423 El Hombre que corre oder Guter Mond, du gehst so stille ...
Ich gehe heute aus der Arbeit, Wochenende, trete müde und
fröhlich vor den Eingang und schaue zum klaren, dunkelnden Himmel hinauf.
Herunten ist es schon finster, eine warme, schöne Spätsommernacht.
Ich denke mir: ich gehe ein Stück zu Fuß; meine Familie ist
nicht zu Hause, ich lasse mir Zeit.
Ich schlendere dahin, da fällt mir ein: ich könnte mir die
Ohrenstöpsel reingeben und Musik hören. Kurz habe ich Bedenken, weil ich das
erst vor vierzehn Tagen gemacht habe und ich meine Ohren schonen will. Aber
dann sage ich mir: ach was! Meine Ohren werden in der Arbeit über das Head-Set
mit den Telefonier- und Telefonsignallärm zugedröhnt, wenn mein Gehör sowieso
schon geschädigt wird, dann wenigstens auch ein wenig mit schöner Musik.
Mit der geliebten Musik von John Frusciante, die mich
einhüllt, fühle ich mich geborgen und geschützt. Ich wandere mit meinem
Rucksack dahin, ich atme auf, ich schaue mich um, ich bin glücklich, fast
erfüllt sich mein Traum vom stillen Wanderer durch die Unendlichkeit. Ich
genieße die schöne Nacht.
Unterwegs esse ich an einem Würstlstand Frankfurter, dann
gehe ich weiter.
Ich sehe, schaue, erlebe alles mit ruhiger Intensität. Nur
das letzte Stück fahre ich mit der U-Bahn. Denn ginge ich zu Fuß, müßte ich
eine Brücke überqueren, wo eine Menge Dealer herumschleichen. Ich will mir aber
mein Stimmungskokon nicht zerstören lassen; ich will mich heute diesem
Angestarrt- und Beobachtet-Werden, dem Zugeflüstere und der Anquatsche nicht
aussetzen, obwohl auch die U-Bahn in ihrer Grellheit und ihrem Lärm ein
mittleres Säureattentat auf meine schöne, gehobene und friedliche Stimmung ist.
(Mir fällt schon der Widerspruch meiner Liebe zur Musik von John Frusciante zum
Angewidertsein von der Dealerszene auf.)
Als ich dann oben bei der Herminengasse aus dem Lift steige,
drehe ich mich – wie ich es immer mache – Richtung Westen zum Donaukanal, um
mir den Himmel anzuschauen auf der Suche nach Sternen. Hier ist das Gelände
offen und man hat einen weiten Himmel über sich. Die Ausbeute ist mager, kaum
ein Stern ist zu sehen, die Straßenlaternen sind zu hell, darum will ich über
die Straße gehen, wo es auf der Donaukanalseite abseits etwas dunkler ist. Weil
ich Zeit habe und mich weder belasten noch anstrengen will, warte ich brav, bis
die Fußgängerampel grün ist. Dann überquere ich die Straße und betrachte den
Himmel. Es ist wenig, was man da sieht, aber Arktur und seinen helleren
Begleiter finde ich gleich, ein paar Sterne vom Schwan und vom Adler, natürlich
den großen Wagen, den ich seit meiner Kindheit kenne (wahrscheinlich aus dem
Jungscharbubenbüchlein „Bubenweisheit“) und immer etwas vernachlässige, weil er
für mich nichts Neues ist, ja, und die Wega in der Lyra. Ich grüße sie alle,
verneige mich unauffällig, und bald drehe ich mich wieder um und gehe in die
Richtung meines Zuhauses.
Die Ampel des Fußgängerüberganges springt erstaunlich
schnell auf grün und ich überquere die Straße. Von rechts kommt ein Radfahrer
mit Karacho (von Spanisch caracho, carajo „erigierter Penis“) aus der
Dunkelheit herangeschossen und fährt mich beinah nieder. Keine Entschuldigung,
Fahrerflucht, so ein Sportfreak mit Super! Ausrüstung. Sofort geht mein innerer
Film los:
Er streift mich tatsächlich, stürzt, ich kann aber noch
hingehen und trete ihm ins Gesicht und in den Bauch. Er ist benommen; ich nehme
ihn bei den Gurten des Fahrradhelmes (keine Ahnung, ob die soetwas aushalten)
und schleudere sein Gesicht mehrmals gegen die Stange eines Verkehrszeichens.
Als er sich aufzurappeln versucht, bekommt er noch einen Tritt in die
Eingeweide. Er fällt wieder, sein rechtes Bein kommt so zu liegen, daß der Fuß
oben auf dem Gehsteig (oder sonst einer Erhöhung) zu liegen kommt, sein Rumpf
aber auf dem Rücken herunten auf der Straße. Dadurch kann ich ihm sein Knie
durchtreten und ihm seinen Unterschenkel vorne auf den Oberschenkel pressen.
