434 Wie ich IM (inoffizieller Mitarbeiter) der reaktionären Fraktion der katholischen Kirche wurde
Ich muß jetzt etwas beschreiben, was ich in meinen Texten
schon öfters und ausführlicher beschrieben habe, weil sonst jemand, der nur
diesen Text liest, diese Geschichte nicht versteht.
Nachdem ich in Graz mein Theologiestudium angefangen hatte,
geriet ich bald in – wie soll ich sie nennen? - rationalistische, aufgeklärte,
meist recht antiklerikale und antikirchliche, eher linke Kreise, von denen ich
mich bald stark beeinflussen ließ, wobei ergänzt werden muß, daß ich sowieso nicht
in einer echt katholischen Familie aufgewachsen bin. Man kann es ruhig so
sagen, ich verlor meinen „Glauben“, teilweise durch das Studium selber,
teilweise durch die neuen Freunde. Ein Glaube, der in meiner Kindheit auch in
meiner Familie – gelinde gesagt – skeptisch beurteilt worden war und eher
Nasenrümpfen und Homosexualitätsverdächtigungen hervorgerufen hat, denn ich war
als Kind sehr religiös, was immer das genau geheißen hat.
Eine Zeitlang habe ich nach diesem Bruch noch mit meinem
Theologiestudium herumgewurschtelt, aber als ich es dann abgebrochen habe, bin
ich auch formal aus der Kirche ausgetreten, die ich innerlich schon längst
verlassen hatte. Das muß so um 1977 gewesen sein.
1989 ging ich zum Astrologen Wolfgang Döbereiner in die
Beratung, denn mein Leben war weiterhin chaotisch verlaufen. Der hat mir
gesagt, ich wäre vom Horoskop her ein begabter „Verkündiger“ oder Prediger und
Theologe. Und es würden sich, wenn ich den von mir sowieso schon angepeilten
Weg als Theologe wieder aufnähme, daraus für mich auch gute berufliche
Möglichkeiten ergeben, besonders in den Medien. Ich höre ihn noch, „Ihre
Fernsehachse ist hervorragend!“ Ins TV, da gehöre ich hin. Und irgendwie
versuchte er mir auch die „geweihte Form“, also das Priesteramt, schmackhaft zu
machen. Zumindest ist es bei mir so angekommen.
Das Problem dabei ist ja nicht, daß ich kein guter
„Prediger“, Vortragender, Redner und „Verkündiger“ des „Anderen“ (oder wie
immer du das benennen willst) wäre – nein, denn das bin ich ganz sicher! - das
Horoskop hat das schon richtig gezeigt – sondern daß Döbereiner in seiner
bayrisch-katholischen Selbstverständlichkeit nicht begreifen wollte, daß ich in
einem ganz anderen Kontext lebe, mit einer ganz anderen Herkunfts- und
Lebensgeschichte und sich darum das „Prediger-“, das „Verkündiger“-Sein in
einer anderen Gestalt, in einer anderer Verkleidung ausdrücken muß. Meine
schüchternen Einwände hat er rücksichtslos und mit Ekel vor meiner
Uneinsichtigkeit im Gesicht vom Tisch gewischt und ich habe mich nicht mehr
getraut zu insistieren. Er war ja für mich wirklich eine ganz große Autorität.
Ich muß festhalten, daß diese Beratung viel komplizierter,
komplexer und widersprüchlicher ablief, als ich sie hier vereinfacht schildere.
Ich will das aber nicht ausführlicher erzählen, denn mir kommen immer noch das
Heulen und der Zorn, wenn ich mir das vergegenwärtige.
