft abhandeln, aber das ist mir jetzt zu viel. Außerdem habe ich hier in den Texten schon so viel darüber geschrieben.)

Inzwischen bin ich wieder einigermaßen nach links gewandert, denn diese Regierung geht mir sowohl mit ihren wirtschaftsliberalen, als auch mit ihren autoritären, faschistoiden Zügen ganz gegen den Strich und so tauchte bei mir der Gedanke auf, doch wieder einmal zur Donnerstagsdemo zu gehen.
Aber ich gehöre doch nirgends dazu, war dann mein Vorbehalt, und überhaupt: in Menschenmassen fühle ich mich meistens nicht wohl, das kollektive Schreien von Parolen ist mir eher peinlich und zuwider, das Ganze oft zu ernst und zu verbissen – so unterstellte ich. Wo gehöre ich wirklich dazu? Zur sozialistischen Jugend nicht, zu den Omas gegen rechts nicht … Außerdem: „gegen rechts“ trifft es aus meiner Sicht auch nicht genau, denn es gibt auch Konservative, die gegen eine wirtschaftsliberale Politik sind (katholische Soziallehre!) und/oder gegen die faschistoiden Versuche, den Rechtsstaat auszuhebeln, die Medienfreiheit – so fragwürdig die in Österreich auch immer schon gehandhabt wurde – einzuschränken und das Pöbelhafte salonfähig zu machen. Also: „XY gegen rechts“ geht für mich als Slogan für meine Spruchtafel nicht.
Dann ist mir vor ein paar Tagen eine Lösung eingefallen, mit der ich mitgehen könnte und die mir Spaß macht: „Einzelgänger gegen Türkis-Blaun“. Das paßt!

Blieb noch die Überlegung, ob ich mir in meinem labilen Zustand nach der Panikattacke so eine Massenveranstaltung zumuten kann. Dann habe ich mich fürs Demonstrieren entschieden, weil ich mir sicher bin, daß die politische Entwicklung nach extrem rechts ein Mitauslöser meines Zusammenbruchs war. Ich habe ja zur Zeit des letzten Bundespräsidentenwahlkampfes in einem Zug zum Beispiel schon eine Gruppe solcher Nazi-Figuren laut und mit falschen und verlogenen Anschuldigungen der Schaffnerin gegenüber gegen polnische Mariazell-Pilger vorgehen sehen, und auch mit Haxlstellen und Beschimpfungen als Kanaken usw., wo ich dann vor Angst erstarrt nicht reagieren konnte. Denn jetzt werden genau dieselben Typen hinaufgespült, werden laut und wollen wieder zuschlagen, die mich in meiner Kindheit gequält haben. Die mir – ein paar Jahre älter - zum Beispiel als „Freunde“ auf einen Baum hinaufgeholfen haben, auf den ich als Kindergartenkind allein weder hinauf noch herunter gekommen wäre, dann hinuntergestiegen sind, unten ein Feuer gemacht haben, brennende Zweige zum mir auf die Plattform heraufgeworfen und gedroht haben, den Baum anzuzünden. Ich habe Todesängste ausgestanden. Natürlich wollten sie das nicht wirklich machen – weiß ich jetzt; aber wenn sie von oben und ihresgleichen die Erlaubnis haben? Ich denke an „Flammenwerfer statt Wasserspritze“ - ich bin sicher, daß solche Typen bei entsprechender Rückendeckung dazu in der Lage sind zu morden. Das ist schon ernst gemeint. Genauso, wie die Vergewaltigungsandrohungen gegen Frauen - zum Beispiel gegen Frau Maurer (der Schreiber gehörte ausgeforscht und verhaftet und wegen gefährlicher Drohung eingesperrt!) ernst gemeint sind – die würden das tun, wenn es ihnen der Staat oder ihr Umfeld erlaubt. Was glaubt ihr, welche das sind, die in Kriegen vergewaltigen? Genau diese Typen! Ist ja auch in Europa nicht so lange her, oder? Diese Typen brauchen nur die Erlaubnis von oben, oder die Gleichgültigkeit der Gesellschaft oder einen rechtsfreien Raum, dann mache die das.

Ja, da ist meine Wut, meine Angst und mein Zorn und deswegen war es dann ganz klar, daß ich zur Demo gehen werde, gegen alle meine Bedenken, denn ich habe ganz persönliche Gründe. Demonstrieren ist ja nichts Besonderes - ich will nur meine Angst und meinen Zorn zeigen, und meinen Willen, mich diesmal zu wehren - aber ich mußte schon meine Angst vor Massenveranstaltungen und andere Ängste überwinden.

