Samstag, 3. September 2016

434 Wie ich IM (inoffizieller Mitarbeiter) der reaktionären Fraktion der katholischen Kirche wurde

Ich muß jetzt etwas beschreiben, was ich in meinen Texten schon öfters und ausführlicher beschrieben habe, weil sonst jemand, der nur diesen Text liest, diese Geschichte nicht versteht.

Nachdem ich in Graz mein Theologiestudium angefangen hatte, geriet ich bald in – wie soll ich sie nennen? - rationalistische, aufgeklärte, meist recht antiklerikale und antikirchliche, eher linke Kreise, von denen ich mich bald stark beeinflussen ließ, wobei ergänzt werden muß, daß ich sowieso nicht in einer echt katholischen Familie aufgewachsen bin. Man kann es ruhig so sagen, ich verlor meinen „Glauben“, teilweise durch das Studium selber, teilweise durch die neuen Freunde. Ein Glaube, der in meiner Kindheit auch in meiner Familie – gelinde gesagt – skeptisch beurteilt worden war und eher Nasenrümpfen und Homosexualitätsverdächtigungen hervorgerufen hat, denn ich war als Kind sehr religiös, was immer das genau geheißen hat.

Eine Zeitlang habe ich nach diesem Bruch noch mit meinem Theologiestudium herumgewurschtelt, aber als ich es dann abgebrochen habe, bin ich auch formal aus der Kirche ausgetreten, die ich innerlich schon längst verlassen hatte. Das muß so um 1977 gewesen sein.

1989 ging ich zum Astrologen Wolfgang Döbereiner in die Beratung, denn mein Leben war weiterhin chaotisch verlaufen. Der hat mir gesagt, ich wäre vom Horoskop her ein begabter „Verkündiger“ oder Prediger und Theologe. Und es würden sich, wenn ich den von mir sowieso schon angepeilten Weg als Theologe wieder aufnähme, daraus für mich auch gute berufliche Möglichkeiten ergeben, besonders in den Medien. Ich höre ihn noch, „Ihre Fernsehachse ist hervorragend!“ Ins TV, da gehöre ich hin. Und irgendwie versuchte er mir auch die „geweihte Form“, also das Priesteramt, schmackhaft zu machen. Zumindest ist es bei mir so angekommen.

Das Problem dabei ist ja nicht, daß ich kein guter „Prediger“, Vortragender, Redner und „Verkündiger“ des „Anderen“ (oder wie immer du das benennen willst) wäre – nein, denn das bin ich ganz sicher! - das Horoskop hat das schon richtig gezeigt – sondern daß Döbereiner in seiner bayrisch-katholischen Selbstverständlichkeit nicht begreifen wollte, daß ich in einem ganz anderen Kontext lebe, mit einer ganz anderen Herkunfts- und Lebensgeschichte und sich darum das „Prediger-“, das „Verkündiger“-Sein in einer anderen Gestalt, in einer anderer Verkleidung ausdrücken muß. Meine schüchternen Einwände hat er rücksichtslos und mit Ekel vor meiner Uneinsichtigkeit im Gesicht vom Tisch gewischt und ich habe mich nicht mehr getraut zu insistieren. Er war ja für mich wirklich eine ganz große Autorität.

Ich muß festhalten, daß diese Beratung viel komplizierter, komplexer und widersprüchlicher ablief, als ich sie hier vereinfacht schildere. Ich will das aber nicht ausführlicher erzählen, denn mir kommen immer noch das Heulen und der Zorn, wenn ich mir das vergegenwärtige.

