1140 Einzelgänger gegen Türkis-Blaun
Was Umzüge in der Öffentlichkeit betrifft habe ich
Erfahrungen seit meiner Kindheit. An die St.Martin–Laternenumzüge kann ich
mich nicht erinnern, haben aber sicher stattgefunden. Faschingsumzüge (Cowboy,
Scheich, Reporter – außer Cowboy unter mütterlicher Regie); als Ministrant (oft
mühsam das Kreuz getragen) und dann phasenweise bis herauf fast zur Gegenwart:
Fronleichnamsprozessionen – auch da wird von oben Regie geführt (Volk antwortet
dem Zelebranten, wie vorgeschrieben etc.); in meiner Grazer Studentenzeit:
Demonstrationen, eine Hörsaalbesetzung, eine Protestkundgebung gegen den
sogenannten „Steirischen Frühling“, das war damals eine faschistoide, deutschnationale, naziverseuchte Gegenveranstaltung gegen die „entartete“ Kunst des „Steirischen
Herbstes“ (obwohl ich den Peter Rosegger heute auch mag – trotz aller
Problematik), wo wir, als die Polizei uns vertreiben wollte – die Anregung kam
von den meistens gut organisierten Kommunisten – die österreichische
Bundeshymne gesungen haben, wodurch es für die Polizei etwas schwerer wurde,
auf uns loszugehen. Und so weiter.
Dann habe ich mich politisch zurückgezogen, wußte auch nicht
mehr, wo ich hingehöre. In Wien habe ich nur mehr bei einer illegalen Demo um
1980 herum teilgenommen und bin für ein paar Stunden verhaftet gewesen – und bin
mir dabei sehr blöd vorgekommen, weil das schon eine ganz andere Generation
war. Und zu einer Anti-Waldheim-Demonstration bin ich noch gegangen, aber mich
hat dann doch das blauäugige antifaschistische Getue genervt – wer weiß schon,
wie er sich in der Nazizeit verhalten hätte? Sicher, der Waldheim war eine
verlogene, hohle Gestalt, aber trotzdem. Dann wollte ich nichts mehr damit zu
tun haben, habe mich auch nicht mehr als „links“ gesehen und eher meine
konservativen Seiten betont und gepflegt. (Das war komplizierter: ich müßte da
noch meine döbranitische Gefangenschaft abhandeln, aber das ist mir jetzt zu
viel. Außerdem habe ich hier in den Texten schon so viel darüber geschrieben.)
Inzwischen bin ich wieder einigermaßen nach links gewandert,
denn diese Regierung geht mir sowohl mit ihren wirtschaftsliberalen, als auch
mit ihren autoritären, faschistoiden Zügen ganz gegen den Strich und so tauchte
bei mir der Gedanke auf, doch wieder einmal zur Donnerstagsdemo zu gehen.
Aber ich gehöre doch nirgends dazu, war dann mein Vorbehalt,
und überhaupt: in Menschenmassen fühle ich mich meistens nicht wohl, das
kollektive Schreien von Parolen ist mir eher peinlich und zuwider, das Ganze
oft zu ernst und zu verbissen – so unterstellte ich. Wo gehöre ich wirklich
dazu? Zur sozialistischen Jugend nicht, zu den Omas gegen rechts nicht …
Außerdem: „gegen rechts“ trifft es aus meiner Sicht auch nicht genau, denn es
gibt auch Konservative, die gegen eine wirtschaftsliberale Politik
sind (katholische Soziallehre!) und/oder gegen die faschistoiden Versuche, den
Rechtsstaat auszuhebeln, die Medienfreiheit – so fragwürdig die in Österreich auch
immer schon gehandhabt wurde – einzuschränken und das Pöbelhafte salonfähig zu
machen. Also: „XY gegen rechts“ geht für mich als Slogan für meine Spruchtafel
nicht.
Dann ist mir vor ein paar Tagen eine Lösung eingefallen, mit
der ich mitgehen könnte und die mir Spaß macht: „Einzelgänger gegen
Türkis-Blaun“. Das paßt!
