Dienstag, 2. Oktober 2018

1126 Amen


Die Blechbläser stoßen ihren Schallwellenschwall aus, kurz und in kurzen Intervallen, bis das Musikstück zu Ende ist. Nun sind verjazzte, espaniolische Gitarren dran.

Die Fußbodenfliesenmuster kringeln sich und ich wage es kaum, meine Augen vom Boden zu heben. Zuerst der schuldgefüllte Blick zu Boden, dann entdecke ich die Kringel. Meine Schuld besteht darin, daß ich lebe und schaue. Mein Blick hat es aber auch in sich. Die Angst in den Augen wird oft als Aggressivität gedeutet, sagt Marshall Rosenberg. Aggredere: herangehen, angreifen.

Wenn ich rede, vor allem öffentlich rede, rede ich schon einen ziemlichen Scheiß zusammen; immer in Stress und Trance. Gibt es mich normal auch?

Die Leere, die entsteht, weil mir nichts einfällt, will ich nicht aushalten und deswegen schreibe ich das da her. Am Grunde der Seele, da wandern die Steine, es liegen sieben Leichen begraben in mir. … Die Nacht hat zwölf Stunden, dann kommt schon der Tag.

Aus innerer Unruhe flüchte ich in den Aktionismus. Der schaut bei mir so aus: ich hebe den verkehrt gehaltenen Kugelschreiber – die Mine wie zum Schreiben herausgeklickt, was dem Minendrückerknopf am normalerweise oberen Ende etwas Bewegungsspielraum gibt – zwei Zentimeter hoch und lasse ihn – von meinen Fingern locker aufrecht gehalten – auf das rechte Blatt Papier des offenen Notizbuches fallen, was einen kleinen stumpfen Laut ergibt und ein dreimaliges, kleines Hochhüpfen des Schreibgerätes. Auf der linken Seite des Notizbuches funktioniert das Kugelschreiberspiel nicht. Weil die umgeblätterten Seiten nicht so dicht aufliegen und den Stoß dämpfen? Und so den Rückstoß des Minendrückerknopfes abfangen?

Die gerade geöffnete Tür erlaubt einen unverstellten Blick auf die klare, regengereinigte Luft in der Gasse und das melancholische Herbstgefühl: akzeptieren, daß der Sommer vorbei ist und die Ernte eingefahren. Mehr wird es in diesem Jahr nicht mehr. Ein Aufseufzen, das den Schmerz darüber ausdrückt und losläßt, und Ermutigung für die vorletzte Jahreszeit einatmet. Und das Einstellen auf das langsame Absterben. Amen.







(2.10.2018)









©Peter Alois Rumpf    Oktober 2018     peteraloisrumpf@gmail.com

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