Und auch das möchte ich deutlich herschreiben: das ist noch keine Kritik an der Münchner Rhythmenlehre, der astrologischen Schule, die Döbereiner geschaffen hat, sondern an ihn als Person, der als Berater mich als seinen Klienten in den Straßengraben abgedrängt hat, oder, wie ich es auch manchmal ausdrücke, „in die Fünfzigerjahre zurückgebombt“. (Wobei es dort schon wertvolle Sachen zu holen gab: Romano Guardini, Friedrich Georg Jünger, und was in der Theologie noch von Thomas von Aquin herumgeisterte zum Beispiel) Nichts, was ich sozusagen mitgebracht, nichts, was ich in meinem Leben begriffen, erkannt zu haben glaubte, nichts, was ich jemals gedacht hatte, ließ er gelten. Ich aber habe ihm zugetraut, daß er mir wirklich mein Leben, meine Anlagen, Talente benennen und erklären kann – und zwar – und das war mir ganz wichtig – aus einer von subjektiven Motiven, von Egospielchen, von gesellschaftlichen Konventionen und Moralvorstellungen etc. befreiten Perspektive, also sozusagen von „oben“, vom „Himmel“ her, nicht von dem her, was die duale Welt als Erfolg oder Scheitern, was die Gesellschaft als in oder out sieht. Ich glaube heute noch, daß Döbereiner das können hätte, wenn er als Person die nötige menschliche Größe und Weisheit dafür eingesetzt hätte. Aber das konnte er nicht, zumindest mir gegenüber nicht, dafür war er zu sehr in seinen eigenen ungelösten Geschichten verstrickt.

Ich war nach dieser Beratung komplett verwirrt und wie vor den Kopf gestoßen, meine ganze Welt war zusammengebrochen, denn mit der katholischen Kirche hatte ich nichts mehr am Hut. Aber „auf sein Wort hin“ war ich bereit, seine Empfehlung anzunehmen und ich klammerte mich an den Satz, „wenn Sie ihr Studium abschließen, wird sich daraus ein Weg, auch ein beruflicher ergeben“ und „der theologische Herdenschein wäre schon der richtige“.

Ich war nach dieser Beratung so verwirrt und durcheinander, daß ich auf der Rückfahrt mit dem Zug von München nach Wien für längere Zeit die Sprache verloren hatte. Als mich an der Grenze die Zöllner nach Verzollungsgut befragten, konnte ich nicht reden. Ich konnte nur unverständliche Laute stammeln und mußte mich mit Deuten verständlich machen.

Aber ich glaubte und vertraute dem Döbereiner und weil ich eine starke Glaubens- und Hingabefähigkeit habe, wollte ich das, was er mir empfohlen hatte, auch durchziehen.
Zuerst trat ich wieder in die katholische Kirche ein; das war für mich eigenartig genug, obwohl dann auch schnell wieder die Bilder und Vertrautheiten meiner Kindheit auftauchten.

Dann nahm ich mein abgebrochenes Studium wieder auf. Es war schwer, nach so vielen Jahren wieder zurückzufinden und neben dem Jobben zu studieren, aber sich mit den Dingen geisteswissenschaftlich auseinanderzusetzten, das ging noch, weil das ja aus einer gewissen Distanz geschieht. Viel schwerer – und letztlich unmöglich – war es, zur katholischen Kirche als Glaubensgemeinschaft zurückzufinden, so, daß ich mich wieder als wirklichen, gläubigen Katholiken bezeichnen hätte können, denn das sah ich (und sehe ich) schon als Voraussetzung an, um in der Kirche, mit der missio canonica, glaubwürdig arbeiten zu können. Ein reiner Zyniker kann ich nicht sein.

Mein Denken und mein „Glauben“ jedoch waren ganz anderen Denkansätzen und Erzählungen beeinflußt. Vor allem von Carlos Castaneda, dessen Bücher ich geliebt und immer wieder gelesen, geradezu meditiert hatte. Ich kann sagen, da war meine frühere, reine kindliche Gläubigkeit nach der rationalistischen Phase vorher durch diese Lektüre wieder auferstanden und im Hegel'schen Sinn dreifach „aufgehoben“: ersetzt durch eine „Gläubigkeit“, die via Castaneda auf der Höhe der Zeit war, nüchtener, bereinigter, tiefer, humorvoller und dem Wesen und der Natur des Menschen und des Universum angemessener, damit aber auch die Echtheit und Sinnhaftigkeit meiner kindlichen Gläubigkeit in die Höhe gehoben und darin auf höherer Ebene bewahrt.
Deshalb waren die üblichen Schwierigkeiten, die Menschen innerhalb und außerhalb der Kirche mit dem katholischen Glauben haben, überhaupt nicht meine. Die Heilungswunder Jesu, sein Wandeln über den See Genezareth, seine Auferstehung von den Toten, im wörtlichen, nicht symbolischen Sinn, seine Himmelfahrt, genauso wörtlich und nicht bloß symbolisch – das waren nicht meine Stolpersteine. Im Gegenteil, das waren die Sachverhalte, die ich vom Castaneda und seinen schamanistischen Erzählungen und Erläuterungen her beinahe erklären konnte und sie gehörten und gehören für mich zu den natürlichen, aber verschütteten menschlichen Möglichkeiten, zum natürlichen Erbe der Menschheit. Das war nicht mein Problem. Deshalb wollte ich mit den innerkirchlichen und innertheologischen Aufklärern nichts zu tun haben, die hatte ich in Verdacht, diese Dinge rationalistisch wegzuerklären und das Mystische, Magische in den Plattheiten des Common Sense zu ertränken.