Und auch das möchte ich deutlich herschreiben: das ist noch
keine Kritik an der Münchner Rhythmenlehre, der astrologischen Schule, die
Döbereiner geschaffen hat, sondern an ihn als Person, der als Berater mich als
seinen Klienten in den Straßengraben abgedrängt hat, oder, wie ich es auch
manchmal ausdrücke, „in die Fünfzigerjahre zurückgebombt“. (Wobei es dort
schon wertvolle Sachen zu holen gab:
Romano Guardini, Friedrich Georg Jünger, und was in der Theologie noch von
Thomas von Aquin herumgeisterte zum Beispiel) Nichts, was ich sozusagen
mitgebracht, nichts, was ich in meinem Leben begriffen, erkannt zu haben
glaubte, nichts, was ich jemals gedacht hatte, ließ er gelten. Ich aber habe
ihm zugetraut, daß er mir wirklich mein Leben, meine Anlagen, Talente benennen
und erklären kann – und zwar – und das war mir ganz wichtig – aus einer von
subjektiven Motiven, von Egospielchen, von gesellschaftlichen Konventionen und
Moralvorstellungen etc. befreiten Perspektive, also sozusagen von „oben“, vom
„Himmel“ her, nicht von dem her, was die duale Welt als Erfolg oder Scheitern,
was die Gesellschaft als in oder out sieht. Ich glaube heute noch, daß
Döbereiner das können hätte, wenn er als Person die nötige menschliche Größe
und Weisheit dafür eingesetzt hätte. Aber das konnte er nicht, zumindest mir
gegenüber nicht, dafür war er zu sehr in seinen eigenen ungelösten Geschichten
verstrickt.
Ich war nach dieser Beratung komplett verwirrt und wie vor
den Kopf gestoßen, meine ganze Welt war zusammengebrochen, denn mit der
katholischen Kirche hatte ich nichts mehr am Hut. Aber „auf sein Wort hin“ war
ich bereit, seine Empfehlung anzunehmen und ich klammerte mich an den Satz,
„wenn Sie ihr Studium abschließen, wird sich daraus ein Weg, auch ein
beruflicher ergeben“ und „der theologische Herdenschein wäre schon der
richtige“.
Ich war nach dieser Beratung so verwirrt und durcheinander,
daß ich auf der Rückfahrt mit dem Zug von München nach Wien für längere Zeit
die Sprache verloren hatte. Als mich an der Grenze die Zöllner nach
Verzollungsgut befragten, konnte ich nicht reden. Ich konnte nur
unverständliche Laute stammeln und mußte mich mit Deuten verständlich machen.
Aber ich glaubte und vertraute dem Döbereiner und weil ich
eine starke Glaubens- und Hingabefähigkeit habe, wollte ich das, was er mir
empfohlen hatte, auch durchziehen.
Zuerst trat ich wieder in die katholische Kirche ein; das
war für mich eigenartig genug, obwohl dann auch schnell wieder die Bilder und
Vertrautheiten meiner Kindheit auftauchten.
Dann nahm ich mein abgebrochenes Studium wieder auf. Es war
schwer, nach so vielen Jahren wieder zurückzufinden und neben dem Jobben zu
studieren, aber sich mit den Dingen geisteswissenschaftlich
auseinanderzusetzten, das ging noch, weil das ja aus einer gewissen Distanz
geschieht. Viel schwerer – und letztlich unmöglich – war es, zur katholischen
Kirche als Glaubensgemeinschaft zurückzufinden, so, daß ich mich wieder als
wirklichen, gläubigen Katholiken bezeichnen hätte können, denn das sah ich (und
sehe ich) schon als Voraussetzung an, um in der Kirche, mit der missio
canonica, glaubwürdig arbeiten zu können. Ein reiner Zyniker kann ich nicht
sein.
Mein Denken und mein „Glauben“ jedoch waren ganz anderen
Denkansätzen und Erzählungen beeinflußt. Vor allem von Carlos Castaneda, dessen
Bücher ich geliebt und immer wieder gelesen, geradezu meditiert hatte. Ich kann
sagen, da war meine frühere, reine kindliche Gläubigkeit nach der
rationalistischen Phase vorher durch diese Lektüre wieder auferstanden und im
Hegel'schen Sinn dreifach „aufgehoben“: ersetzt durch eine „Gläubigkeit“, die
via Castaneda auf der Höhe der Zeit war, nüchtener, bereinigter, tiefer,
humorvoller und dem Wesen und der Natur des Menschen und des Universum
angemessener, damit aber auch die Echtheit und Sinnhaftigkeit meiner kindlichen
Gläubigkeit in die Höhe gehoben und darin auf höherer Ebene bewahrt.
