Sonntag, 19. Juli 2015

149 Jetzt und jetzt


Draußen ziehen Nebelschwaden herum, langsam über die Bäume, Sträucher, Lichtungen, Felsen und Wiesen. Das meinige Kontinuum freut sich darüber, es findet es wunderschön.

Es empfindet dieses ruhige Dahinfließen beglückend. Es könnte es stundenlang anschauen, behauptet zumindest das sätzeformulierende Element.

Wieder hackt jemand Holz. Eine Kuh schreit fast wie ein Esel. „Fast“ heißt natürlich gar nicht, nur im „Anlaut“ klingt es wie die Ouvertüre zu einem Eselsgeschrei, aber dann ist gleich Schluß und die Ouvertüre beginnt wieder von vorne.

Jetzt heult eine Motorsäge beinahe idyllisch. Ich erinnere mich an jugendliche Mopeds im Wald. Die Lust, das Gas aufzudrehen. Dabei hatte ich immer Angst und bin extrem vorsichtig gefahren.
Ich selber verwende die Motorsäge nicht. Das war nur so eine Idee. Und das war auch eine ganz andere Alm.

Der Himmel ist jetzt grau, irgendwo dort oben wird jetzt Orion jagen. Ob er meine Signatur erkennt? Oder sieht er nur im Finstern, wie wir ihn nur im Finstern sehen, zur richtigen Nacht- und Jahreszeit? Gibt es ihn überhaupt? Auch das war nur so eine Idee?
Mein Leben ist voll von nur so Ideen. Manche sind lustig, manche tun auf bedeutungsschwer.

Mein Seidel mit Wasser ist leer. Zwei akurate Löwen brauen seit 1860 Bier – steht drauf, während der mitteleuropäische Sternenhimmel vor mir klarsichtverhüllt am Tisch liegt.

Obwohl es Nachmittag ist, wird es jetzt sehr dunkel. Ich zünde eine Kerze an und gehe Butter kaufen. Nein, ich verschiebe es, denn gerade beginnt der Regen auf das Hüttendach zu prasseln und wird schnell stärker. Und noch stärker. Es schüttet mit Vollgas, wenn man das sagen darf. Auch der Regen hat Lust, voll aufzudrehen. Ob er auch Angst kennt? Ich glaube es nicht. Regen hast du manchmal Angst? Als Antwort wird er gleich schwächer, aber Donner und Blitz scheuchen ihn vorwärts, er hat keine Zeit zum Zurückschauen und dreht wieder auf.

Ein Donnerschlag läßt die Hütte zittern; die Blitze zucken in immer kürzeren Abständen. Das Herstellen des Gleichgewichts der Intersitäten scheint dem Kontinuum draußen schwer zu fallen oder ist das auch nur eine Idee? Wie Anfang, Hauptteil, Schluß? Eine Fliege kümmert das nicht und läuft über mein Papier.

Kontinuum ist auch falsch, denn dann müßte es die Zeit wirklich geben. Obwohl es sie nicht wirklich gibt, habe ich jetzt viel Zeit.

Jetzt bin ich in einer anderen Zeitrille; ich gehe in der Hitze die neue Donau entlang, unter den monströsen Bauten der Autobahnen hindurch. Die Sonne brennt, die Luft ist heiß und ohne Linderung. Ich finde einen Platz zum Schwimmen. Hunde schnüffeln an unserem Zeugs herum, deshalb bleibe ich wachsam. Im Wasser berühren mich Wasserpflanzen und ein Fisch. Wir bleiben nicht lange und gehen den Weg wieder zurück zur U-Bahn.

Rillenwechsel. Jetzt bin ich wieder retour. Ich sitze allein in der Hütte. Der Regenschleier um die Hütte herum hat sich verzogen, aber es regnet noch. Mit geringer Intensität.
Ich bin jetzt kurz vor die Hütte unter das Vordach getreten. Die Luft duftet nach Reinheit und Fülle. Keine asketische Reinheit, sondern die, die nach der Fülle des Lebens riecht, wo alle Wesen das Wasser aufsaugen, wachsen, später dann in der Sonne blühen, sich voll füllen mit Kraft, mit dem nassen Segen. Ich denke an den Eisenstein-Film. Dieser warme Sommerregen, fruchtbar und nährend. Schöner Regen!

