449 Kein guter, aussagestarker Text (aber Achtung! Ich bin der Meister der irreführenden Überschriften)
Nachdem ich gestern fünf Texte auf die Schublade gestellt
habe und erst um zwei Uhr früh schlafen gegangen bin, habe ich heute
schreibfrei. Ich greife nur aus Gewohnheit zum Notizbuch, weil ich doch zu früh
aufgewacht bin und mir nichts anderes einfällt. Schreiben muß ich nichts. Es
drängt sich auch nichts auf. Aber fürs Tensegrity-Üben bin ich noch zu müde,
aufstehen will ich auch noch nicht. Ich liege gut unterpolstert an die Rückwand
meines Bettes gelehnt, das Büchel vor mir auf den angezogenen Oberschenkeln
liegend, den Kugelschreiber in der Hand, die Lesebrille auf …
Ich erwarte keinen guten, aussagestarken Text, da habe ich
mich gestern zu sehr verausgabt. Ich kann auch nicht jeden Tag irgendeine
Peinlichkeit aus meinem Leben erzählen, obwohl es deren mehr als genug gibt.
Also? Was jetzt? Irgend so ein Schreibgeplänkel?
Zu einem Rosenbergzitat fällt mir etwas ein: Marshall
Rosenberg sagt, daß die eigene Angst in den Augen des Anderen fast immer, immer
als Aggression erscheint. Ein wichtiger Satz für mich, den ich erst vor Kurzem
kennengelernt habe. Sofort hatte ich an meinen Vater gedacht, daß er nämlich
meine Angst vor ihm als Aggression gesehen hat. Aber jetzt gerade kommt mir die
Frage in den Sinn, wie es umgekehrt war; war das, was ich als Aggression, ja
als Haß der Eltern mir gegenüber wahrgenommen habe, auch in Wirklichkeit Angst?
Aber wovor? Vor mir? Das kann ich mir überhaupt nicht vorstellen! Um mich?
Vielleicht schon eher, eventuell in Situationen ihrer Überforderung. Und das
Spotten und Bloßstellen, das Niedermachen und Beschimpfen? Jetzt nicht aus
Stressituationen heraus, sondern nur so nebenbei? Was war das?
Da tut sich für mich ein großes Forschungsfeld auf. Immerhin
auch ein Ergebnis.
Da fällt mir noch etwas ein: Wolfgang Döbereiner erklärt ja,
daß die Söhne von den Müttern den Namen Peter bekommen, die sie an den
eigentlich gewünschten Partner erinnern sollen. Also die Mutter hat einen Mann
geheiratet, den sie sich nicht gewünscht hat, weil der „Eigentliche“ für sie
nicht erreichbar war. (Kann man auch bei Peter Rosegger nachlesen.) Der Sohn
Peter (Petrusamt als Stellvertreteramt) soll den eigentlichen Geliebten
repräsentieren und die Mutter an ihn erinnern. Der Ehemann und Vater des Peter
(meistens der älteste Sohn) hat keine Chance gegen den „eigentlich“ Geliebten
seiner Frau, weil der nicht anwesend und greifbar ist und als idealisiertes
Phantom unangreifbar und unbesiegbar. Die Mutter will sich an ihrem Partner
dafür rächen, daß sie ihn, den Falschen und Ungeliebten, geheiratet und sich
von ihm ein Kind hat „machen“ lassen hat. Der Sohn Peter wird in dieses Drama
hineingezogen und erhält den Auftrag, diese Rache der Mutter an ihren Ehemann,
also an seinen Vater, zu vollziehen. Der Peter rennt also mit so etwas wie
einem ödipalen Tötungsauftrag herum und soll auf jeden Fall seinen Vater
besiegen. Das Unbewußte weiß diese Zusammenhänge, auch das meines Vaters. Also
ist es sehr wahrscheinlich, daß er tatsächlich – unbewußt – Angst vor mir
hatte, weil er den Tötungsauftrag der Ehefrau spürte und mich, als den
Stellvertreter des „Eigentlichen“, als Repräsentant seines unbesiegbaren
Rivalen wahrnahm und so einen Feind heranwachsen sah.
Das ist plausibel!
Das ist plausibel!
Man und frau soll sich keine Illusionen machen, hinter den
groß-, klein- und mittelbürgerlichen Fassaden spielen sich diese ganzen
grausamen, archaischen Tragödien ab. So auch Döbereiner. Dann wird mir meine
lebenslange Handlungsunfähigkeit klar – ich will den Auftrag nicht ausführen
und mich davonstehlen. Scheitern als Versuch des Kindes, sich zwischen den
Fronten durchzuschummeln, weder Vater noch Mutter zu verlieren und einen
unmöglichen Ausgleich zu schaffen.
Natürlich gäbe es eine echte Lösung, nämlich Heilung, aber
das müßte schon ein veritables Heilungswunder sein, und wird nicht ohne
Mitwirkung der Himmelskräfte gehen. Naja, ich übertreibe gern. Immerhin habe
ich mich nicht ganz blenden lassen und durchschaue – hier muß ich eindeutig
sagen: dank Döbereiner – dieses archaische Drama ein wenig, zumindest in hellen
Momenten.
Wichtig ist mir in solchen Zusammenhängen die Aussage von
Jesper Juul, daß in der Beziehung zwischen Erwachsenen und Kindern die
Verantwortung für die Qualität der Beziehung ausschließlich beim Erwachsenen
liegt (aus dem Gedächtnis zitiert).
Und: jeder hat die Chance, hinter die Fassaden zu schauen,
er muß nur mutig genug sein. Ist ein solcher destruktiver Mechanismus einmal
ins Bewußtsein gebracht, hat er schon viel seiner Macht verloren. Hoffe ich
zumindest.
©Peter Alois Rumpf
September 2016
peteraloisrumpf@gmail.com
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