Döbereiner hat ja gesagt, zur Kirche gehöre ich hin und trotz aller Zweifel wollte ich ihm glauben, und auch er schimpfte, so wie ich es verstand, eher auf die Progressiven.

Verzweifelt suchte ich eine Gemeinde, der ich mich anschließen könnte, immer mehr bei den Konservativen, aber überall, egal ob progressiv oder konservativ, wurde ich und habe ich mich als Fremdkörper empfunden. Und zu Recht, ich war es ja wirklich. „Aber ich muß dort hinfinden, der Döbereiner hat sich nicht geirrt, ich gehe das irgendwie falsch an, es liegt an meiner Unfähigkeit!“ - so ungefähr dachte ich damals.

Ich suchte verzweifelt einen Priester, mit dem ich über meine Situation, über meine Schwierigkeiten, zur Kirche zu finden, über meine Zweifel, etwa an der rationalistischen Theologie, offen reden kann und der mir vielleicht weiterhelfen kann. Ich suchte – wie gesagt – eher bei den Konservativen, obwohl ich die oft kaum ausgehalten habe. Aber bei einem Theologieprofessor auf der Uni, der hier bloß sublierte und einer anderen Universität angehörte, dessen Vorlesungen mir aber gefielen (damals), dachte ich, der könnte so ein Berater, ein Geburtshelfer bei meiner Wiedergeburt in die katholische Kirche sein und suchte das Gespräch mit ihm.

Nocheinmal: ich glaubte tatsächlich, daß mir der Döbereiner den richtigen Weg gewiesen hat und daß meine Zweifel, Bedenken und Schwierigkeiten auf meine Unzulänglichkeit, meinen Dünkel, mein Ego etcetera zurückzuführen seien. Und nachdem ich ja dafür meine gerade langsam ins Rollen gekommene Karriere als Künstler aufgegeben hatte, war es für mich auch eine existentielle Frage, zur Kirche zurückzufinden und in ihrem engeren oder weiteren Umfeld nach einem Brotberuf zu schauen. Umso bemühter war ich, dort wieder hinzukommen. Auch mit der Möglichkeit, das Priesteramt anzustreben, setzte ich mich damals auseinander; Döbereiner hatte mir, wie ich glaubte, die „geweihte Form“ ein wenig nahegelegt, noch dazu, wo ich als Kind mich ernsthaft für den Priesterberuf entschieden hatte. Zumindest sah ich das so und versuchte, diesen verlorenen Faden wieder aufzunehmen.

Aber ich war längst aus dieser Form hinausmutiert und es war so, als wolle ich nach einer Häutung wieder in die alte Haut schlüpfen. Deshalb, je mehr ich mich bemühte, desto größer waren meine inneren Widerstände, die ich aber nicht als berechtigt ernst nehmen wollte. „Tapfer gegen das eigene Empfinden“, eine wunderbar präzise, warnende Formulierung von Döbereiner aus seinen Seminaren. Nur mich selber hat auch er da hineingejagt, indem er alle meine Versuche, gehört zu werden, als unzulässige Belästigung seiner großen Autorität weggewischt hatte.
Und diese innere Widersprüchlichkeit haben die Kirchengemeinden, die ich aufgesucht hatte, natürlich auch – zumindest unbewußt – gespürt und ich blieb überall – wie schon gesagt  zu Recht - ein Fremdkörper.

