1126 Amen
Die Blechbläser stoßen ihren Schallwellenschwall aus, kurz
und in kurzen Intervallen, bis das Musikstück zu Ende ist. Nun sind verjazzte,
espaniolische Gitarren dran.
Die Fußbodenfliesenmuster kringeln sich und ich wage es
kaum, meine Augen vom Boden zu heben. Zuerst der schuldgefüllte Blick zu Boden,
dann entdecke ich die Kringel. Meine Schuld besteht darin, daß ich lebe und
schaue. Mein Blick hat es aber auch in sich. Die Angst in den Augen wird oft
als Aggressivität gedeutet, sagt Marshall Rosenberg. Aggredere: herangehen,
angreifen.
Wenn ich rede, vor allem öffentlich rede, rede ich schon
einen ziemlichen Scheiß zusammen; immer in Stress und Trance. Gibt es mich
normal auch?
Die Leere, die entsteht, weil mir nichts einfällt, will ich
nicht aushalten und deswegen schreibe ich das da her. Am Grunde der Seele,
da wandern die Steine, es liegen sieben Leichen begraben in mir.
… Die Nacht hat zwölf Stunden, dann kommt schon der Tag.
Aus innerer Unruhe flüchte ich in den Aktionismus. Der
schaut bei mir so aus: ich hebe den verkehrt gehaltenen Kugelschreiber – die
Mine wie zum Schreiben herausgeklickt, was dem Minendrückerknopf am
normalerweise oberen Ende etwas Bewegungsspielraum gibt – zwei Zentimeter hoch
und lasse ihn – von meinen Fingern locker aufrecht gehalten – auf das rechte
Blatt Papier des offenen Notizbuches fallen, was einen kleinen stumpfen Laut
ergibt und ein dreimaliges, kleines Hochhüpfen des Schreibgerätes. Auf der
linken Seite des Notizbuches funktioniert das Kugelschreiberspiel nicht. Weil
die umgeblätterten Seiten nicht so dicht aufliegen und den Stoß dämpfen? Und so
den Rückstoß des Minendrückerknopfes abfangen?
Die gerade geöffnete Tür erlaubt einen unverstellten Blick
auf die klare, regengereinigte Luft in der Gasse und das melancholische
Herbstgefühl: akzeptieren, daß der Sommer vorbei ist und die Ernte eingefahren.
Mehr wird es in diesem Jahr nicht mehr. Ein Aufseufzen, das den Schmerz darüber
ausdrückt und losläßt, und Ermutigung für die vorletzte Jahreszeit einatmet.
Und das Einstellen auf das langsame Absterben. Amen.
(2.10.2018)
©Peter Alois Rumpf Oktober
2018 peteraloisrumpf@gmail.com
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