Blieb noch die Überlegung, ob ich mir in meinem labilen
Zustand nach der Panikattacke so eine Massenveranstaltung zumuten kann. Dann
habe ich mich fürs Demonstrieren entschieden, weil ich mir sicher bin, daß die
politische Entwicklung nach extrem rechts ein Mitauslöser meines Zusammenbruchs
war. Ich habe ja zur Zeit des letzten Bundespräsidentenwahlkampfes in einem Zug zum Beispiel
schon eine Gruppe solcher Nazi-Figuren laut und mit falschen und verlogenen
Anschuldigungen der Schaffnerin gegenüber gegen polnische Mariazell-Pilger vorgehen sehen, und auch mit Haxlstellen und Beschimpfungen als Kanaken usw., wo ich dann
vor Angst erstarrt nicht reagieren konnte. Denn jetzt werden genau dieselben
Typen hinaufgespült, werden laut und wollen wieder zuschlagen, die mich in
meiner Kindheit gequält haben. Die mir – ein paar Jahre älter - zum Beispiel
als „Freunde“ auf einen Baum hinaufgeholfen haben, auf den ich als
Kindergartenkind allein weder hinauf noch herunter gekommen wäre, dann
hinuntergestiegen sind, unten ein Feuer gemacht haben, brennende Zweige zum mir
auf die Plattform heraufgeworfen und gedroht haben, den Baum anzuzünden. Ich
habe Todesängste ausgestanden. Natürlich wollten sie das nicht wirklich machen
– weiß ich jetzt; aber wenn sie von oben und ihresgleichen die Erlaubnis haben?
Ich denke an „Flammenwerfer statt Wasserspritze“ - ich bin sicher, daß solche
Typen bei entsprechender Rückendeckung dazu in der Lage sind zu morden. Das ist
schon ernst gemeint. Genauso, wie die Vergewaltigungsandrohungen gegen Frauen -
zum Beispiel gegen Frau Maurer (der Schreiber gehörte ausgeforscht und
verhaftet und wegen gefährlicher Drohung eingesperrt!) ernst gemeint sind –
die würden das tun, wenn es ihnen der Staat oder ihr Umfeld erlaubt. Was glaubt
ihr, welche das sind, die in Kriegen vergewaltigen? Genau diese Typen! Ist ja
auch in Europa nicht so lange her, oder? Diese Typen brauchen nur die Erlaubnis
von oben, oder die Gleichgültigkeit der Gesellschaft oder einen rechtsfreien
Raum, dann mache die das.
Ja, da ist meine Wut, meine Angst und mein Zorn und deswegen
war es dann ganz klar, daß ich zur Demo gehen werde, gegen alle meine Bedenken, denn ich habe ganz persönliche Gründe. Demonstrieren ist ja nichts Besonderes - ich will nur meine Angst und meinen Zorn zeigen, und meinen Willen, mich diesmal zu wehren - aber
ich mußte schon meine Angst vor Massenveranstaltungen und andere Ängste
überwinden.
Irgendwie hat mein Zeitplan nicht ganz funktioniert und so
habe ich erst in letzter Sekunde mein Schild gebastelt, die Schrift mit Tusche
zunächst, weil ich in der Eile keinen dicken Filzstift gefunden habe. Dann sehe
ich: der Text steht am Schild ganz linkslastig (!) und rechts ist noch viel
Raum frei. Also, denke ich mir, ich zeichne schnell noch so ein gehendes
Strichmandl in die freie Fläche. Dabei fällt die Tusche-hältige Röhre, die in
der Verschlußkappe verankert ist, heraus und es gibt verschüttete Tusche,
Flecken und so weiter. Ich versuche, das irgendwie zu retten, indem ich die
Tusche auftupfe, kreativ verschmiere – alles in Eile – dann finde ich doch
einen dicken, blauen Filzstift, mit dem ich die Schrift retten kann, während
der Maxl eine ziemlich abstruse Figur abgibt. Egal, ich muß los, das Plakat
noch schnell auf eine Holzleiste getackert, MP3-Ohrenstöpsel rein und Start.
