782 Eine einzelne Krähe fliegt an mir vorbei
Ein Experiment. Schon lange habe ich mir das vorgenommen.
Ich habe heute nicht nach dem Aufwachen mein Notizbuch genommen und nicht geschrieben
und das Ganze dann in den Computer getippt, nicht meine Übungen gemacht und
nicht erst gegen Mittag gefrühstückt und so weiter, nein, ich bin nach dem
Aufwachen aufgestanden, habe die Vierziggrädige in die Waschmaschine gestopft
und dann gleich etwas gegessen. Darauf bin ich losgezogen und zu Fuß in die
Innenstadt marschiert.
Das hat einen eigenen, optimistischen Flair, so früh durch
die Stadt zu gehen; noch dazu, wo es ein so ein sonniger Tag ist. Die
Straßenränder sind noch naß von der Straßenreinigung, die tiefstehende Sonne
scheint mir blendend ins Gesicht, die Hausfassaden mit ihren Strukturen und
Reliefs stehen klar, deutlich und schön da im frischen Morgenlicht. Alles, was
man sieht, alles, was man hört – die Autos, die Meise mit ihrem Zizibe, die
aufgeschnappten Gesprächsfetzen – sie alle deuten auf Neubeginn, auf eine
Haltung also, die aus einem „So! Jetzt fangen wir es an!“ kommt, aus der
Bereitschaft, sich der Welt zu stellen. Eine Atmosphäre, die einem Schwung
verleiht und ein richtiges Stadtgefühl.
Vor der Buchhandlung, die mein Ziel war, stelle ich mit
Erstaunen fest – sie ist noch geschlossen.
Ich erhoffte mir von diesem Experiment neue Impulse für
meine Schreiberei. Die bleiben jedoch aus. Im Kaffeehaus, in dem ich nun sitze
und zwei Tageszeitungen lesend durchgeblättert habe, überfällt mich große
Müdigkeit und Lähmung. Wie ich mir vorgenommen habe schaue ich auf die Gäste im
Kaffeehaus und auf die Leute, die am Fenster vorbeigehen. So toll ist das
jedoch auch wieder nicht, was da auf einen einströmt. Ich erlebe daraus keine
Anregungen. Früher hat das doch funktioniert! Ich erinnere mich doch vage an
einen ganzen Haufen Kaffeehaustexte!
Ich werde unleidlich, betrachte die Menschen schon
feindselig, mit einem Hang zu gedanklichen Übergriffen – „die Alte da drüben
ist doch …“ „der alte, geschwätzige Trottel dort ...“ „der hochnäsige Schnösel
da ...“ „die vollbusige junge Frau mit dem Baby ...“. Wahrscheinlich ginge der Text
glaubwürdiger weiter, wenn ich ehrlicher wäre und meine aufkommenden Phantasien
beschreiben würde. Aber mein Grant verstopft mich.
Zwei Arbeiter, die an einem Geschäftsportal eine Reparatur
durchführen, erscheinen mir - so aus der Distanz, durch die Glasscheibe
hindurch auf der anderen Straßenseite – am normalsten.
Nichts wie raus hier.
Jetzt sitze ich im Stadtpark – lange mußte ich nachdenken,
um den Namen zu finden, ich wußte, daß das auch der Name eines Parks in Graz
ist, aber zuerst ist mir der Augarten eingefallen und – das war mir klar – der
ist es nicht. Nach einigen Minuten ist der Name endlich aufgetaucht: Stadtpark. Mein Blick
geht auf den Wienfluß, die Sonne habe ich im Rücken, die Welt vor mir erhellt
im Sonnenlicht, wie auch die linke Seite meines Notizbuches. Ich blicke auf die
von so schön rot gewordenen Kletterpflanzen fast gänzlich bedeckten Ufermauern
und den linksländigen Teil des baumdichten Parks, beuge mich vor, um im Wasser
die Enten und Möven zu sehen und höre einen Saxophonspieler, den ich nicht
sehe. Jetzt ist noch Zeit, zu entscheiden, ob mir das, was der spielt, gefallen
will, oder auf die Nerven geht.
Sicher bin ich mir bereits, daß ich eine telefonierende
Hundebesitzerin – von der Stimme her alt – von der Rückansicht her jung,
jedenfalls jung gekleidet in Lederjacke & Co – nicht mag.
Die Sonne wärmt mir den Nacken. Ich verfalle immer wieder in
inneren Zynismus, äußerlich bleibe ich höflich und neutral.
Die Möven schreien, die Enten und Tauben hört man nicht,
aber einige Krähen links hinter mir. Jetzt fliegt eine einzelne Krähe direkt
vor mir vorbei.
(9./11.10.2017)
©Peter Alois Rumpf Oktober 2017
peteraloisrumpf@gmail.com
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