Deshalb waren die üblichen Schwierigkeiten, die
Menschen innerhalb und außerhalb der Kirche mit dem katholischen Glauben haben,
überhaupt nicht meine. Die Heilungswunder Jesu, sein Wandeln über den See
Genezareth, seine Auferstehung von den Toten, im wörtlichen, nicht symbolischen
Sinn, seine Himmelfahrt, genauso wörtlich und nicht bloß symbolisch – das waren
nicht meine Stolpersteine. Im Gegenteil, das waren die Sachverhalte, die ich
vom Castaneda und seinen schamanistischen Erzählungen und Erläuterungen her
beinahe erklären konnte und sie gehörten und gehören für mich zu den
natürlichen, aber verschütteten menschlichen Möglichkeiten, zum natürlichen Erbe
der Menschheit. Das war nicht mein Problem. Deshalb wollte ich mit den
innerkirchlichen und innertheologischen Aufklärern nichts zu tun haben, die
hatte ich in Verdacht, diese Dinge rationalistisch wegzuerklären und das
Mystische, Magische in den Plattheiten des Common Sense zu ertränken.
Döbereiner hat ja gesagt, zur Kirche gehöre ich hin und
trotz aller Zweifel wollte ich ihm glauben, und auch er schimpfte, so wie ich
es verstand, eher auf die Progressiven.
Verzweifelt suchte ich eine Gemeinde, der ich mich
anschließen könnte, immer mehr bei den Konservativen, aber überall, egal ob
progressiv oder konservativ, wurde ich und habe ich mich als Fremdkörper
empfunden. Und zu Recht, ich war es ja wirklich. „Aber ich muß dort hinfinden,
der Döbereiner hat sich nicht geirrt, ich gehe das irgendwie falsch an, es
liegt an meiner Unfähigkeit!“ - so ungefähr dachte ich damals.
Ich suchte verzweifelt einen Priester, mit dem ich über
meine Situation, über meine Schwierigkeiten, zur Kirche zu finden, über meine
Zweifel, etwa an der rationalistischen Theologie, offen reden kann und der mir
vielleicht weiterhelfen kann. Ich suchte – wie gesagt – eher bei den
Konservativen, obwohl ich die oft kaum ausgehalten habe. Aber bei einem
Theologieprofessor auf der Uni, der hier bloß sublierte und einer anderen
Universität angehörte, dessen Vorlesungen mir aber gefielen (damals), dachte
ich, der könnte so ein Berater, ein Geburtshelfer bei meiner Wiedergeburt in
die katholische Kirche sein und suchte das Gespräch mit ihm.
Nocheinmal: ich glaubte tatsächlich, daß mir der Döbereiner
den richtigen Weg gewiesen hat und daß meine Zweifel, Bedenken und
Schwierigkeiten auf meine Unzulänglichkeit, meinen Dünkel, mein Ego etcetera
zurückzuführen seien. Und nachdem ich ja dafür meine gerade langsam ins Rollen
gekommene Karriere als Künstler aufgegeben hatte, war es für mich auch eine
existentielle Frage, zur Kirche zurückzufinden und in ihrem engeren oder
weiteren Umfeld nach einem Brotberuf zu schauen. Umso bemühter war ich, dort
wieder hinzukommen. Auch mit der Möglichkeit, das Priesteramt anzustreben,
setzte ich mich damals auseinander; Döbereiner hatte mir, wie ich glaubte, die
„geweihte Form“ ein wenig nahegelegt, noch dazu, wo ich als Kind mich ernsthaft
für den Priesterberuf entschieden hatte. Zumindest sah ich das so und
versuchte, diesen verlorenen Faden wieder aufzunehmen.
Aber ich war längst aus dieser Form hinausmutiert und es war
so, als wolle ich nach einer Häutung wieder in die alte Haut schlüpfen.
Deshalb, je mehr ich mich bemühte, desto größer waren meine inneren
Widerstände, die ich aber nicht als berechtigt ernst nehmen wollte. „Tapfer
gegen das eigene Empfinden“, eine wunderbar präzise, warnende Formulierung von
Döbereiner aus seinen Seminaren. Nur mich selber hat auch er da hineingejagt,
indem er alle meine Versuche, gehört zu werden, als unzulässige Belästigung
seiner großen Autorität weggewischt hatte.