Aber zunächst kämpfe ich immer noch tapfer um die Rückkehr zur Kirche und suche also wieder einmal den Professor meines Vertrauens auf – nennen wir ihn Professor Ixypsilon – um mit ihm über meine Schwierigkeiten zu sprechen und um von ihm vielleicht Hilfe für meinen Weg zurück zu bekommen. Ich rede über mein Mißtrauen der (rationalistischen) Theologie gegenüber und er sagt zu mir „aber es gibt doch hier an der Theologie kluge Köpfe! Zum Beispiel der Professor Ypsilonix!“ Professor Ypsilonix gehörte eher der aufgeklärten, progressiven Fraktion an und ich antworte darauf: „Aber ich mißtraue allem, was durch den Deutschen Idealismus, vor allem Hegel und seiner Dialektik gegangen ist.“ (Das hatte natürlich auch mit meiner früheren marxistischen Phase zu tun, wo man mit dem wundertätigen dialektischen Dreischritt und der Anrufung des Weltgeistes jedes Verbrechen, jeden Gulag undsoweiter wunderbar als notwendigen Schritt zur Erlösung erklären konnte. Ende der Anmerkung.) „Da weiß man dann nie, ob die Auferstehung Jesu“ - und die war mir als eine wirkliche und nicht bloß symbolische damals wie auch heute als ein wichtiges Kriterium, ob es um echte Transzendenz oder nur um Common-Sense-Wixerei geht, wichtig! - „ob die Auferstehung Jesu nicht in irgendeine Weltgeistbewegung oder Symbolgeschichte aufgelöst wird.“ (Ungefähr, wörtlich kriege ich das nicht mehr hin.) Professor Ixypsilon stellte noch klug und - wie mir schien - einfühlsam fest, daß ich wohl vom Deutschen Idealismus und all seinen Abarten genug hätte und die mögliche Destruktivität seiner Dialektik auch am eigenen Leben erfahren und erkannt habe. (Es haben ja auch die Achtundsechziger und Nachfolger viele zerstörte Lebensläufe produziert.)

Das nächste Mal, als ich bei Professor Ypsilonix – dessen Ausführungen mich durchaus schon zu nassen Augen der Ergriffenheit „verführt“ hatten, aber wo ich dennoch fürchtete, irgendwelchen gefinkelten Denkmanövern auf den Leim zu gehen – wieder in der Vorlesung saß, schimpfte er, daß ihn ein Student beim Bischof „angezündet“ habe, daß er nicht an die Auferstehung glaube, und daß er deswegen jetzt Schwierigkeiten bekommen habe, und daß der Vernaderer ihn und seine Aussagen wenigstens korrekt wiedergeben möge.

Ich war empört, wie da nur einer in der Vorlesung sitzen kann und dann zum Bischof gehen und den Professor anzeigen.

Daß das in Wirklichkeit auf mich zurückgeht, auf die Idee bin ich nicht gekommen! Denn das Gespräch mit Professor Ixypsilon habe ich selbstverständlich als ein seelsorgerisches, vertrauliches verstanden, wo ich außerdem  - soweit ich mich erinnern kann! - den Professor Ypsilonix gar nie wörtlich zitiert habe, sondern nur meine Bedenken geäußert, darüber, was mich unsicher oder mißtrauisch macht, geredet, ich habe von mir gesprochen. Von mir aus wäre ich gar nicht auf den Professor Ypsilonix zu sprechen gekommen.


Geschickt eingefädelt, und ich Narr bin voll in die Falle getappt. Nie wäre ich auf die Idee gekommen, daß dieses …...... zum Bischof geht und - sich auf mein Gespräch berufend – meldet, die Studenten meinen, der Professor Ypsilonix glaube nicht an die Auferstehung.

Ich hatte das überhaupt nicht begriffen. Und ich wunderte mich noch, daß ich bei der nächsten Prüfung bei Professor Ypsilonix hochkant rausgeflogen bin.

