433 Riskantere Experimente
Heute habe ich mich aufs Schreiben gefreut. Darauf, mich
gegen Mitternacht endlich ins Bett zu legen, mir dann die Pölster in den Rücken
stopfen, das Notizbuch nehmen, den Stift, die Brille und zu schreiben zu
beginnen.
Vom Lichtschacht stinkt trocknender Lack herein und benebelt
mein Bewußtsein. Wie empfindlich ich bin.
Jetzt kommt nichts. Aber das macht nichts.
Meine Gedanken schweifen undiszipliniert herum.
Im Traum war ich einer Frau hinterher, aber daraus ist
nichts geworden. Ein Herumgeirre in baustellenhaften Erdgeschoßwohnungen. Als
wir endlich zusammen sind, entzieht sie sich.
Aufgeweckt hat mich eine Ein- oder Zweisekundenmusik aus dem
Lichtschacht. Gestern war es eine männliche, offiziell klingende
Lautsprecherstimme, die „Evakuieren Sie dieses Haus!“ gesagt hat. Mehrmals.
„Evakuieren Sie dieses Haus!“ - Pause - „Evakuieren Sie dieses Haus!“ - Pause -
„Evakuieren Sie dieses Haus!“ - Pause - „Evakuieren Sie dieses Haus!“ - Pause -
„Evakuieren Sie dieses Haus!“
Ich bin es gewohnt, die Welt nicht zu verstehen. Walken gehe
ich heute nicht. Ich bin es auch gewohnt, Pläne zu begraben. Und Hoffnungen. Es
fällt mir auf – horche ich in mich hinein, tauchen Trauer und Resignation auf.
Eine Resignation, die so ein wenig lächelt. Eine Trauer, die durchaus die Welt
liebt. Ein Schmerz, der niemandem etwas vorwirft.
Der Duft von Kaffee kitzelt meine Sinne. Ich immer mit
diesen selbstverordneten Anti-Drogen-Programmen! Wie ich Leute beneide, die
ganz unbefangen Kaffee trinken. Zum Beispiel.
Melancholie stelle ich mir so schön vor, wenn man wohlhabend
ist. Nichts arbeiten. Am Vormittag im Kaffeehaus sitzen und mit mild-verlorenem
Blick den draußen am Fenster herumgehenden Leuten zuschauen. Eine kleine Reise
dahin. Eine kleine Reise dorthin. Dort ebenfalls vormittags im Kaffeehaus
sitzen …
Manchmal auch riskantere Experimente; zum Beispiel sich drei
Tage in einem Ort in Österreich einquartieren, nur weil einem der Ortsnamen
gefallen hat oder interessant vorkommt. Einfach vom Atlas in die Realität. Partenen, Schruns-Tschagguns,
Flirsch, Telfs, Zirl, Wörgl, Rettenschöß, Muhr, St. Michael, St. Georgen, St.
Magdalen, St. Theres, St. Marein am Pickelbach, St. Radegund, St. Gallen, Mettmach,
Gallspach, Waizenkirchen, Linz, Lunz, Lienz, Liezen, St. Lorenzen, Zlaim,
Waidhofen an der Ybbs, Weyer, Weißenbach an der Enns, Großsölk, Kleinsölk,
Großklein, Kleinklein, Stinatz,
Sinabelkirchen oder Graz, Slovenji Plajberg, Teurnia oder St. Peter im Holze,
St. Margarethen, Viktring (wird nicht w, sondern f gesprochen),
Kötschach-Mauthen, Feistritz/Bistrica, Leibnitz/Libnica, Seckau, Vorau, Pöllau,
Maissau, Mailberg, Retz, Zwettl, Fratres, Hirschwang, Hadres, Apetlon,
Großsteinbach, nicht zu vergessen Windisch-Matrei, Zwentendorf, St. Pantaleon ...
Und nur öffentlich anreisen! Herumgehen kann man immer. Ja,
genau, viel gehen und wandern. Geld spielt keine Rolle. Wenn man Hunger hat,
geht man essen, wenn man müde ist, kehrt man ein oder nimmt sich ein Quartier. Wenn man neue Schuhe braucht, kauft man sie im nächsten Geschäft am Weg. Nicht durchorganisiert; wie es sich halt so ergibt.
Nichtstun ist wirklich die mir angemessene Lebensform.
Notizenmachen kann man auch immer. Das wär's dann schon.
©Peter Alois Rumpf September
2016 peteraloisrumpf@gmail.com
0 Kommentare:
Kommentar veröffentlichen
Abonnieren Kommentare zum Post [Atom]
<< Startseite