484 Meine ersten Jobs
Es ist ja oft so, daß der Beginn von etwas das aus ihm
Folgende im Kern enthält. Ich behaupte nicht, daß das immer so ist – dazu fehlt
mir die Übersicht – aber oft. Jemand betritt einen Bereich und wie sich die
Szene entwickelt, das wird fast zu einer Definition des Ganzen. Was vorher noch
offen war, wird jetzt beinah endgültig festgelegt. Nachträglich andere
Erfahrungen können diese Festlegung, diese Definition nicht mehr so leicht
aufbrechen – im Guten wie im Bösen. Wenn also davon die Rede ist, daß jedem
Anfang ein Zauber innewohne, dann stimmt das nur, wenn man ergänzt, daß das
auch ein Schadzauber sein kann.
Meine ersten Erfahrungen in der Arbeitswelt waren ein
Desaster. (Die große Ausnahme waren meine Dienste in der katholischen Kirche;
trotz einiger „Unfälle“ in den ersten Monaten war man dort mit mir wegen meiner
Verlässlichkeit sehr zufrieden.)
Der erste Job dauerte nur einen Tag. Ich war definitiv zu
jung und schwach dafür, dem Landvermesser seine Geräte zu schleppen und außerdem
konnte ich ihm auch die ganzen Flur- und Hofnamen nicht sagen, ich, als Kind
von Zugereisten im „Akademikerghetto“ Buwogsiedlung aufgewachsen.
Beim nächsten Mal habe ich in Gumpenstein ferialgejobt, wo
auch mein Vater arbeitete. Nicht in der gleichen Abteilung, denn das war eine
große Versuchsanstalt für alpenländische Landwirtschaft mit hunderten
Mitarbeitern. Es war offensichtlich, daß die in der mir zugeteilten Abteilung
mit mir nicht viel anzufangen wußten. Ich bemerkte schon, daß sie sich für mich
Arbeiten ausdenken mußten. Und ich als sechszehnjähriger Schüchtling störte
durch meine Anwesenheit wohl auch ihren sonst ablaufenden oft schlüpfrigen
Schmäh. Gerne teilten sie mich zu Arbeiten ein, wo ich woanders und/oder allein
war. Das war mir recht und ich nahm es mit Dankbarkeit an. Aber immer ging das
nicht.
In einer anderen Abteilung dann gab es einmal eine größere
Aktion; irgendetwas mußte für die nachfolgenden Untersuchungen gestampft werden
und das sollte schnell gehen, damit die zu untersuchenden Proben die richtige
Konsistenz hatten, die offensichtlich nicht lange anhielt.
Ich war zum Stampfen eingeteilt. Vorher hatten mich einige
Leute dort schon auf der Schaufel. Sie redeten von mir als dem
„Außireißer“ – so in dem Sinn -
„diesmal wird alles gut und flott gehen, denn wir haben ja den Außireißer“.
Mir wurde immer unwohler. Erstens wußte ich schon, wo solches Gerede hinführt
und zweitens waren das nämlich schon richtige Tröge in denen das Zeug – ich
glaube, es war Silage – mit großen Stösseln fest gestampft werden mußte. Ich
begann, strengte mich an, aber ich war zu schwach. Mir ging einfach die Kraft
aus. Ich war nicht stark genug. Schließlich mußte getauscht werden und eine
Frau mußte meinen Part übernehmen. Das war mir so peinlich! Noch dazu in diesem
Alter von sechszehn, siebzehn, wo man sich schon auch ein wenig als Mann fühlen
oder gar präsentieren möchte. Oh, wie peinlich! Noch dazu, wo die Frau richtig
angefressen war und auf mich geschimpft hat, weil sie ihren Part – irgendwelche
gemessenen Werte in eine Tabelle eintragen – mir überlassen mußte. Den Spott
und den Hohn, der auf mich abgelassen wurde, den hörte ich in meiner Scham nur
mehr als Lawine, so peinlich war mir das Ganze. In den Boden versinken und vom
Antlitz der Erde verschwinden. (Ich glaube gar nicht, daß das so viele Kollegen
waren, die gespottet haben – es sind ja doch meistens nur einige, die das Maul
aufreißen.) Ja, das ist gesessen.
Mein nächster Ferialjob war in der Sparkasse. Da hat sich
das Selbe auf anderem Gebiet fortgesetzt. Hier ging es ja nicht um Muskelkraft,
sondern um eine gewisse Gewandtheit im Umgang mit Kunden. Aber auch die fehlte
mir komplett. Ich mit meiner extremen Schüchternheit und Menschenangst
stotterte etwas zusammen, verrechnete mich im Stress ständig und war
nichteinmal dazu fähig, den Touristen ihr Geld zu wechseln, weil ich zu
schlecht Englisch konnte. Wieder ein Desaster. Auch da war es so, daß sich der
Verantwortliche für mich Arbeiten ausdenken mußte. Ich wurde gern ins Archiv
nach hinten verbannt – was mir wirklich am Liebsten war, ich habe es regelrecht
als Gnade gesehen – wo ich zum Beispiel die Geschenke für den Weltspartag
schlichten, umräumen oder verpacken mußte. Das machte ich verlässlich und wie
beauftragt. Trotzdem ist es demütigend zu spüren, daß man das Geld, das man
bekommt, sich nicht richtig verdient hat.
