Freitag, 28. Oktober 2016

479 Meine Ikonostase

Um fünf Uhr früh aus dem Schlaf gescheucht. Müde noch und grüblerisch. Der Schwung der letzten Tage scheint verflüchtigt. Geflohen, wovor?

Unten hört man jemand seine Morgengymnastik machen (Ui! Das ist aber ganz böse ausgedrückt.). Handstand, Kopfstand und so. (Nein, nicht, was ihr denkt!)
Ich scheitere schon drei Stationen vorher. Mindestens. Aber ich gehe jetzt trotzdem nicht auf die Scheiterungswelle ein. Du weißt schon, die Welle, die das Schiff zum Scheitern bringt und in seine Holztrümmer zerlegt.
Gestern abend habe ich den Satz „Eine Riesenwelle rollt auf mich/das Festland/meine Insel zu“ geschrieben. Worauf genau, darauf konnte ich mich mit mir selber nicht einigen.

Jetzt hocke ich da, huste ein wenig. Ein trockener Husten, nicht stark, aber weggehen tut er auch nicht.

Wie gesagt, ich bleibe neutral, beobachte nur, seufze kaum/ein wenig (schon wieder unentschieden!). Mein kariertes Hemd dort an der Tür erinnert mich an eine ausgedachte Holzfällergesundheit, amerikanisch. Überhaupt: der Sessel voller Kleidungsstücke, etwas achtlos hingeworfen, hingeschleudert in mißverstandener existentialistischer Nachäfferei. Wahrlich, trotz Popmusik bin ich in den Fünfzigerjahren hängen geblieben.
Zum Teil. Meine Selbst- oder Weltbezichtigungstour will auch nicht so recht gelingen – nun, ich nehme es ja nicht ernst.

Also, was dann? Mein Blick streift über meine unorthodox an die Wand gepinnte Ikonostase aus Heiligenbildern, Hochzeitsphoto, einer Glückwunschkarte meiner kindheitlichen Lieblingstante zum Sechziger, berührenden Kinderzeichnungen und Basteleien meiner Töchter und getrockneten Blättern. Und einer kleinen, originalen, schönen, sensiblen Arbeit der slowenischen Künstlerin Jana Vizjak. Wie es ihr wohl geht? Das letzte vereinbarte Treffen hat nicht geklappt.

Anscheinend hat diese Ikonostase etwas Zufälliges, fast Beliebiges. Aber nicht ganz. Nein, ich muß sagen, ich liebe sie – sie ist das Album meines Lebens. Der letzten zehn, zwanzig Jahre.
Also scheine ich mein Leben zu lieben. Was will ich mehr? Ich muß es mir nur vorsagen und beweisen. Ausrechnen sozusagen.

Mein Gott! Da hängt ja neben dem Bademantel auch noch mein schönes Rekapitulationstuch, seit Jahren nicht mehr gebraucht.















©Peter Alois Rumpf    Oktober 2016     peteraloisrumpf@gmail.com

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