Und diese innere Widersprüchlichkeit haben die
Kirchengemeinden, die ich aufgesucht hatte, natürlich auch – zumindest unbewußt
– gespürt und ich blieb überall – wie schon gesagt zu Recht - ein Fremdkörper.
Aber zunächst kämpfe ich immer noch tapfer um die Rückkehr
zur Kirche und suche also wieder einmal den Professor meines Vertrauens auf –
nennen wir ihn Professor Ixypsilon – um mit ihm über meine Schwierigkeiten zu
sprechen und um von ihm vielleicht Hilfe für meinen Weg zurück zu bekommen. Ich
rede über mein Mißtrauen der (rationalistischen) Theologie gegenüber und er
sagt zu mir „aber es gibt doch hier an der Theologie kluge Köpfe! Zum Beispiel
der Professor Ypsilonix!“ Professor Ypsilonix gehörte eher der aufgeklärten,
progressiven Fraktion an und ich antworte darauf: „Aber ich mißtraue allem, was
durch den Deutschen Idealismus, vor allem Hegel und seiner Dialektik gegangen ist.“
(Das hatte natürlich auch mit meiner früheren marxistischen Phase zu tun, wo
man mit dem wundertätigen dialektischen Dreischritt und der Anrufung des
Weltgeistes jedes Verbrechen, jeden Gulag undsoweiter wunderbar als notwendigen
Schritt zur Erlösung erklären konnte. Ende der Anmerkung.) „Da weiß man dann
nie, ob die Auferstehung Jesu“ - und die war mir als eine wirkliche und nicht
bloß symbolische damals wie auch heute als ein wichtiges Kriterium, ob es um
echte Transzendenz oder nur um Common-Sense-Wixerei geht, wichtig! - „ob die
Auferstehung Jesu nicht in irgendeine Weltgeistbewegung oder Symbolgeschichte
aufgelöst wird.“ (Ungefähr, wörtlich kriege ich das nicht mehr hin.) Professor
Ixypsilon stellte noch klug und - wie mir schien - einfühlsam fest, daß ich
wohl vom Deutschen Idealismus und all seinen Abarten genug hätte und die
mögliche Destruktivität seiner Dialektik auch am eigenen Leben erfahren und
erkannt habe. (Es haben ja auch die Achtundsechziger und Nachfolger viele
zerstörte Lebensläufe produziert.)
Das nächste Mal, als ich bei Professor Ypsilonix – dessen
Ausführungen mich durchaus schon zu nassen Augen der Ergriffenheit „verführt“
hatten, aber wo ich dennoch fürchtete, irgendwelchen gefinkelten Denkmanövern
auf den Leim zu gehen – wieder in der Vorlesung saß, schimpfte er, daß ihn ein
Student beim Bischof „angezündet“ habe, daß er nicht an die Auferstehung
glaube, und daß er deswegen jetzt Schwierigkeiten bekommen habe, und daß der
Vernaderer ihn und seine Aussagen wenigstens korrekt wiedergeben möge.
Ich war empört, wie da nur einer in der Vorlesung sitzen
kann und dann zum Bischof gehen und den Professor anzeigen.
Daß das in Wirklichkeit auf mich zurückgeht, auf die Idee
bin ich nicht gekommen! Denn das Gespräch mit Professor Ixypsilon habe ich
selbstverständlich als ein seelsorgerisches, vertrauliches verstanden, wo ich außerdem - soweit ich mich erinnern kann! - den Professor Ypsilonix gar nie wörtlich zitiert habe, sondern nur meine
Bedenken geäußert, darüber, was mich unsicher oder mißtrauisch macht,
geredet, ich habe von mir gesprochen. Von mir aus wäre ich gar nicht auf
den Professor Ypsilonix zu sprechen gekommen.
Geschickt eingefädelt, und ich Narr bin voll in die Falle
getappt. Nie wäre ich auf die Idee gekommen, daß dieses …...... zum Bischof
geht und - sich auf mein Gespräch berufend – meldet, die Studenten meinen, der
Professor Ypsilonix glaube nicht an die Auferstehung.
Ich hatte das überhaupt nicht begriffen. Und ich wunderte
mich noch, daß ich bei der nächsten Prüfung bei Professor Ypsilonix hochkant
rausgeflogen bin.