Ich bin noch einmal blind und naiv zu Professor Ixypsilon zu einem Gespräch gegangen - vielleicht hat mein Unterbewußtsein schon etwas geahnt – denn diesmal habe ich explizit gesagt: „ich bitte Sie, dieses Gespräch vertraulich zu behandeln“ und habe mich über die geschraubte Antwort gewundert „Ihre Worte werden diesen Raum nicht verlassen“.
Sehr schlau! Wenn er meine Worte jemandem in diesem Raum weitergibt, dann hat er sein Versprechen eingehalten. Er wird aber enttäuscht gewesen sein, denn ich habe nur über meine Glaubensschwierigkeiten geredet, nicht über irgendeinen Professor oder sonst jemandem; das hätte ich beim ersten Gespräch auch nicht, wenn er mich nicht dort hingeführt hätte. Ich hatte immer noch nichts kapiert. Ich habe dann auch noch erzählt, daß Professor Ypsilonix beim Bischof angeschwärzt wurde und ich das nicht verstehen kann, wie man so etwas tun kann. „So etwas tut man nicht!“ habe ich noch ausgerufen und seine Antwort, „die anderen tun es doch auch!“ hat mich befremdet. Ich habe deswegen noch einmal erklärt, „so etwas tut man nicht“, aber ich hatte immer noch nichts kapiert! Und nicht begriffen, daß ich von ihm beziehungsweise von uns rede und daß ich ihn – ganz unabsichtlich und unbewußt – zurechtgewiesen hatte, abgesehen davon, daß „so etwas tut man nicht“ eine ziemlich schwächliche Argumentation ist.

Ich hatte jedoch immer noch nichts kapiert, dennoch bin ich zu keinem weiteren Gespräch mehr hingegangen und der Kontakt ist abgerissen.

Bei meiner Annäherung an die Kirche habe ich alles versucht, was mir dabei helfen könnte, ein gläubiger Katholik zu werden. Ich bin täglich zur Messe gegangen, oft zu Gebeten in verschiedene Kirchen, zur eucharistischen Anbetung. Im Stephansdom in einer Seitenkapelle, wo das Allerheiligste ständig ausgesetzt ist, bin ich auch hingegangen, um vorm in Fleisch Christi verwandelten Brot, und somit in seiner Anwesenheit – so wird das in der katholischen Kirche mehr oder weniger geglaubt – zu beten oder zu meditieren. Beziehungsweise es zu versuchen, denn – nebenbei gesagt – meine Störgedanken waren nicht ohne und hatten oft mit Sex zu tun.

Einmal  - mein letztes Gespräch mit Professor Ixypsilon war mindestens schon ein Jahr her, wahrscheinlich zwei oder länger - komme ich in diese Kapelle, tauche meine Finger in den Weihwasserbrunnen, bekreuzige mich, verneige mich, mache eine Kniebeuge und setzt mich in eine Bank ungefähr in der Mitte der Reihe. Dabei bemerke ich, mehr so aus den Augenwinkeln heraus, ganz am Rande meines Gesichtsfeldes, daß eine knieende Gestalt ein paar Reihen hinter mir aufsteht, eine schnelle Kniebeuge macht und leicht geduckt zum Ausgang eilt. Irgendetwas an dieser Bewegung kommt mir komisch vor, als würde diese Gestalt nicht gesehen werden wollen und schnell davonschleichen, und gerade deswegen drehe ich mich unwillkürlich um und sehe gerade noch Professor Ixypsilon hinaushuschen.

Ich bin erstaunt, irritiert. Sicher war er es, aber warum eilt er so plötzlich hinaus? Er muß mich gesehen haben! Ein paar Worte draußen - in der Kapelle gilt Silentium - wären nett gewesen. Was hat er? Ist es wegen mir gewesen? Es schaut so aus! Aber warum?

