Dienstag, 1. November 2016

484 Meine ersten Jobs

Es ist ja oft so, daß der Beginn von etwas das aus ihm Folgende im Kern enthält. Ich behaupte nicht, daß das immer so ist – dazu fehlt mir die Übersicht – aber oft. Jemand betritt einen Bereich und wie sich die Szene entwickelt, das wird fast zu einer Definition des Ganzen. Was vorher noch offen war, wird jetzt beinah endgültig festgelegt. Nachträglich andere Erfahrungen können diese Festlegung, diese Definition nicht mehr so leicht aufbrechen – im Guten wie im Bösen. Wenn also davon die Rede ist, daß jedem Anfang ein Zauber innewohne, dann stimmt das nur, wenn man ergänzt, daß das auch ein Schadzauber sein kann.

Meine ersten Erfahrungen in der Arbeitswelt waren ein Desaster. (Die große Ausnahme waren meine Dienste in der katholischen Kirche; trotz einiger „Unfälle“ in den ersten Monaten war man dort mit mir wegen meiner Verlässlichkeit sehr zufrieden.)

Der erste Job dauerte nur einen Tag. Ich war definitiv zu jung und schwach dafür, dem Landvermesser seine Geräte zu schleppen und außerdem konnte ich ihm auch die ganzen Flur- und Hofnamen nicht sagen, ich, als Kind von Zugereisten im „Akademikerghetto“ Buwogsiedlung aufgewachsen.

Beim nächsten Mal habe ich in Gumpenstein ferialgejobt, wo auch mein Vater arbeitete. Nicht in der gleichen Abteilung, denn das war eine große Versuchsanstalt für alpenländische Landwirtschaft mit hunderten Mitarbeitern. Es war offensichtlich, daß die in der mir zugeteilten Abteilung mit mir nicht viel anzufangen wußten. Ich bemerkte schon, daß sie sich für mich Arbeiten ausdenken mußten. Und ich als sechszehnjähriger Schüchtling störte durch meine Anwesenheit wohl auch ihren sonst ablaufenden oft schlüpfrigen Schmäh. Gerne teilten sie mich zu Arbeiten ein, wo ich woanders und/oder allein war. Das war mir recht und ich nahm es mit Dankbarkeit an. Aber immer ging das nicht.

In einer anderen Abteilung dann gab es einmal eine größere Aktion; irgendetwas mußte für die nachfolgenden Untersuchungen gestampft werden und das sollte schnell gehen, damit die zu untersuchenden Proben die richtige Konsistenz hatten, die offensichtlich nicht lange anhielt.
Ich war zum Stampfen eingeteilt. Vorher hatten mich einige Leute dort schon auf der Schaufel. Sie redeten von mir als dem „Außireißer“  – so in dem Sinn - „diesmal wird alles gut und flott gehen, denn wir haben ja den Außireißer“. Mir wurde immer unwohler. Erstens wußte ich schon, wo solches Gerede hinführt und zweitens waren das nämlich schon richtige Tröge in denen das Zeug – ich glaube, es war Silage – mit großen Stösseln fest gestampft werden mußte. Ich begann, strengte mich an, aber ich war zu schwach. Mir ging einfach die Kraft aus. Ich war nicht stark genug. Schließlich mußte getauscht werden und eine Frau mußte meinen Part übernehmen. Das war mir so peinlich! Noch dazu in diesem Alter von sechszehn, siebzehn, wo man sich schon auch ein wenig als Mann fühlen oder gar präsentieren möchte. Oh, wie peinlich! Noch dazu, wo die Frau richtig angefressen war und auf mich geschimpft hat, weil sie ihren Part – irgendwelche gemessenen Werte in eine Tabelle eintragen – mir überlassen mußte. Den Spott und den Hohn, der auf mich abgelassen wurde, den hörte ich in meiner Scham nur mehr als Lawine, so peinlich war mir das Ganze. In den Boden versinken und vom Antlitz der Erde verschwinden. (Ich glaube gar nicht, daß das so viele Kollegen waren, die gespottet haben – es sind ja doch meistens nur einige, die das Maul aufreißen.) Ja, das ist gesessen.

Mein nächster Ferialjob war in der Sparkasse. Da hat sich das Selbe auf anderem Gebiet fortgesetzt. Hier ging es ja nicht um Muskelkraft, sondern um eine gewisse Gewandtheit im Umgang mit Kunden. Aber auch die fehlte mir komplett. Ich mit meiner extremen Schüchternheit und Menschenangst stotterte etwas zusammen, verrechnete mich im Stress ständig und war nichteinmal dazu fähig, den Touristen ihr Geld zu wechseln, weil ich zu schlecht Englisch konnte. Wieder ein Desaster. Auch da war es so, daß sich der Verantwortliche für mich Arbeiten ausdenken mußte. Ich wurde gern ins Archiv nach hinten verbannt – was mir wirklich am Liebsten war, ich habe es regelrecht als Gnade gesehen – wo ich zum Beispiel die Geschenke für den Weltspartag schlichten, umräumen oder verpacken mußte. Das machte ich verlässlich und wie beauftragt. Trotzdem ist es demütigend zu spüren, daß man das Geld, das man bekommt, sich nicht richtig verdient hat.

