474 Die wirkliche Veränderung
Gestern hat meine ältere Tochter vom Philosophieunterricht
in der Schule geschwärmt und begeistert von Platons Höhlengleichnis erzählt als
Sinnbild ideologischer Verblendung. Ich war nahe daran, noch zu ergänzen, daß
das bei Platon auch noch ins Fundamentalere geht. Aber ich habe mich
zurückgehalten und nichts gesagt und gelächelt. Nur den Hinweis, daß ich ihr
vor Jahren schon angekündigt habe, daß ihr die Philosophie gefallen wird und
sie bei diesem Fach und bei der Literatur aufblühen wird, das habe ich noch
angebracht. (Ich bin doch ein unverbesserlicher Rechthaber!)
Ich habe deswegen nichts gesagt, weil ich meine Kinder in
ihrem Aufwachsen viel zu viel belehrt
und ihnen damit viele Chancen genommen habe, ihre eigenen Erfahrungen zu
machen und ihre eigenen Erkenntnisse zu gewinnen.
Aber mit dem Höhlengleichnis läßt sich gut erklären, was
Zauberei bei Carlos Castaneda ist. Mit unserer Alltagswahrnehmung sind wir in
der Höhle gefangen und sehen nur Schatten des Eigentlichen und unsere
Erkenntnisse und Vorstellungen bleiben schattenhaft. „Das ist ein Tisch.“ -
Schatten! – in dem nur Promille vom eigentlichen Ding abgebildet sind. „Das ist
eine Wand und da kann ich nicht durchgehen“ - Schatten! „Die Welt besteht aus
Objekten“ - Schattenspiel! „Der hat einen XY-Charakter“ - Schattenerkenntnis.
„Die Zeit ist ein Kontinuum von wasweißichwas“ - Schattenerkenntnis (die mehr
oder weniger das Ursprüngliche widerspiegelt). „Der Mensch wird geboren, lebt,
wird alt, stirbt“ - Schattendefinition.
Zauberei ist eine Technik, sich von diesen Fesseln zu
befreien und zum Ausgang der Höhle zu krabbeln. Also nur ein Weg. (Das wäre
auch Religion, wenn sie echt ist.) Es geht nämlich darum, zum Höhlenausgang zu
kommen und die Wirklichkeit direkt zu sehen. Das ist Sehen. Dorthin zu
gelangen ist für uns in der Höhle Gefangenen ein mühsamer Kampf und alle
Zaubertechniken dienen nur diesem Ziel.
Die Erfahrung des Sehens jedoch verändert den Menschen
wirklich und die Welt wird für den Seher oder die Seherin nie mehr so sein wie
sie vorher war. Das ist die wirkliche Veränderung.
In den tiefsten Schichten unseres Bewußtseins wissen wir,
daß wir in der Höhle gefangen sind und wir alle wollen in unserem tiefsten
Inneren zum reinen Sehen gelangen, aus dessen Reich wir ja kommen. Unsere ganze
Verzweiflung und Wut kommt letztlich nur aus dem, daß uns das nicht gelingt.
Gerade beim modernen Menschen, der besonders weit von seinem Ursprung entfernt
ist. Wir alle habe das Potential zum Sehen; es ist unser angestammtes Erbe.
Wenn es uns nicht gelingt – das ist unsere wirkliche Wunde.
©Peter Alois Rumpf Oktober
2016 peteraloisrumpf@gmail.com
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