431 „Saus rauf!“
Morgendämmerung. Stille. Das Surren in meinen Ohren wird
immer lauter. Es öffnet sich zur Panik hin, zunächst unterschwellig, dann immer
offener. Aber ich beherrsche mich und lasse mich auf dieses Panikangebot nicht
ein.
Das Herz vielleicht? Ist irgendetwas mit dem Herzen? Ich
versuche den Puls zu fühlen, aber ich finde zuerst keinen. Endlich. Ist der
Herzschlag etwas zu schnell? Mein Herz, vom Traum noch erschrocken? Meine
Kinder in Gefahr durch Kriminelle? Der Chef von denen ist ein Typ aus meiner
Kindheit; sein Bruder ist auch dabei.
Ruuuhig! Peter, es war ja nur ein Traum! Der Traum hat nur
mit dir zu tun, nicht mit den Kindern! Die Lüftungsmusik aus dem Lichtschacht
begleitet diese Beruhigungsphase, aber mein Herz beruhigt sich nur langsam.
Kurz stehe ich in einem fast ausgestorbenen italienischen
Städtchen, nicht weit vom Meer, und ich schaue mich um, diese schönen, dicht
stehenden Steinhäuser, die schöne Gassen und Plätze bilden, und ich überlege,
welches Haus ich mir nehmen könnte und ob sich hier eine Künstlerkolonie
aufbauen ließe. Dann wird die Szene wieder weggezogen. Ja, das wird viel Geld
kosten, aber das werde ich bald haben.
Die Lüftung verstummt und die Stille jetzt ist wieder leicht
von Panik infiziert. Sie lauert am Rand auf ihre Chance. Ich bin jedoch ein
Meister im Standhalten. Die Augen fallen mir zu.
Mit geschlossenen Augen schaue ich an meinem Körper hinunter
und sehe das Skelett, vor allem die beiden Oberschenkelknochen. Genauer gesagt,
eher fühle ich sie mit den Augen, als daß ich sie sehe. Ich selber als mein
eigener Gevatter Tod, der sich ausruht.
Mit dem Druckknopf zur Regulierung der Mine des
Kugelschreibers reinige ich traumgedankenverloren meine Ohren. Also, jetzt bin
ich schon sehr im profanen Bereich. Gottseidank! Es ist ja schon hell geworden
draußen. Ich werde noch ein letztes Stündlein schlafen.
„Saus rauf!“ ruft eine Stimme aus dem Lichtschacht und mein
Bewußtsein fliegt aus dem Reich der Traumsplitter nach oben in die Alltagswelt.
Viele Bilder, Halbsätze, Gedankentrümmer hat es dort gegeben, aber davon ist
nur eine Stimmungswolke mitgekommen; alles andere blieb unten liegen. Zu schwer
zum Mitfliegen. Oder umgekehrt, zu leicht für die Schwerkraft, für die
Anziehungskraft der Erde.
Bei der Nasenwurzel oben zieht es, fast schmerzhaft, es
strahlt bis zu den Ohren aus. Die sind weiterhin mit surren beschäftigt. Jetzt
ist das Ziehen wieder vorbei. Jetzt zieht es unten bei meiner kaputten
Bandscheibe; ich werde nicht mehr lange in dieser Haltung im Bett hocken
dürfen, ohne wirkliche Schmerzen zu riskieren. Aber auch das beruhigt sich
wieder.
Ich lehne meinen Kopf nach links, lehne ihn bei nichts an,
und wirklich, das Nichts spendet etwas Trost.
Im Übrigen: es ist bei mir alles genauso, wie es gut ist.
Diese Erkenntnis ist mir vor drei oder sieben oder elf Minuten gekommen. Alles
ist an seinem richtigen Platz. Jede andere Konstellation wäre für meine
Mitmenschen zu unerträglich.
©Peter Alois Rumpf August 2016
peteraloisrumpf@gmail.com
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