Irgendwie hat mein Zeitplan nicht ganz funktioniert und so habe ich erst in letzter Sekunde mein Schild gebastelt, die Schrift mit Tusche zunächst, weil ich in der Eile keinen dicken Filzstift gefunden habe. Dann sehe ich: der Text steht am Schild ganz linkslastig (!) und rechts ist noch viel Raum frei. Also, denke ich mir, ich zeichne schnell noch so ein gehendes Strichmandl in die freie Fläche. Dabei fällt die Tusche-hältige Röhre, die in der Verschlußkappe verankert ist, heraus und es gibt verschüttete Tusche, Flecken und so weiter. Ich versuche, das irgendwie zu retten, indem ich die Tusche auftupfe, kreativ verschmiere – alles in Eile – dann finde ich doch einen dicken, blauen Filzstift, mit dem ich die Schrift retten kann, während der Maxl eine ziemlich abstruse Figur abgibt. Egal, ich muß los, das Plakat noch schnell auf eine Holzleiste getackert, MP3-Ohrenstöpsel rein und Start.

Nun, wo wäret ihr zur Donnerstagsdemo hingegangen? Im Internet habe ich in aller Eile nichts gefunden, nicht einmal, ob sie wirklich stattfindet. So ging ich zum Bundeskanzleramt, denn die erste vor einer Woche hat dort stattgefunden und die vielen bei schwarz-blau 1 auch (bei rot-blau hat es keine gegeben. Warum eigentlich?) Hm. Nichts zu sehen. Ein paar Leute, die aber auch Touristen sein könnten. Aha, denke ich mir, dann gehe ich wirklich, wie es das Schild behauptet, als Einzelgänger herum. Ein wenig mulmig wäre mir da schon, denn ich fürchte mich auch vor einer aggressiven Polizei. Ich gehe noch zum Parlamentsausweichsquartier vor, um zu schauen, ob da etwas  Demonstratives zu sehen ist. Nein, nichts. Ich gehe wieder Richtung Ballhausplatz um mit meiner Einzeldemonstration zu beginnen, als mich drei junge Frauen ansprechen, ob ich zur Demo wolle, denn sie haben erfahren, daß die woanders stattfindet. Wie sie herausfinden: vor der ÖVP-Zentrale,  wir wissen nicht, wo die ist, aber auch das finden sie heraus und so machen wir uns auf den Weg Richtung Rathaus. Endlich finden wir die Demo.

Es sind viele Leute dort, Reden, Musik vom Lautsprecherwagen. Mit den Ohrenstöpseln meine Einzelgängerei so zu betonen, kommt mir jetzt doch übertrieben vor und ich drehe meine Musik ab. Verstehen kann ich vom Lautsprecherwagen trotzdem nichts, aber ich stehe brav da und halte mein Schild hoch. Nachdem der erste Windstoß meine schlampige Fixierung an der unteren Kante des Schildes gleich losgerissen hat, muß ich das Schild ständig mit einem Finger an der Holzleiste festhalten. Bald ist meine Hand verkrampft. Und ich mußte wirklich erst eine Zeitlang Unsicherheit und Unwohlsein in der Menge aushalten, bevor ich mich psychisch etwas entspannen konnte. Daß einige Leute über mein Schild lachen, hilft mir dabei. Das kollektive Schreien (Vorbeter – das Volk antwortet) ist mir immer noch peinlich. Ich erfahre auch, daß der Demonstrationszug bis zum Urban-Loritz-Platz gehen wird. Gut.

Allmählich setzt sich der Zug in Bewegung und stockt doch immer wieder auf seiner Strecke. Leute schauen aus den Fenstern (wie bei Fronleichnamsumzügen). Im siebenten Bezirk (wo sonst!) winke ich einer Bekannten, die auch aus dem Fenster schaut, aber sie sieht oder erkennt mich nicht. Mein Schild wird oft photographiert, was mich sehr freut.

Als wir dann am Ziel angekommen sind, habe ich vom Herumstehen schon ziemlich starke Kreuzschmerzen. Tapfer stehe ich trotzdem da und halte mit verkrampften Händen mein Schild hoch.

Es gibt wieder Reden, Musik von der kleinen Bühne, die ich hier gut verstehen kann. Obwohl aus meiner Sicht recht gute Reden gehalten werden, verlasse ich den Ort um halbzehn vor dem Ende der Veranstaltung, denn meine Schmerzen – vor allem im Kreuz - sind schon zu groß und ich bin völlig erschöpft. Da fällt mir erst auf, daß ich seit dem Frühstück nichts mehr gegessen habe. Mühsam setze ich mich in Bewegung und gehe zunächst ein Stück zu Fuß nach Hause, um die Verkrampfungen zu lockern.










(12.10.2018)












©Peter Alois Rumpf    Oktober 2018     peteraloisrumpf@gmail.com


0 Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Abonnieren Kommentare zum Post [Atom]

<< Startseite