443 Rudimentäre Pilgerfahrt
Nun sitze ich im Kreuzgang des Klosters und schaue mich im
ersten Hof um. Vor mir ein Brunnen, ich höre ihn plätschern, sehe das Wasser
von hier aus nicht, nur sein wellig reflektiertes Licht auf der Brunnenfigur,
denn um diesen Brunnen stehen fünf riesige Platanen. Die Dreifaltigkeitssäule
weiter drüben ist fast zur Gänze – nur von meinem Blickwinkel aus – vom Laub
der Baumkronen verdeckt.
Man hört den Straßenverkehr, trotzdem ist es hier still.
Leute gehen herum, verlieren sich fast im weitläufigen Hof, auch sie von mir
aus gesehen hinter den Bäumen.
Ich habe gegessen und bin satt, Trägheit hüllt mich ein.
Es ist Nachmittag und heiß, hier im Schatten jedoch
angenehm.
Ich bin innerlich abwehrend aggressiv den herumgehenden
Menschen gegenüber, voller Hochmut. In Wirklichkeit wohl eifersüchtig – weil, …
eigentlich gehöre ich hierher, ich, ich! Seht ihr nicht? Ich gehöre eigentlich
hierher! Ich sollte mich hier selbstverständlich bewegen, nicht ihr! Und
fühle mich dennoch als Eindringling, der bestenfalls geduldet wird bis auf
Widerruf.
Die Nachmittagssonne auf der bunten Rinde der Platanen.
Diese langweiligen Nachmittage, die so voller geheimnisgeladener Intensität
sind. An solche Nachmittage kann ich mich bis in meine Kindheit zurück
erinnern. Wie ich zum Beispiel allein auf den riesigen Röhren für irgendeinen
Umbau gesessen bin, Spätsommer, das Sonnenlicht auf dem hellen Beton der
Röhren, eine Ahnung davon, daß hinter der Realität etwas ganz anderes ist,
gleich bricht es durch, gleich werde ich es sehen.
Nein, es ist nicht durchgebrochen; nein, ich habe es nicht
gesehen. Aber gespürt habe ich es; ich war ganz knapp dran.
Vor mir auf der Säule ein vierstrahliger Stern, nur hier,
soweit ich sehen kann.
Die Kronen der fünf Platanen bilden eine große Kugel, ich
sehe in ihr bergendes Inneres.
Ein Mönch in weißer Kutte geht drüben vorbei, ich habe ihn
schon beim Hergehen beten gesehen; er wirkt ein wenig unbeholfen auf mich, so
wie ich es selber bin, meine Gefühle für ihn schwanken zwischen Verachtung und
Mitleid, so wie mir selber gegenüber. Darum muß ich leise lachen.
Im Hof stehen keine Autos, auch das ist angenehm. Unangenehm
wird mir jetzt die Bank, auf der ich sitze. Ich werde ein wenig herumgehen. Aus
einer Pforte tritt eine Reisebusgesellschaft, offensichtlich nach einer Führung
durchs Stift. Viele dicke Menschen, die lachen. Ganz wohl ist mir dabei
trotzdem nicht. Ich werde abwarten, bis sie weg sind, dann erst herumgehen.
Ich bin zum Brunnen gegangen inmitten der grünen
Platanenkugel, um ihn herum, habe seine Figuren angeschaut, seine Reliefs, das
Wasser, die Blätter und Münzen im Wasser, dann bin ich in die Kirche. Dort
sitze ich jetzt ganz hinten. Vor mir das große Gitter, auf dem eine
Verbotstafel hängt. Photographieren und Telephonieren verboten. Unter der
Verbotstafel luge ich durchs Gitter, indem ich mich ein wenig beuge, auf ein
großes bemaltes Kreuz nach romanischem Vorbild. Ganz weit hinten im Altarraum.
Darauf ist Christus kein Schmerzensmann, sondern eher schon der Auferstandene;
er breitet seine Hände wie zum Segen oder einer Begrüßung aus, er steht oder
besser schwebt aufrecht, er hängt nicht, er wirkt souverän, wie jemand, der
sich selber dort hingestellt hat und aus gutem Grund. Er weiß, was er tut.
Ganz still ist es jetzt; eine Fliege und ein fernes
Flugzeug, ein paar Schritte im Kies. Ich nehme einen Schluck Wasser aus meiner
Flasche, ich „proste“ sozusagen dem Chistus da vorne am Kreuz zu, indem ich wie
beim Zuprosten die Flasche kurz in seine Richtung halte und sage, „gib mir
lebendiges Wasser!“ Ich weiß ja, daß er das kann. Aber ich bin wohl zu
vernagelt. Ich weiß es ja selber nicht, ob ich das ernst meine, oder bloß als
Gag.
Kirchen sind Orte, die können mich anziehen. Jetzt fängt das
wieder an! Ich habe das doch endgültig abgeschlossen. Ich gehe besser zu den
Bäumen hinaus.
Zuerst bin ich zum Bach gegangen, ein schöner Bach mit schön
ausgehöhlten Steinen, aber man kommt nicht zum ihm hinunter. Also zurück in den
ersten Klosterhof. Ich schaue von meiner Bank wieder zum Brunnen hin, aber von
einer anderen Seite. Das letzte Sonnenlicht trifft punktgenau auf den
Strahlenkranz der Heiligenfigur am Brunnen, ich vermute es ist der heilige Josef.
Ich sehe die wasserspeienden Vögel, eine schöne, schlichte
Laterne an der Wand bei der kleinen Pforte.
Ich sehe die barocke Dreifaltigkeitssäule; wie alle diese
Säulen fast immer ist sie ein reichlich absurdes, schräges, verrücktes
Kunstwerk, mit ihrem Putten-bevölkerten Wolkengetürm, ihren verzerrten Figuren
in überdrehten Haltungen, wie in einem absurden, ausufernden Theater. Ich habe
viel übrig für absurdes Theater, aber nicht so. Und schon gar nicht im
religiösen Kontext. Und die Putten gehen mir gehörig auf die Nerven. Mit Engel,
den Wesen aus anderen Dimensionen (um es einmal so auszudrücken), haben die
nichts zu tun. Infantil sind sie, und ich habe immer den Eindruck, das ist die
Vorstufe zur Kinderpornographie. Ich lasse das jetzt.
Ich höre die Glocke fünf Uhr schlagen, ich sitze ein wenig
abseits. Das Plätschern des Brunnens übertönt und beruhigt das Geplapper einer
weiteren Reisegruppe. Ich möchte in den wirklichen Silencium-Bereich. Ich meine
natürlich meine eigene Innere Stille. Gut, das ist dann nur mehr meine Sache.
Und da müßte ich die Welt in Ruhe lassen können.
Der mysteriöse vierstrahlige Stern stellt sich als Wandhaken
heraus. Eine Entmystifizierung.
Ich wäre gerne über die Nacht geblieben, aber es hat sich
nichts ergeben.
©Peter
Alois Rumpf September 2016
peteraloisrumpf@gmail.com
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