Sonntag, 7. Oktober 2018

1133 Birgit Minichmayr oder meine Bühnenkarriere


Wenn ich an die Anfänge meiner Bühnenkarriere (hüstel, hüstel) denke, tauchen im Dunkeln meines immer schlechter werdenden Gedächtnisses Erinnerungen an Krippenspiele – der Beginn vieler Karrieren der darstellenden Kunst – auf, zum Beispiel im alten Irdninger Pfarrsaal – immerhin ist der Pfarrhof ein Renaissancebauwerk und da bekommt man als sensibler Mensch schon eine gewisse Ästhetik mit – Näheres entzieht sich jedoch meines Zugriffs.

Etwas besser erinnere ich mich an ein Theaterstück über die vier Jahreszeiten in der Volksschule – dritte oder eher vierte Klasse. Eine Lehrerin hat das mit uns einstudiert und wir sind in den frühen Sechzigerjahren des zwanzigsten Jahrhundert (pädagogisch und so). Ich war der Herbst, von dem ich wirklich glaube, daß er meine Jahreszeit ist. Der Seeberger Rudi spielte den Winter, die Wutte Fritzi den hüpfenden Frühling, der Tauscher Toni den Sommer.
Irgendwann war unsere Regisseurin mit meiner Leistung nicht zufrieden – zu schüchtern, zu leise, zu verhalten – und legte für mich noch eine Extraprobe ein. An dem Nachmittag also gehe ich zur Probe, und weil ich mich wegen dieser Extraprobe geschämt habe, habe ich das „Extra“ vor meinen Eltern verheimlicht.
Wie das dann genau abgelaufen ist, weiß ich nicht mehr, jedenfalls trifft mein Vater an diesem Tag den Tauscher Toni – mein Vater kannte die Familie sehr gut, weil er früher dort in Untermiete gewohnt hatte – und fragt ihn, ob er denn jetzt keine Probe habe. So, damit war ich aufgeflogen. Zu Hause wurde ich dann gefragt, warum ich nicht gesagt habe, daß das sozusagen eine Strafprobe wegen schlechter Leistung war und meine Mutter ist dann auch gleich darauf aufgesprungen, was ich beim Theaterspielen nicht gekonnt und warum ich wieder versagt habe. Dazu muß ich festhalten, daß ich für meine Eltern überall Spitzenleistungen hätte erbringen sollen: beim Fußball, Mathematik, Pflanzenkunde, Theaterspielen, Schule überhaupt, Schifahren, Sport überhaupt, Flöten und Geigenspielen, gesellschaftliche Gewandtheit und und und … sie wollten halt so gerne mit mir angeben (aber übertreffen hätte ich sie nicht dürfen).
Gut: an die Aufführung – wenn mich mein Gedächtnis nicht im Stich läßt: im Hof der neuen Volksschule – kann ich mich nicht mehr erinnern. Irgendwie werden wir die Sache schon hinbekommen haben.

Nach der Matura zog ich nach Graz, um Theologie zu studieren und da lernte ich den Alois Neuhold (Neuvalis) kennen, einige Semester über mir, der mich mit seiner christlich-närrischen Unbekümmertheit und seinem Gottvertrauen – es wird erzählt, er soll mit seinem alten NSU-Prinz, bei dem ab einer gewissen Geschwindigkeit der vordere Deckel aufgesprungen ist und die Sicht verstellt hat, trotzdem mit Gottvertrauen weitergefahren sein und es ist auch nie etwas passiert – sehr beeindruckt, und der mir die bildende Kunst (vor allem Klee) und die klassische Musik erschlossen und mich zu seiner Jugendgruppe nach Hönigtal mitgenommen hat. Da gab es dann das Theaterprojekt, das in katholischen Kreisen beliebte Apostelspiel von Max Mell aufzuführen. Darin geht es um ein armes, naives, ganz frommes Mädchen (Magdalen), das mit ihrem Großvater in der Einschicht lebt. Eines Tages klopfen zwei verwilderte Soldaten an die Tür und bitten darum, hier übernachten zu dürfen. Der Großvater erlaubt es, aber die zwei führen nichts Gutes im Schilde. Für das Mädchen jedoch sind die zwei die Apostel Petrus und Johannes und sie spricht sie auch als solche an und mit ihrer unschuldigen Gläubigkeit rührt sie die beiden so ans Herz, daß sie von ihrem Vorhaben abkommen und ihr verkommenes Leben zu überdenken beginnen.
Ich war als der Johannes vorgesehen und unser Regisseur war der Schauspieler Fladerer vom Stadttheater Graz, der die bösen Gesellen in einen bolschewistischen Kontext stellte und vor allem den Johannes (in der Bibel als einer der zum Fanatismus neigenden Donnersöhne bezeichnet) als „idealistischen“ - also vorstellungsfanatischen - vom Leben abgehobenen und deshalb lebensverachtenden Eiferer zeichnete – im Gegensatz zum etwas bodenständigeren Petrus.
Das ganze Projekt hat sich hingezogen, der Petrus ist abgesprungen. Der Regisseur wollte auch nicht mehr weitermachen und so ist die Sache für eine zeitlang eingeschlafen. Sie wurde dann aber wieder aufgenommen, ein junger Student übernahm die Regie, ein Petrusdarsteller wurde gefunden und die Proben wieder aufgenommen.
Mein Problem dabei war, daß ich inzwischen selber zu einem „idealistischen“, kopflastigen und lebensverachtenden „Revolutionär“ heran – gereift kann man nicht sagen. Ich hatte meinen katholischen Glauben verloren, sah mich als radikalen Linken (alles nur in der Vorstellung, im Kopf) und war gerade dem Verband sozialistischer Studenten beigetreten. Andererseits wollte und konnte ich den Alois und seine Jugendgruppe nicht im Stich lassen. So radelte ich zu den Proben nach Hönigtal, später dann fanden sie in Graz statt. Ich verheimlichte es ängstlich vor meinen neuen Genossen, daß ich an so einem "reaktionären, klerikalfaschistischen" Stück mitmache und fürchtete, daß das auffliegt.
Das Stück wurde zweimal aufgeführt, wenn ich mich richtig erinnere in Eggersdorf, und der im Publikum sitzende Fladerer soll gesagt haben, daß ich am routiniertesten gespielt habe (obwohl ich einen ordentlichen Hänger hatte).

