Mittwoch, 4. Oktober 2017

778 Ganz sicher 1981

Eine kleine Motte kreist im Zimmer und mir fällt eine Szene ein – sagen wir – aus dem Jahr 1980. Oder 81. Eher 81. Ganz sicher 1981:
Ein Mann aus einer Gruppe von Leuten, die einen Wiesenweg entlang gehen, hat ein kleines Tier am Wegrand gefunden – ich kann mich nicht mehr erinnern, welches es war; ob Frosch, Schnecke, vielleicht auch ein Insekt – hebt es behutsam vom Boden auf – wahrscheinlich um es davor zu bewahren, von den Vorbeiwandernden zertreten zu werden – und trägt es mit der linken Hand, während er es mit seiner rechten abschirmt, und eilt in großen, tölpelhaften Schritten nach vorn, an die Spitze der Gruppe, wo der große, lokale Philosoph und seine Frau gehen, um es diesem bewunderten Alphapärchen zu zeigen. Zwei alte Frauen rufen ihm zu: „Aber Don Juan hat gesagt, daß man das nicht tun darf!“ Ein paarmal rufen sie, aber er hört es nicht, läßt sich bei seiner Rettungstat nicht irritieren, ganz hingerissen ist er von sich selbst.

Ich beobachte die Szene und finde alle drei blöd. Die alten Tanten mit ihrem zeitlupenzappelig betschwesterlich vorgetragenen Kommentar (sie würden das Gegenteil genauso, im selben elenden Tonfall vorbringen) und den Tölpel, der mit seinen großen Schuhen und ungelenken Beinen in Riesenschritten nach vorne stapft, um unterwürfig sein Lob bei den Alphas abholen zu wollen. (Es war aber gut erkennbar, daß er die beiden gehörig nervt. Sie behandelten ihn die ganze Zeit schon wie einen dummen Dienstboten.) Merken die drei denn nicht, wie daneben sie sind? Haben sie  überhaupt keine Selbsterkenntnis? Können sie nicht sehen, wie das von außen wirkt?

Um der Wahrheit Genüge zu tun: ich habe es damals auch nicht bemerkt, wie sehr das auf mich selbst zutrifft. Wie habe ich jedoch diese Leutchen verachtet!

Aus einer größeren Perspektive betrachtet bin ich damals auf meinen großen Höhenflug (in circa zwei, drei bis sechs, sieben Monaten) und direkt damit verbunden in völliger Blindheit auf meinen größten Absturz, meine größte Katastrophe (in circa drei, vier Monaten) zu gesteuert.

Und was diese von mir so herablassend verurteilten Leute betrifft: ich glaubte, ich wäre das Unbeholfene, Bescheuerte schon los, aber in Wirklichkeit hatte ich immer noch diese Merkmale eines autoritätsgebrochenen Menschen an mir, wo sich die Tatsache, daß jemand nicht in sich selber wohnt, in all seinen Bewegungen und Gesten zeigt, in all seinem Gehabe und Getue und in seinem vom Leben abgeschnittenen Denken. Und ich habe das nicht gesehen. Ja, „man tritt immer dorthin, wo man selber die Wunden hat“ (W. Döbereiner)









(3./4.10.2017)










©Peter Alois Rumpf    Oktober 2017     peteraloisrumpf@gmail.com

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