779 Der Mettenjodler oder mein Herz geht mir über
Wieder einmal eine große, eine riesengroße Ausstellung in
einer riesigen Halle. Wie auf einer Kunstmesse. Ich bin auch mit einigen Bildern
vertreten. Ich erinnere mich, daß ich die Malerei einmal aufgegeben hatte. Ich weiß
jedoch nicht, ob diese Bilder hier von vor der döbranitischen Verurteilung
stammen oder von nachher.
Die Ausstellung scheint vorbei zu sein, denn es wird
abgebaut. Ich suche meine Arbeiten zusammen. Alle auf Papier. Sie gefallen mir
sehr. Jemand hilft mir und legt weitere Arbeiten auf meinen Stapel. Sie sind
kleiner als die anderen und sie gefallen mir außerordentlich. Ich kann mich
zunächst gar nicht an sie erinnern und bin unsicher, ob das wirklich meine
Bilder sind – überhaupt schwebt die ganze Zeit so eine Unsicherheit über der
ganzen Szenerie, als könnte ich mich in diese Wirklichkeit nicht richtig
einloggen. Als es aber klar zu sein scheint, daß das meine Bilder sind, freue
ich mich sehr. Ich werde langsam stolz auf mein Werk. (Döbereiners Verurteilung
sitzt mir trotzdem noch im Nacken.) Wer mir geholfen und die kleineren Bilder
hergebracht hat, fällt mir nicht mehr ein. Ich weiß nur, das war ein enger,
guter Freund. Ich bin ganz nahe daran, mich an ihn zu erinnern, ich sehe schon
die Gestalt, noch dunkel verhüllt, fast schwarz neben mir, ich fühle schon die
Antwort, aber sie ploppt nicht auf.
Diese Halle macht den Eindruck einer riesigen Meisterklasse;
viele, viele Künstler schwirren umher. Der Raum ist sehr hoch, aber herunten
gibt es Trennwände, die kleinere Einheiten bilden, aber diese nie gänzlich
abschließen. Es gibt keine geschlossenen Räume mit Türen. Alles bleibt offen.
Ich bin so stolz auf meine Bilder, sie gefallen mir so gut.
Ich staune über mein Werk und freue mich. Ich gehe herum und suche noch die
restlichen Bilder. Manchmal finde ich in der riesigen, labyrinthartigen Halle
nicht gleich zu meinem Platz zurück und frage mich, ob ich jetzt wirklich beim richtigen
Stapel stehe. Aber diese Unsicherheitswellen werden nicht so dominant, daß sie
das glückliche Traumbild zerstören können.
Das war eine immens große Ausstellung und viele, vor allem
junge Künstler und Künstlerinnen tragen ihre Werke zusammen. Wie in einem
Bienenstock geht es zu. Mein Herz geht mir über und ich stimme den Mettenjodler
an. Ich gehe davon aus, daß den die Jungen nicht kennen. Aber
erstaunlicherweise fallen viele Stimmen mit in den Gesang ein. Wir singen immer
nur die erste Zeile. Ich versuche, weiter zu singen, aber finde den richtigen
Ton nicht. Eine Art Lehrerin dieser Meisterklasse oder Supervisorin dieser
Ausstellung, die auf einem etwas erhöhten Podest hinter einem Schreibtisch
sitzt, die Schreibtischlampe aufgedreht, die ein warmes, gelbes Licht
aussendet, das um die Dame herum eine warme, leuchtende Kugel bildet, diese Dame
beginnt also, sehr gekonnt und präzise zu dirigieren. Ich singe aber immer am
Schluß der ersten Zeile, die ich ständig wiederhole, einen durchaus schönen,
aber nicht den richtigen Ton. Deswegen finde ich den Einstieg in die zweite
Zeile nicht und versuche es immer wieder. Ich sage es selber und komme nicht
und nicht weiter.
Ich werde doch neuerlich etwas unsicher, denn ein ländliches
und stockkatholisches Kirchenlied, das eigentlich nur während der Wandlung bei
der Christmette zu Weihnachten gesungen werden dürfte, auf einer
Kunsthochschule? Wie kommt das an? Einmal eine Zeile, das mag ja noch hingehen,
aber ich höre ja nicht auf. Schließlich geben sich die meisten hier als junge
Wilde. Sozialpsychologisch gesehen, nicht unbedingt kunstgeschichtlich.
Plötzlich ist die Riesenhalle schon fast menschenleer und
die Beleuchtung wird abgedreht. Alle scheinen ihre Arbeit schon beendet zu
haben, nur ich nicht. Ich habe noch nicht alles zusammengesucht. Oder doch? Ist
der Stapel schon fertig? Ich bin hintennach und werde langsam nervös.
(4.10.2017)
©Peter Alois Rumpf Oktober 2017
peteraloisrumpf@gmail.com
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