Einmal erhielt ich den großen Auftrag, händisch – wie damals noch üblich – die Kontonummern an den Stammblättern der Kundendatei zu ergänzen, denn die Nummern wurden erweitert. Der Erste unter den Angestellten, der mir die Arbeiten auftrug, ging zwei oder drei Wochen auf Urlaub und rechnete sich aus, daß ich für diese Arbeit mindestens so lange brauchen würde. Ich saß also alleine hinten im Archiv und begann auftragsgemäß mit den Girokonten, ergänzte die Nummern nach dem vorgegebenen Schlüssel. Ich arbeitete gewissenhaft und brav. Ich kam nicht auf die Idee, wirklich Zeit zu schinden, ich wollte doch auch wenigstens einen halbwegs annehmbaren Beitrag für mein Geld leisten. Und so war ich schon mit den Girokonten fertig, bevor mein Chef aus dem Urlaub zurück war. Was tun? Ich ging also zu seiner Stellvertreterin und fragte sie, was jetzt meine Arbeit wäre. Eher unfreundlich meinte sie, ich solle halt die Sparkonten umschreiben. Sie war in die Sache nicht wirklich involviert, deshalb fragte ich nach „nach dem gleichen Schlüssel wie die Girokonten?“ „Ja, ja“, antwortete sie genervt und ich betonte noch, daß mir der Herr XY nur den Auftrag für die Girokonten gegeben und nur den Girokontenumschreibungsschlüssel erklärt hat. „Also nach dem gleichen Schema wie die Girokonten?“ „Ja, ja!“

Ich setzte mich in die Kammer und begann wieder zu schreiben. Blatt für Blatt änderte ich die Kontonummer nach dem vorgegebenen Schema. Ich war mit den Sparkontoblättern schon weit über die Hälfte fertig, als der eigentliche Chef vom Urlaub zurückkam. Als er sah, was ich da machte, fuhr er mich an: „Was machst du da! Die Sparkonten habe ich dir nicht angeschafft!“ Er war sichtlich verärgert. Seine Stellvertreterin war in der Nähe, ich schaute sie an, sie wich meinem Blick aus und tat so, als hätte sie das alles nicht mitbekommen und schusselte und kramte auf ihrem Schreibtisch herum. Sie hat das sicher mitgehört und war nicht Manns oder Fraus genug zum Chef zu sagen, „Entschuldige, ich habe ihm das angeschafft; ich dachte … etc.“
Und ich habe es nicht zusammengebracht zu sagen: „Die Frau Sowieso hat mir das angeschafft.“ Stattdessen stammelte ich irgendetwas von „ich habe mir gedacht ...“. An das Schimpfen dann kann ich mich nicht im Detail erinnern. Wozu auch? Die Sache war doch klar: ich bin der Versager, ich verdiene es auf jeden Fall viel eher, beschimpft zu werden, als die Frau Sowieso, denn ich bin ja der, der zu nichts zu gebrauchen ist. Und erst recht, wenn ich es nicht schaffe, mich zu wehren.
Aber wieso?! Wieso denke ich so? Ich war ja im Recht. Wieso schone ich sie? Ist es mein unsägliches Mitleid mit einstürzenden Autoritäten? Ist es, weil ich mich schämte, daß sie sich für mich irgendwelche unnötigen Arbeiten ausdenken mußten und ich dort so unnötig war wie ein Kropf? Dieses falsche Weib bloßzustellen, ich habe es einfach nicht zusammengebracht. Es fehlte mir dafür einfach das Selbstbewußtsein. So etwas habe ich in meinem Aufwachsen nie kennengelernt. Ich habe den Fehler (die „Schuld“) auf mich genommen.





Vor ein paar Tagen hat meine ältere Tochter ihren ersten Arbeitstag in ihrem ersten Job gehabt und es ist sehr gut gegangen. Man macht sich ja Sorgen, was man alles seinen Kindern an Üblem und Unerledigtem weitergegeben hat. Das Obige scheint nicht dabei zu sein. Danke, Himmel, Universum oder wer oder was auch immer!













©Peter Alois Rumpf    November 2016     peteraloisrumpf@gmail.com

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