Zum Abschluß bekommt er noch einen voll
konzentrierten Tritt in die Eier. Das reicht. Ich klopfe mir den Staub ab,
schüttle meine Kleider aus, mache diese typische Handbewegung nach getaner
Arbeit – die Handflächen dreimal leicht schlagend aneinander reiben indem ich
die Hände abwechselnd von oben und unten zueinander führe – und gehe weiter.
Ich gehe tatsächlich weiter, höre die wunderschönen Lieder
des Trios Omar Rodriguez Lopez mit der Sängerin Ximena Sariňana Rivera und gehe langsam
nach Hause. Mehr als fünf Minuten brauche ich für dieses Stück Weg nicht.
Vor unserer Wohnungstür steht das Sackerl mit unserem
Biomüll. Ich mag das gar nicht, wenn der Biomüll dort abgestellt und nicht
gleich entsorgt wird. Ich finde, der Anblick und der Geruch sind für Nachbarn
und Stiegenhausbenützer eine Zumutung. Ich denke mir: ich will sowieso noch
musikhören, da kann ich das Zeug ruhig zum Biomüllcontainer tragen. Ich stelle
meinen Arbeitsrucksack ab und gehe mit dem Biomüll zum Container. Der Weg führt
Richtung Nordosten und als ich an den Rand des Augartens komme, habe ich wieder
einen weiten Ausblick auf den Himmel und sehe den fast noch vollen Mond und
begrüße ihn freudig.
Mein Weg führt an einem Lokal vorbei und da fällt mir eine
Szene ein:
Es könnten zwei Jahre her sein, ich suche damals ein Lokal,
um ein Fußballmatch anschauen zu können. Ich irre herum, bin schon spät dran,
und wirklich, in diesem Lokal haben sie einen Fernseher und es läuft das
richtige Programm. Ich gehe hinein, bestelle ein alkoholfreies Bier und suche
einen Platz. Da ist wirklich ein Tisch vorm Fernseher leer, zwar ist er noch
nicht abgeräumt und auf der Karte steht „reserviert ab 16h“, nachdem es aber
schon weit nach zwanzig Uhr ist, denke ich mir, die sind schon gegangen. Also
setze ich mich hin und nehme einen kräftigen Schluck vom Bier und freue mich auf
das Fußballspiel, das bald beginnt. Da kommt einer daher und fährt mich an, ob
ich nicht lesen könne, daß da reserviert sei. Ich vermute, es ist der Chef des
Lokals, aber vielleicht auch nur der Chef einer Säuferpartie – er wirkt nämlich
schon betrunken.
Nun ist es so: nie käme ich auf die Idee, diesen Platz
behaupten zu wollen, mir ist ja gleich klar, daß diese Clique bloß eine
Zigaretten- oder Brunzpause gemacht hat und jetzt zum Spielbeginn wieder
zurückkommt. Also packe ich meine Sachen wieder zusammen und will mich vom
Platz erheben, entschuldige mich noch und will mein Mißverständnis erklären,
aber dieser Kerl und Häuptling von was auch immer schimpft weiter in seinem
äußerst westösterreichischen Dialekt (genaugenommen nur dialektal gefärbte Umgangssprache)
auf mich ein. Und das kränkt mich. Für diese Beschimpfung habe ich keinen Anlaß
gegeben, noch dazu wo ich nur eine Sekunde dämlichen Dreinschauens gebraucht habe, um dann gleich den Platz zu räumen. Denn das kann auch ein
besoffener Vorarlberger verstehen, daß man, wenn man um zwanziguhrvierzig auf
einen leeren Tisch trifft, auf dem eine Reservierungskarte „ab 16h“ steht, daß
man diese Situation mißverstehen kann. Das habe ich einfach nicht verdient.
Ich stelle das bezahlte Bier weg und verlasse das Lokal.
Beim Hinweg zum Biomüll am Lokal vorbei ist mir die
Geschichte wieder eingefallen, beim Rückweg am Lokal vorbei läuft im mir
folgender Film an:
Ich nehme das Krügerl beim Henkel, schlage es gegen die
Tischkante, daß es zerspringt und fahre mit dem scharfkantigen Glas mehrmals
über diese Rauschfresse. (Au! Weh! Stop! Fehler im Film! Es war ein Glas ohne
Henkel!) Auch gut: ich nehme das Glas bei seinem Fuß, schlage an der Tischkante
den oberen Teil ab, und fahre … siehe
oben.
Wundert sich wer über meine und solche Filme? Ich nicht. Das
hat man davon, wenn man sich nie wehren und behaupten konnte.
Guter Mond, du gehst so stille …
Wahrscheinlich ist es nicht erlaubt, dich zu beneiden. Und
außerdem haben sie dich ja auch nicht in Ruhe gelassen.
©Peter Alois Rumpf August 2016 peteraloisrumpf@gmail.com
0 Kommentare:
Kommentar veröffentlichen
Abonnieren Kommentare zum Post [Atom]
<< Startseite