Ich bin noch einmal blind und naiv zu Professor Ixypsilon zu
einem Gespräch gegangen - vielleicht hat mein Unterbewußtsein schon etwas
geahnt – denn diesmal habe ich explizit gesagt: „ich bitte Sie, dieses Gespräch
vertraulich zu behandeln“ und habe mich über die geschraubte Antwort gewundert
„Ihre Worte werden diesen Raum nicht verlassen“.
Sehr schlau! Wenn er meine Worte jemandem in diesem
Raum weitergibt, dann hat er sein Versprechen eingehalten. Er wird aber
enttäuscht gewesen sein, denn ich habe nur über meine Glaubensschwierigkeiten
geredet, nicht über irgendeinen Professor oder sonst jemandem; das hätte ich
beim ersten Gespräch auch nicht, wenn er mich nicht dort hingeführt hätte. Ich
hatte immer noch nichts kapiert. Ich habe dann auch noch erzählt, daß Professor
Ypsilonix beim Bischof angeschwärzt wurde und ich das nicht verstehen kann, wie
man so etwas tun kann. „So etwas tut man nicht!“ habe ich noch ausgerufen und
seine Antwort, „die anderen tun es doch auch!“ hat mich befremdet. Ich habe
deswegen noch einmal erklärt, „so etwas tut man nicht“, aber ich hatte immer
noch nichts kapiert! Und nicht begriffen, daß ich von ihm beziehungsweise von
uns rede und daß ich ihn – ganz unabsichtlich und unbewußt – zurechtgewiesen
hatte, abgesehen davon, daß „so etwas tut man nicht“ eine ziemlich schwächliche
Argumentation ist.
Ich hatte jedoch immer noch nichts kapiert, dennoch bin ich
zu keinem weiteren Gespräch mehr hingegangen und der Kontakt ist abgerissen.
Bei meiner Annäherung an die Kirche habe ich alles versucht,
was mir dabei helfen könnte, ein gläubiger Katholik zu werden. Ich bin täglich
zur Messe gegangen, oft zu Gebeten in verschiedene Kirchen, zur eucharistischen
Anbetung. Im Stephansdom in einer Seitenkapelle, wo das Allerheiligste ständig
ausgesetzt ist, bin ich auch hingegangen, um vorm in Fleisch Christi
verwandelten Brot, und somit in seiner Anwesenheit – so wird das in der
katholischen Kirche mehr oder weniger geglaubt – zu beten oder zu meditieren.
Beziehungsweise es zu versuchen, denn – nebenbei gesagt – meine Störgedanken
waren nicht ohne und hatten oft mit Sex zu tun.
Einmal - mein letztes
Gespräch mit Professor Ixypsilon war mindestens schon ein Jahr her,
wahrscheinlich zwei oder länger - komme ich in diese Kapelle, tauche meine
Finger in den Weihwasserbrunnen, bekreuzige mich, verneige mich, mache eine
Kniebeuge und setzt mich in eine Bank ungefähr in der Mitte der Reihe. Dabei
bemerke ich, mehr so aus den Augenwinkeln heraus, ganz am Rande meines
Gesichtsfeldes, daß eine knieende Gestalt ein paar Reihen hinter mir aufsteht,
eine schnelle Kniebeuge macht und leicht geduckt zum Ausgang eilt. Irgendetwas an dieser Bewegung kommt mir komisch vor, als würde diese Gestalt nicht
gesehen werden wollen und schnell davonschleichen, und gerade deswegen drehe
ich mich unwillkürlich um und sehe gerade noch Professor Ixypsilon
hinaushuschen.
Ich bin erstaunt, irritiert. Sicher war er es, aber warum
eilt er so plötzlich hinaus? Er muß mich gesehen haben! Ein paar Worte draußen
- in der Kapelle gilt Silentium - wären nett gewesen. Was hat er? Ist es wegen
mir gewesen? Es schaut so aus! Aber warum?
Ich sitze da und wundere mich noch, und plötzlich, von einem
Moment auf den anderen, fällt es mir wie Schuppen von den Augen. Er hat
Professor Ypsilonix angezeigt! Und mein Gespräch dafür benutzt! Deshalb
hat er das Gespräch auf Professor
Ypsilonix gelenkt! Deswegen „die anderen tun es auch!“
Ich bin total schockiert. Eine ungeheure Scham erfasst mich.