Jetzt überspringen wir einige theaterlose Jahrzehnte und landen im einundzwanzigsten Jahrhundert, so cirka vor acht, neun Jahren. Ich war inzwischen verheiratet und hatte zwei Kinder, aber nur einen schlechten und immer schlechter bezahlten Job als sogenannter „neuer Selbständiger“ in der Meinungsforschung, das heißt: keine Pensionsversicherung, keinen bezahlten Krankenstand, keinen bezahlten Urlaub, von 13. und 14. Monatsgehalt ganz zu schweigen, unsicheres Einkommen, unsichere Auftragslage – wenn keine Aufträge da waren, gab es keine Arbeit und keinen Verdienst, Bezahlung nur pro fertiges Interview – es konnte ohne weiteres vorkommen, daß man ein oder zwei Stunden unbezahlt die falschen Telefonnummern aussortiert hat. In meiner Verzweiflung versuchte ich jeden Strohhalm zu ergreifen, und so bewarb ich mich auch als Statist beim Burgtheater. Ich wurde photographiert, ein paar Daten wurden aufgenommen, ich kam in eine Datei und hörte mindestens ein Jahr nichts.
Irgendwann kam ein Anruf vom Burgtheater. Ich war verwirrt, denn ich hatte diese Bewerbung schon längst vergessen. Als ich endlich im Bilde war, worum es ging, reagierte ich eher ablehnend, denn ich hatte gerade einen besseren Job als vorher, auch in der Meinungsforschung, bekommen, mit Bezahlung nach Stunden und fix angestellt. Damit war ich zeitlich aber nicht mehr so flexibel.
Da sagte der Anrufer, daß es um Lulu mit Birgit Minichmayr geht und ich in der Szene als Statist allein mit der Minichmayr auf der Bühne wäre, was ja nicht jeder von sich sagen könne. Ja das stimmmt!, dachte ich. Und – wow! - die Minichmayr! Nicht nur, daß sie eine große Schauspielerin ist, sondern auch eine schöne Frau - finde ich. Also erklärte ich mich bereit, zum Casting zu gehen.
Beim Casting stellte sich heraus, daß man einen Diener darstellen sollte, der ein Tablett mit irgendwelchen Getränken trägt und der Lulu serviert. Und daß der Diener nicht alleine mit der Minichmayr auf der Bühne ist.
Leider hatte ich zu dieser Zeit schon große Probleme mit meinem Kreuz und gerade in diesen Tagen eine solche akute Schmerzphase, daß ich kaum gehen konnte. Trotzdem fuhr ich zur Probe, wo man den Gang mit dem Tablett zeigen sollte und ich konnte nur unter großen Schmerzen meinen Probelauf machen, verschärft dadurch, daß in einer solchen Phase das Vor-sich-her-Tragen von auch nur leichten Dingen (Kraneffekt) meine Schmerzen um einiges verschärfte. Übrigens waren hauptsächlich alte Herren zum Casting geladen. Jedenfalls wurde ich nicht genommen.
Einige Zeit später las ich, daß das Stück abgesagt wurde, da die Minichmayr („die Minichmayr!“ - ich will halt auch ein bißerl den Theaterjargon mich verwenden trauen) aus dem Projekt ausgestiegen ist, weil sie sich vom Regisseur nicht beschützt fühlte.
Aber seitdem gehe ich mit dem Scherz hausieren: „selber schuld, liebes Burgtheater!, warum hast du mich nicht genommen?  Denn wenn du den Rumpf nicht nimmst, will auch die Minichmayr nicht spielen!“

Aber jetzt im Ernst: das Stück ist doch wirklich eine „seltsame Männerfantasie“, eine „Projektionsfläche der Männer“ in dem Lulu als Frau sowieso schon preisgegeben wird. Frau Minichmayr wollte „weniger von (erotischer) Erwartungshaltung geprägte Wege“ mit diesem Stück gehen. (nach und auch alle Zitate hier aus dem Artikel von Barbara Petsch in der Presse vom 21.4.2011)

Und? Stimmt es denn nicht? Es stimmt. Das beweist doch der Anruf vom Burgtheater und womit man mich gelockt hat sowie meine Reaktion darauf.









(7.10.2018)













©Peter Alois Rumpf    Oktober 2018     peteraloisrumpf@gmail.com

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