Nun, wo wäret ihr zur Donnerstagsdemo hingegangen? Im
Internet habe ich in aller Eile nichts gefunden, nicht einmal, ob sie wirklich
stattfindet. So ging ich zum Bundeskanzleramt, denn die erste vor einer Woche
hat dort stattgefunden und die vielen bei schwarz-blau 1 auch (bei rot-blau hat
es keine gegeben. Warum eigentlich?) Hm. Nichts zu sehen. Ein paar Leute, die aber auch
Touristen sein könnten. Aha, denke ich mir, dann gehe ich wirklich, wie es das
Schild behauptet, als Einzelgänger herum. Ein wenig mulmig wäre mir da schon,
denn ich fürchte mich auch vor einer aggressiven Polizei. Ich gehe noch zum
Parlamentsausweichsquartier vor, um zu schauen, ob da etwas Demonstratives zu sehen ist. Nein, nichts.
Ich gehe wieder Richtung Ballhausplatz um mit meiner Einzeldemonstration zu
beginnen, als mich drei junge Frauen ansprechen, ob ich zur Demo wolle, denn
sie haben erfahren, daß die woanders stattfindet. Wie sie herausfinden: vor der
ÖVP-Zentrale, wir wissen nicht, wo die
ist, aber auch das finden sie heraus und so machen wir uns auf den Weg Richtung
Rathaus. Endlich finden wir die Demo.
Es sind viele Leute dort, Reden, Musik vom Lautsprecherwagen.
Mit den Ohrenstöpseln meine Einzelgängerei so zu betonen, kommt mir jetzt doch
übertrieben vor und ich drehe meine Musik ab. Verstehen kann ich vom
Lautsprecherwagen trotzdem nichts, aber ich stehe brav da und halte mein Schild
hoch. Nachdem der erste Windstoß meine schlampige Fixierung an der unteren
Kante des Schildes gleich losgerissen hat, muß ich das Schild ständig mit einem
Finger an der Holzleiste festhalten. Bald ist meine Hand verkrampft. Und ich
mußte wirklich erst eine Zeitlang Unsicherheit und Unwohlsein in der Menge
aushalten, bevor ich mich psychisch etwas entspannen konnte. Daß einige Leute
über mein Schild lachen, hilft mir dabei. Das kollektive Schreien (Vorbeter –
das Volk antwortet) ist mir immer noch peinlich. Ich erfahre auch, daß der
Demonstrationszug bis zum Urban-Loritz-Platz gehen wird. Gut.
Allmählich setzt sich der Zug in Bewegung und stockt doch
immer wieder auf seiner Strecke. Leute schauen aus den Fenstern (wie bei
Fronleichnamsumzügen). Im siebenten Bezirk (wo sonst!) winke ich einer
Bekannten, die auch aus dem Fenster schaut, aber sie sieht oder erkennt mich
nicht. Mein Schild wird oft photographiert, was mich sehr freut.
Als wir dann am Ziel angekommen sind, habe ich vom
Herumstehen schon ziemlich starke Kreuzschmerzen. Tapfer stehe ich trotzdem da
und halte mit verkrampften Händen mein Schild hoch.
Es gibt wieder Reden, Musik von der kleinen Bühne, die ich
hier gut verstehen kann. Obwohl aus meiner Sicht recht gute Reden gehalten
werden, verlasse ich den Ort um halbzehn vor dem Ende der Veranstaltung, denn
meine Schmerzen – vor allem im Kreuz - sind schon zu groß und ich bin völlig
erschöpft. Da fällt mir erst auf, daß ich seit dem Frühstück nichts mehr
gegessen habe. Mühsam setze ich mich in Bewegung und gehe zunächst ein Stück zu Fuß
nach Hause, um die Verkrampfungen zu lockern.
(12.10.2018)
©Peter Alois Rumpf Oktober
2018 peteraloisrumpf@gmail.com
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