Ich werde zuerst blaß und dann rot im Gesicht. Aber es ist mir völlig klar – so
war es. So muß es gewesen sein! Jetzt passt alles zusammen! Sein komisches
„Ihre Worte werden ...“, der Rauswurf bei Ypsilonix; jetzt fallen mir auch noch
so Andeutungen anderer Professoren von „Studenten mit psychischen
Schwierigkeiten“ ein (Richtig, richtig! Das hat auch der Vorsitzende des
kommunistischen Studentenverbandes einige Jahre vorher zum mir gesagt und
gemeint, ich gehöre ins Irrenhaus. Und es stimmt ja, ich hatte psychische
Probleme, denn ich hatte ja „tapfer gegen mein Empfinden“ gelebt.)
Ich bin aber entsetzt. Und ich bin erschrocken, völlig
erschrocken über meine Rolle in diesem Spiel. Ich war "informeller Mitarbeiter" der konservativen Abteilung der Kirchenstasi. IM. Da brauche ich gar keine Akteneinsicht.
Mir wurde schlecht, ich habe es kaum ausgehalten. Ich bin raus aus dem Dom. Ich
machte mir Vorwürfe, wie man nur so blind, weltfremd und naiv sein kann! Ich
schämte mich, ich fühlte mich elend und als der letzte Dreck.
Jetzt verstand ich es; es war da eine Intrige zwischen
Progressiven und Reaktionären wegen einer Lehrstuhlbesetzung im Gange gewesen.
Und ich habe mitgespielt. Unabsichtlich zwar, aber ich habe mitgespielt. Mir
hat es den Boden unter den Füßen weggezogen.
In den nächsten zwanzig Minuten wurde mir klar, daß ich die Hoffnung, in der
Kirche oder ihrem Umfeld Arbeit und Brot zu finden, begaben kann, ja, begraben muss!
Und nicht nur weil ich für niemanden dort noch eine vertrauenswürdige Person
sein kann und ich mir so den Weg verrammelt habe, also von außen her, sondern
auch von innen her, weil ich als solcher blinder und naiver Mensch niemals in
eine solche Institution gehen darf. Das kann ich mir nicht erlauben. Eine
solche Geschichte zeugt doch von einem komplett ungeeigneten Charakter, unreif,
autoritätsgläubig, unerwachsen. Ich war wieder bei meinem Selbstbild als
Versager angelangt. Da wußte ich, mein Theologiestudium wird mir nichts
bringen. Ich bin auch nie wieder in diese Kapelle gegangen.
Und trotzdem, ich habe immer noch versucht, zur Kirche zurückzufinden;
ohne Berufspersektive zwar, aber sozusagen als einfacher Gläubiger. Denn immer
noch habe ich den Döbereiner nicht wirklich in Frage gestellt, denn ich war ja
selber schuld, einer der Versager, über die der Döbereiner in seinen Seminaren
ständig schimpft.
Allmählich ist mir dann schon der Gedanke gekommen, daß an
der Döbereinerberatung etwas nicht stimmen konnte, denn, so dachte ich damals
und so denke ich heute, für das, was wirklich zu einem passt, für das, wohin
man wirklich gehört, geben einen die himmlischen Kräfte das nötige Sensorium
mit.
Aber die Hoffnung, jemals in meinem Leben so und auch existentiell auf einen grünen Zweig zu kommen, mußte ich begraben. Danke, Herr Döbereiner. Danke Professor Ixypsilon. Danke Peter Rumpf.
Aber die Hoffnung, jemals in meinem Leben so und auch existentiell auf einen grünen Zweig zu kommen, mußte ich begraben. Danke, Herr Döbereiner. Danke Professor Ixypsilon. Danke Peter Rumpf.
Und ich muß es jetzt aushalten, daß mein Leben bis zum Ende
in Trümmern liegen wird und ich in Gefahr bin, als Karikatur meiner selbst
herumzulaufen, wie Döbereiner gesagt hat, daß es passieren wird, wenn ich
keinen konkreten Beruf als Verkündiger finde.
©Peter Alois Rumpf September
2016 peteraloisrumpf@gmail.com
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