Mittwoch, 11. Oktober 2017

782 Eine einzelne Krähe fliegt an mir vorbei

Ein Experiment. Schon lange habe ich mir das vorgenommen. Ich habe heute nicht nach dem Aufwachen mein Notizbuch genommen und nicht geschrieben und das Ganze dann in den Computer getippt, nicht meine Übungen gemacht und nicht erst gegen Mittag gefrühstückt und so weiter, nein, ich bin nach dem Aufwachen aufgestanden, habe die Vierziggrädige in die Waschmaschine gestopft und dann gleich etwas gegessen. Darauf bin ich losgezogen und zu Fuß in die Innenstadt marschiert.

Das hat einen eigenen, optimistischen Flair, so früh durch die Stadt zu gehen; noch dazu, wo es ein so ein sonniger Tag ist. Die Straßenränder sind noch naß von der Straßenreinigung, die tiefstehende Sonne scheint mir blendend ins Gesicht, die Hausfassaden mit ihren Strukturen und Reliefs stehen klar, deutlich und schön da im frischen Morgenlicht. Alles, was man sieht, alles, was man hört – die Autos, die Meise mit ihrem Zizibe, die aufgeschnappten Gesprächsfetzen – sie alle deuten auf Neubeginn, auf eine Haltung also, die aus einem „So! Jetzt fangen wir es an!“ kommt, aus der Bereitschaft, sich der Welt zu stellen. Eine Atmosphäre, die einem Schwung verleiht und ein richtiges Stadtgefühl.
Vor der Buchhandlung, die mein Ziel war, stelle ich mit Erstaunen fest – sie ist noch geschlossen.

Ich erhoffte mir von diesem Experiment neue Impulse für meine Schreiberei. Die bleiben jedoch aus. Im Kaffeehaus, in dem ich nun sitze und zwei Tageszeitungen lesend durchgeblättert habe, überfällt mich große Müdigkeit und Lähmung. Wie ich mir vorgenommen habe schaue ich auf die Gäste im Kaffeehaus und auf die Leute, die am Fenster vorbeigehen. So toll ist das jedoch auch wieder nicht, was da auf einen einströmt. Ich erlebe daraus keine Anregungen. Früher hat das doch funktioniert! Ich erinnere mich doch vage an einen ganzen Haufen Kaffeehaustexte!

Ich werde unleidlich, betrachte die Menschen schon feindselig, mit einem Hang zu gedanklichen Übergriffen – „die Alte da drüben ist doch …“ „der alte, geschwätzige Trottel dort ...“ „der hochnäsige Schnösel da ...“ „die vollbusige junge Frau mit dem Baby ...“. Wahrscheinlich ginge der Text glaubwürdiger weiter, wenn ich ehrlicher wäre und meine aufkommenden Phantasien beschreiben würde. Aber mein Grant verstopft mich.

Zwei Arbeiter, die an einem Geschäftsportal eine Reparatur durchführen, erscheinen mir - so aus der Distanz, durch die Glasscheibe hindurch auf der anderen Straßenseite – am normalsten.
Nichts wie raus hier.

Jetzt sitze ich im Stadtpark – lange mußte ich nachdenken, um den Namen zu finden, ich wußte, daß das auch der Name eines Parks in Graz ist, aber zuerst ist mir der Augarten eingefallen und – das war mir klar – der ist es nicht. Nach einigen Minuten ist der Name endlich aufgetaucht: Stadtpark. Mein Blick geht auf den Wienfluß, die Sonne habe ich im Rücken, die Welt vor mir erhellt im Sonnenlicht, wie auch die linke Seite meines Notizbuches. Ich blicke auf die von so schön rot gewordenen Kletterpflanzen fast gänzlich bedeckten Ufermauern und den linksländigen Teil des baumdichten Parks, beuge mich vor, um im Wasser die Enten und Möven zu sehen und höre einen Saxophonspieler, den ich nicht sehe. Jetzt ist noch Zeit, zu entscheiden, ob mir das, was der spielt, gefallen will, oder auf die Nerven geht.

Sicher bin ich mir bereits, daß ich eine telefonierende Hundebesitzerin – von der Stimme her alt – von der Rückansicht her jung, jedenfalls jung gekleidet in Lederjacke & Co – nicht mag.

Die Sonne wärmt mir den Nacken. Ich verfalle immer wieder in inneren Zynismus, äußerlich bleibe ich höflich und neutral.

Die Möven schreien, die Enten und Tauben hört man nicht, aber einige Krähen links hinter mir. Jetzt fliegt eine einzelne Krähe direkt vor mir vorbei.







(9./11.10.2017)















©Peter Alois Rumpf    Oktober 2017     peteraloisrumpf@gmail.com

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