Ich sitze da und wundere mich noch, und plötzlich, von einem Moment auf den anderen, fällt es mir wie Schuppen von den Augen. Er hat Professor Ypsilonix angezeigt! Und mein Gespräch dafür benutzt! Deshalb hat er das Gespräch auf Professor Ypsilonix gelenkt! Deswegen „die anderen tun es auch!“

Ich bin total schockiert. Eine ungeheure Scham erfasst mich. Ich werde zuerst blaß und dann rot im Gesicht. Aber es ist mir völlig klar – so war es. So muß es gewesen sein! Jetzt passt alles zusammen! Sein komisches „Ihre Worte werden ...“, der Rauswurf bei Ypsilonix; jetzt fallen mir auch noch so Andeutungen anderer Professoren von „Studenten mit psychischen Schwierigkeiten“ ein (Richtig, richtig! Das hat auch der Vorsitzende des kommunistischen Studentenverbandes einige Jahre vorher zum mir gesagt und gemeint, ich gehöre ins Irrenhaus. Und es stimmt ja, ich hatte psychische Probleme, denn ich hatte ja „tapfer gegen mein Empfinden“ gelebt.)

Ich bin aber entsetzt. Und ich bin erschrocken, völlig erschrocken über meine Rolle in diesem Spiel. Ich war "informeller Mitarbeiter" der konservativen Abteilung der Kirchenstasi. IM. Da brauche ich gar keine Akteneinsicht. Mir wurde schlecht, ich habe es kaum ausgehalten. Ich bin raus aus dem Dom. Ich machte mir Vorwürfe, wie man nur so blind, weltfremd und naiv sein kann! Ich schämte mich, ich fühlte mich elend und als der letzte Dreck.
Jetzt verstand ich es; es war da eine Intrige zwischen Progressiven und Reaktionären wegen einer Lehrstuhlbesetzung im Gange gewesen. Und ich habe mitgespielt. Unabsichtlich zwar, aber ich habe mitgespielt. Mir hat es den Boden unter den Füßen weggezogen.

In den nächsten zwanzig Minuten wurde mir klar, daß ich die Hoffnung, in der Kirche oder ihrem Umfeld Arbeit und Brot zu finden, begaben kann, ja, begraben muss! Und nicht nur weil ich für niemanden dort noch eine vertrauenswürdige Person sein kann und ich mir so den Weg verrammelt habe, also von außen her, sondern auch von innen her, weil ich als solcher blinder und naiver Mensch niemals in eine solche Institution gehen darf. Das kann ich mir nicht erlauben. Eine solche Geschichte zeugt doch von einem komplett ungeeigneten Charakter, unreif, autoritätsgläubig, unerwachsen. Ich war wieder bei meinem Selbstbild als Versager angelangt. Da wußte ich, mein Theologiestudium wird mir nichts bringen. Ich bin auch nie wieder in diese Kapelle gegangen.

Und trotzdem, ich habe immer noch versucht, zur Kirche zurückzufinden; ohne Berufspersektive zwar, aber sozusagen als einfacher Gläubiger. Denn immer noch habe ich den Döbereiner nicht wirklich in Frage gestellt, denn ich war ja selber schuld, einer der Versager, über die der Döbereiner in seinen Seminaren ständig schimpft.

Allmählich ist mir dann schon der Gedanke gekommen, daß an der Döbereinerberatung etwas nicht stimmen konnte, denn, so dachte ich damals und so denke ich heute, für das, was wirklich zu einem passt, für das, wohin man wirklich gehört, geben einen die himmlischen Kräfte das nötige Sensorium mit.
Aber die Hoffnung, jemals in meinem Leben so und auch existentiell auf einen grünen Zweig zu kommen, mußte ich begraben. Danke, Herr Döbereiner. Danke Professor Ixypsilon. Danke Peter Rumpf.

Das Zur-Kirche-Zurückfinden-Wollen hatte ich immer noch nicht aufgegeben, denn ich habe eine große Hingabe- bis Aufopferungsfähigkeit, aber diese Geschichte war der Punkt der Umkehr; oder anders gesagt, der Point-of-no-return in der Bewegung von der Kirche weg. Das war das Ereignis, das einen Prozess auslöste, der wieder zu einer völligen Umkrempelung meines Lebens, meines Denkens etcetera führte.

Und ich muß es jetzt aushalten, daß mein Leben bis zum Ende in Trümmern liegen wird und ich in Gefahr bin, als Karikatur meiner selbst herumzulaufen, wie Döbereiner gesagt hat, daß es passieren wird, wenn ich keinen konkreten Beruf als Verkündiger finde.













©Peter Alois Rumpf    September 2016     peteraloisrumpf@gmail.com

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