Montag, 19. September 2016

444 Wundertäterfragment 22

„Wundertäter, was ist los mit dir?“

„Ich habe ein chaotisches Magnetfeld. Und schwach ist es. Darum schützt es so wenig vor der Umgebungsstrahlung.“

„Wie?“

„Naja, gehe ich in eine Kirche, werde ich religiös, oder auch antireligiös. Das Magnetfeld der Kirche wirkt bis in meinen Kern und der dreht sich mit oder dagegen.“

„Aha! Ist das physikalisch überhaupt möglich?“

„Weiß nicht. Aber es wirken nicht nur Gebäude; auch Menschen, Menschengruppen dringen tief in mein Magnetfeld ein. Bei Gebäuden ist es ja auch so, daß die Energien und Intentionen der Erbauer und Benutzer darin gespeichert sind und als Magnetfeld wirken, beziehungsweise das bestehende verstärken. Fußballstadien. Ich verliere mich in allem. Deshalb vollbringe ich keine Wunder.
Kino! Ein existentialistischer Film und ich bin existentialistisch unterwegs; ein erotischer Film und ich ...“

„Ja, ja! Das kann ich mir denken!“

„Aber es ist immer eine Bewegung mit dem einwirkenden Feld möglich oder gegen es. Beides ist eine Auswirkung des einwirkenden Magnetfeldes. Das macht keinen Unterschied. Übrigens ein Photo kann auch genügen.“

„Ja, interessant!“

„Sehe ich Raucher, will ich rauchen und denke: wie hingegeben ihrer Atmung, wie meditativ auch, wie geisterweckend, wie ungeniert süchtig, wie kommunikativ mit anderen Rauchern. Man hat im Gespräch einen dritten Bezugspunkt, der die Fixierung auf das Gegenüber auflockert und somit das Gespräch erleichtert. Oder ich komm mir ganz toll vor, weil ich nicht rauche. Eine beschwipste Tischgesellschaft – ich will trinken. Ich denke, wie verzwickt ich mit meiner Abstinenz bin, während die so fröhlich sind, so locker, welche Gemeinschaft! Dem Augenblick hingegeben! Wenn ich einen Asketen sehe, will ich auch unbedingt ein Asket sein. Wie der leicht und unbelastet die Stiegen hinauf geht! Fröhlich, sorglos, frei. Und wie dünn er ist, trägt keine unnötigen Lasten. Wenn ich an einem Tatooshop vorbeigehe – schon lasse ich mir den Orion tätowieren, obwohl ich vorher noch Tatoos verabscheut habe.
Und Musik! Aber der setze ich mich freiwillig aus!“

„Und warum hindert dich das an den Wundern?“

„Weil ich dadurch mein Feld nicht aufbauen und stark werden lassen kann. Ständig wird es hin und her gerissen, verzerrt, abgelenkt, zusammengepresst, auseinandergezogen bis es ganz dünn und schwächlich ist oder es wird so klein, daß davon fast nichts mehr da ist. Zeitweise habe ich mehr als zwei Pole; es wird fast auseinandergerissen.“

„Und was kann man dann tun?“

„Nichts.“

„Hm!“

„Ja und die Magnetfelder zum Beispiel der Kaffeepflanze auch – wenn ich Kaffeeduft rieche, schlägt mein Herz schon schneller. Wenn ich Kaffee trinke stellt sich sofort eine starke Wirkung ein; sofort verschiebt sich alles; ich rede dich zwei Stunden lang nieder. Aber kein Wunder.“

„Dann bist du ja gar kein Wundertäter!“

„So gesehen nein. Aber das Potential wäre da, nur das entsprechende Magnetfeld nicht.“

„Ich dachte, dein Wundertäter geht auf den von Daniil Charms zurück; und der kann Wunder vollbringen, aber macht es nicht.“

„Stimmt! Insofern ist mein Wundertäter nur eine Karikatur meiner selbst.“














©Peter Alois Rumpf    September 2016     peteraloisrumpf@gmail.com

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