In der Hütte ist es wieder heller; der Regen nimmt wieder zu und gleich wieder ab. Die Gipfel der Berge sind von Wolken verhüllt, die schroffen ebenso wie die sanften. Jetzt könnte ich um die Butter gehen. Bis ich mit dem Anziehen fertig bin, hat es wieder – intensiv – zu schütten begonnen. Ich habe den Regenschleier von Westen anrücken gesehen, dachte, es geht sich noch aus. Also bin ich wieder in die trockene Hütte.

Nebelschwaden ziehen jetzt im Eiltempo durch. Zum Abschied streichen sie sanft und leise über die Wipfel der Bäume. Es wird dunkel. Das hat vielleicht schon mit der Abenddämmerung zu tun. Obwohl es noch nicht so spät ist, aber die Sonne steht tief, hinter ihren Wolken verhüllt. Vielleicht schon hinter hinter den nordwestlichen Bergen.

Es blitzt und donnert wieder und regnet. Für mich sind diese ziehenden Nebelschwaden und Wolkenfetzen wie Verheißungen. Daß es möglich ist davon zu schweben, langsamer oder schneller, wie es einem halt paßt, den Regenballast als dankbares Erbe zurücklassend, den Ballast, den der Reisende nicht brauchen kann und die Bleibenden eventuell schon – solange sie bleiben wollen.

Jetzt nehme ich einen Schluck Wasser, das von einer Quelle hinter mir am südlichen Berg kommt, wo manchmal am Grat die Geweihe der Hirsche zu sehen sind.

In dieser Ruhe erfaßt mich eine Unruhe; ich stehe auf, setzt mich wieder hin, stehe auf, gehe die paar Schritte vor die Hüttentür, und wieder zurück. Auch darin liegt etwas Erholsames. Ich trete wieder vor die Tür und beobachte vier Nebelfetzen, die zu einem Tanz anheben, im wahrsten Sinnes des Wortes, denn die ersten Bewegungen aller Vier gehen nach oben, dann drehen sie sich, sinken wieder herunter, steigen wieder auf, zerteilen sich, kommen wieder zusammen; ein leichter, stiller Tanz ganz ohne Stampfen, dann verflüchtigen sie sich, lösen sich auf, sind nicht mehr da.
Neue Nebelschwaden rücken heran, steigen hinauf, verfangen sich in den Bäumen, sinken beim Aufsteigen in den Bergwald hinein.

Jetzt zieht ein langgestreckter Nebelfetzen einen Steilhang hinauf mit einer Spalte im Fels wie ein Kamin; und oben angekommen wirft sich das Nebelwesen wie in einem Salto rückwärts aus der Felswand und verharrt in dieser Bewegung: senkrecht die Felswand hinauf und dann waagrecht von der Felswand weg. Weiter geht es nicht, denn dann verschwindet der Nebel und eine neue Nebelschwade zieht im Kamin hinauf und wirft sich wieder nach hinten. Das geht eine Zeitlang, dann geht dieser Tanz zu Ende. Doch bald steigt ein neues Nebelwesen in die Steilwand ein, aber dieses schwebt weiter hinauf und verweigert den Salto rückwärts – es steigt über die Kuppe hinauf.

Jetzt kommt richtiger Wind auf und drückt an die Tür. Ich gehe nochmals hinaus um zu schauen.

Jetzt jagen die Wolken dahin, hoch oben im wilden Geleit.

In der Hütte herinnen ist es dunkel geworden. Drei Kerzen geben ein gelbes, schwaches, heimeliges, schönes Licht. Eine Unlust, all die menschengemachten Gegenstände hier zu identifizieren, hindert mich daran, sie zu beschreiben. Ich höre ein Surren in meinen Ohren, und im Herd ein Ziehen und manchmal den Wind. Das Feuer im Herd ist am Verlöschen, nur etwas Glut ist noch da. Ab und zu ein leises, vereinzeltes Knistern und Knacken. Die Gegenstände hier versinken in einer angenehmen, trüben Dunkelheit, wie in einem bewußtseinsverlöschenden Schlaf. Selbst den gestickten Spruch an der Wand könnte ich jetzt nicht lesen. Vor mir am Tisch leuchten ein paar Sterne von meiner phosphoriszierenden Sternenkarte. Andromeda, Dreieck, Widder, der Kopf vom Walfisch und ein Stückchen vom Stier.




©Peter Alois Rumpf Juli 2015 peteraloisrumpf@gmail.com

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