420 Ich sitze im Zentrum
Ich sitze im Zentrum und wenn ich nicht aufpasse, dreht sich
das Zimmer um mich. Nicht schnell, nein, ganz langsam. Ganz langsam ziehen die
Wände vorbei. Wenn ich aufpasse, merke ich nichts davon, da bleibt das Zimmer
ruhig.
Die Lüftung draußen geht an wie die Posaunen des Jüngsten
Gerichts. Dann verliert sich das Pathos und es wird ein bloß technisches
Geräusch mit untergründigen Schwingungen.
Kühle Nachtluft strömt herein, leise, unsichtbar, kaum
spürbar.
In mir ist ein angenehmes Nichts. Kein Schmerz. Keine
Wünsche. Keine Ziele. Kaum Gedanken.
Jetzt bewegt sich das Zimmer durchs Weltall, aber drinnen
ist es gut angenehm schön. Diese Reise gefällt mir. Ich glaube, sie führt in
den Schlaf.
Eigenartige Geräusche kommen aus dem Lichtschacht herauf und
wecken mich. Am einfachsten ist noch das Kehren eines Besen auf nassem Boden
erkennbar. Türenknallen, Klospülung, Hantieren mit Geschirr oder Glas, etwa
eine Kiste mit Gläsern. Dann eigenartige Stimmen wie Röcheln und Ujjayi-Atmen.
Rotzaufziehen und Ausspucken, männlich. Hechelndes Atmen. Flaches Atmen. Dann
Atmen... Atmen in sexueller Erregung?
Kurz heult die Entlüftung auf, wirklich kurz, höchstens eine Sekunde, dann ist
es still.
Dann hört man von ferne Tauben gurren. Ab und zu, sehr
selten, trägt ein Windhauch etwas vom Rauschen der Straßen herein. Kaum hörbar,
so leise, daß es gerade noch mein Surren durchdringt. Jetzt das kurze Pinkeln
einer Frau.
Das war der Lichtschacht. Und innen? Innen schwimmen noch
ein paar verwirrende Traumelemente herum, aber ich selber bin nicht verwirrt.
Überhaupt nicht. Es fühlt sich an, als hätte ich keine Gefühle; nichts, das
mich anzieht oder abstößt. Ich finde auch sonst nichts in mir. Auch die
Traumelemente bewegen sich schon aus dem inneren Gesichtsfeld hinaus.
Habe ich es geschafft? Bin ich in einem „höheren“ Stadium?
Ein abgehobener „Weiser“, leer, ohne menschliche Form? Normalerweise würde ich
mich wegen solcher Gedanken auslachen, aber ich finde es weder lächerlich, noch
schlimm, sie vorbeiwandern zu lassen, sondern eher belanglos. Oder ist bloß
mein Geist noch verschlafen und träge und arbeitet noch nicht? Ich will über
die anscheinend vorhandene Skepsis nachdenken und darüber, was mich jetzt
narrt, aber es geht nicht. Ich ziehe mir das Surren wie eine Nachthaube über
und gehe in einen vorschlaflichen Zustand. Aus dem rutsche ich bald wieder
heraus und schaue und lausche in die schon hell gewordene Realität, aber gleichgültig; wie bestellt und nicht abgeholt.
©Peter Alois Rumpf August 2016
peteraloisrumpf@gmail.com
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