436 Schulbeginn
Heftiges Duschen ist das dominante Geräusch. Abgelöst vom
Lüftungsgeheul aus dem Lichtschacht, unterlegt mit unverständlichen Stimmen und
Tassengeklapper. Erster Schultag des neuen Schuljahres. Eine nervöse, leicht
angeekelte Aufregung liegt in der Luft. Jetzt verstummt die Lüftung für zwei
Sekunden, nur um dann nochmals mit ihrem Heulen anzustarten, dann wieder kurz
auszusetzen und erneut hochzufahren, eine halbe Minute lang, dann hört sie
wieder auf. Relativ still ist es jetzt. Räumt jemand einen Geschirrspüler ein
oder aus? Das leise Hintergrundrauschen des Straßenverkehrs, eine entfernte
Krähe, eine Tür schlägt laut zu. Holz auf Holz und das Quietschen von etwas,
das festgedreht wird.
Schritte auf der Stiege, die Stimmen der Schülerinnen, aha,
jetzt wieder die Lüftung, aber nur ganz kurz.
Ein Kühlschrank scheint auch mitzuspielen. Die Lüftung heult zweimal noch kurz auf. Die Stimme eines
Mannes. Meine ist es nicht. Ich habe im Moment garnichts zu sagen.
Der Schulbeginn legt sich auch mir als schwerer Knoten in
den Magen. Immer noch. Wir sind komplexere Wesen, als es uns die Rationalität
vorgaukelt. Eine wichtige Erkenntnis von Marshall Rosenberg: „Nicht-ausgedrückte
Angst erscheint im Auge des anderen fast immer immer als Aggression.“ (Von mir
möglicherweise falsch übersetzt. Trotz acht Jahre Schulunterricht kann ich
nicht Englisch.)
Draußen ist nun Ruhe. Der ferne Verkehrslärm könnte
stellenweise fast als Waldesrauschen durchgehen. Heute werde ich den Vormittag
gut nutzen. (Ich nutz den Vormittag ja schon ziemlich gut!) Mein Bewußtsein
nimmt noch Träumebilder auf. (Ein älterer Mann und eine ebensolche Frau hängen
in Badekleidung außen in einer riesengroßen Wand an einem kleinen Vorsprung aus
Beton. Lang werden sie sich nimmer halten können.) Da ist ein alter Krähenvogel
schnell zur Stelle mit seinem zweifachen „Krah! Krah!“ Die Kirchenglocken
warnen gleich vor Zauberei. Obwohl auch unter ihren Fittichen der Stoff der
Alltagswelt verwandelt wird. Die junge Krähe gibt mir recht indem sie „krah
krah“ spricht. Die Tauben kümmert's nicht bei ihrem meistens triebumflorten
„Gruhu!“ Doch was weiß ich schon von Tauben!
©Peter Alois Rumpf September 2016
peteraloisrumpf@gmail.com
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