Einmal erhielt ich den großen Auftrag, händisch – wie damals
noch üblich – die Kontonummern an den Stammblättern der Kundendatei zu
ergänzen, denn die Nummern wurden erweitert. Der Erste unter den Angestellten,
der mir die Arbeiten auftrug, ging zwei oder drei Wochen auf Urlaub und
rechnete sich aus, daß ich für diese Arbeit mindestens so lange brauchen würde.
Ich saß also alleine hinten im Archiv und begann auftragsgemäß mit den
Girokonten, ergänzte die Nummern nach dem vorgegebenen Schlüssel. Ich arbeitete
gewissenhaft und brav. Ich kam nicht auf die Idee, wirklich Zeit zu schinden,
ich wollte doch auch wenigstens einen halbwegs annehmbaren Beitrag für mein
Geld leisten. Und so war ich schon mit den Girokonten fertig, bevor mein Chef
aus dem Urlaub zurück war. Was tun? Ich ging also zu seiner Stellvertreterin und
fragte sie, was jetzt meine Arbeit wäre. Eher unfreundlich meinte sie, ich
solle halt die Sparkonten umschreiben. Sie war in die Sache nicht wirklich
involviert, deshalb fragte ich nach „nach dem gleichen Schlüssel wie die
Girokonten?“ „Ja, ja“, antwortete sie genervt und ich betonte noch, daß mir der
Herr XY nur den Auftrag für die Girokonten gegeben und nur den
Girokontenumschreibungsschlüssel erklärt hat. „Also nach dem gleichen Schema
wie die Girokonten?“ „Ja, ja!“
Ich setzte mich in die Kammer und begann wieder zu
schreiben. Blatt für Blatt änderte ich die Kontonummer nach dem vorgegebenen
Schema. Ich war mit den Sparkontoblättern schon weit über die Hälfte fertig,
als der eigentliche Chef vom Urlaub zurückkam. Als er sah, was ich da machte,
fuhr er mich an: „Was machst du da! Die Sparkonten habe ich dir nicht
angeschafft!“ Er war sichtlich verärgert. Seine Stellvertreterin war in der
Nähe, ich schaute sie an, sie wich meinem Blick aus und tat so, als hätte sie
das alles nicht mitbekommen und schusselte und kramte auf ihrem Schreibtisch
herum. Sie hat das sicher mitgehört und war nicht Manns oder Fraus genug zum
Chef zu sagen, „Entschuldige, ich habe ihm das angeschafft; ich dachte … etc.“
Und ich habe es nicht zusammengebracht zu sagen: „Die Frau
Sowieso hat mir das angeschafft.“ Stattdessen stammelte ich irgendetwas von
„ich habe mir gedacht ...“. An das Schimpfen dann kann ich mich nicht im Detail
erinnern. Wozu auch? Die Sache war doch klar: ich bin der Versager, ich
verdiene es auf jeden Fall viel eher, beschimpft zu werden, als die Frau
Sowieso, denn ich bin ja der, der zu nichts zu gebrauchen ist. Und erst recht,
wenn ich es nicht schaffe, mich zu wehren.
Aber wieso?! Wieso denke ich so? Ich war ja im Recht. Wieso
schone ich sie? Ist es mein unsägliches Mitleid mit einstürzenden Autoritäten?
Ist es, weil ich mich schämte, daß sie sich für mich irgendwelche unnötigen
Arbeiten ausdenken mußten und ich dort so unnötig war wie ein Kropf? Dieses
falsche Weib bloßzustellen, ich habe es einfach nicht zusammengebracht. Es
fehlte mir dafür einfach das Selbstbewußtsein. So etwas habe ich in meinem
Aufwachsen nie kennengelernt. Ich habe den Fehler (die „Schuld“) auf mich
genommen.
Vor ein paar Tagen hat meine ältere Tochter ihren ersten
Arbeitstag in ihrem ersten Job gehabt und es ist sehr gut gegangen. Man macht
sich ja Sorgen, was man alles seinen Kindern an Üblem und Unerledigtem
weitergegeben hat. Das Obige scheint nicht dabei zu sein. Danke, Himmel,
Universum oder wer oder was auch immer!
©Peter Alois Rumpf
November 2016 peteraloisrumpf@gmail.com
0 Kommentare:
Kommentar veröffentlichen
Abonnieren Kommentare zum Post [Atom]
<< Startseite