Dienstag, 20. September 2016

449 Kein guter, aussagestarker Text (aber Achtung! Ich bin der Meister der irreführenden Überschriften)

Nachdem ich gestern fünf Texte auf die Schublade gestellt habe und erst um zwei Uhr früh schlafen gegangen bin, habe ich heute schreibfrei. Ich greife nur aus Gewohnheit zum Notizbuch, weil ich doch zu früh aufgewacht bin und mir nichts anderes einfällt. Schreiben muß ich nichts. Es drängt sich auch nichts auf. Aber fürs Tensegrity-Üben bin ich noch zu müde, aufstehen will ich auch noch nicht. Ich liege gut unterpolstert an die Rückwand meines Bettes gelehnt, das Büchel vor mir auf den angezogenen Oberschenkeln liegend, den Kugelschreiber in der Hand, die Lesebrille auf …
Ich erwarte keinen guten, aussagestarken Text, da habe ich mich gestern zu sehr verausgabt. Ich kann auch nicht jeden Tag irgendeine Peinlichkeit aus meinem Leben erzählen, obwohl es deren mehr als genug gibt. Also? Was jetzt? Irgend so ein Schreibgeplänkel?

Zu einem Rosenbergzitat fällt mir etwas ein: Marshall Rosenberg sagt, daß die eigene Angst in den Augen des Anderen fast immer, immer als Aggression erscheint. Ein wichtiger Satz für mich, den ich erst vor Kurzem kennengelernt habe. Sofort hatte ich an meinen Vater gedacht, daß er nämlich meine Angst vor ihm als Aggression gesehen hat. Aber jetzt gerade kommt mir die Frage in den Sinn, wie es umgekehrt war; war das, was ich als Aggression, ja als Haß der Eltern mir gegenüber wahrgenommen habe, auch in Wirklichkeit Angst? Aber wovor? Vor mir? Das kann ich mir überhaupt nicht vorstellen! Um mich? Vielleicht schon eher, eventuell in Situationen ihrer Überforderung. Und das Spotten und Bloßstellen, das Niedermachen und Beschimpfen? Jetzt nicht aus Stressituationen heraus, sondern nur so nebenbei? Was war das?
Da tut sich für mich ein großes Forschungsfeld auf. Immerhin auch ein Ergebnis.

Da fällt mir noch etwas ein: Wolfgang Döbereiner erklärt ja, daß die Söhne von den Müttern den Namen Peter bekommen, die sie an den eigentlich gewünschten Partner erinnern sollen. Also die Mutter hat einen Mann geheiratet, den sie sich nicht gewünscht hat, weil der „Eigentliche“ für sie nicht erreichbar war. (Kann man auch bei Peter Rosegger nachlesen.) Der Sohn Peter (Petrusamt als Stellvertreteramt) soll den eigentlichen Geliebten repräsentieren und die Mutter an ihn erinnern. Der Ehemann und Vater des Peter (meistens der älteste Sohn) hat keine Chance gegen den „eigentlich“ Geliebten seiner Frau, weil der nicht anwesend und greifbar ist und als idealisiertes Phantom unangreifbar und unbesiegbar. Die Mutter will sich an ihrem Partner dafür rächen, daß sie ihn, den Falschen und Ungeliebten, geheiratet und sich von ihm ein Kind hat „machen“ lassen hat. Der Sohn Peter wird in dieses Drama hineingezogen und erhält den Auftrag, diese Rache der Mutter an ihren Ehemann, also an seinen Vater, zu vollziehen. Der Peter rennt also mit so etwas wie einem ödipalen Tötungsauftrag herum und soll auf jeden Fall seinen Vater besiegen. Das Unbewußte weiß diese Zusammenhänge, auch das meines Vaters. Also ist es sehr wahrscheinlich, daß er tatsächlich – unbewußt – Angst vor mir hatte, weil er den Tötungsauftrag der Ehefrau spürte und mich, als den Stellvertreter des „Eigentlichen“, als Repräsentant seines unbesiegbaren Rivalen wahrnahm und so einen Feind heranwachsen sah.
Das ist plausibel!

Man und frau soll sich keine Illusionen machen, hinter den groß-, klein- und mittelbürgerlichen Fassaden spielen sich diese ganzen grausamen, archaischen Tragödien ab. So auch Döbereiner. Dann wird mir meine lebenslange Handlungsunfähigkeit klar – ich will den Auftrag nicht ausführen und mich davonstehlen. Scheitern als Versuch des Kindes, sich zwischen den Fronten durchzuschummeln, weder Vater noch Mutter zu verlieren und einen unmöglichen Ausgleich zu schaffen.
Natürlich gäbe es eine echte Lösung, nämlich Heilung, aber das müßte schon ein veritables Heilungswunder sein, und wird nicht ohne Mitwirkung der Himmelskräfte gehen. Naja, ich übertreibe gern. Immerhin habe ich mich nicht ganz blenden lassen und durchschaue – hier muß ich eindeutig sagen: dank Döbereiner – dieses archaische Drama ein wenig, zumindest in hellen Momenten.

Wichtig ist mir in solchen Zusammenhängen die Aussage von Jesper Juul, daß in der Beziehung zwischen Erwachsenen und Kindern die Verantwortung für die Qualität der Beziehung ausschließlich beim Erwachsenen liegt (aus dem Gedächtnis zitiert).
Und: jeder hat die Chance, hinter die Fassaden zu schauen, er muß nur mutig genug sein. Ist ein solcher destruktiver Mechanismus einmal ins Bewußtsein gebracht, hat er schon viel seiner Macht verloren. Hoffe ich zumindest.













©Peter Alois Rumpf    September 2016     peteraloisrumpf@gmail.com


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