149 Jetzt und jetzt
Draußen ziehen Nebelschwaden herum,
langsam über die Bäume, Sträucher, Lichtungen, Felsen und Wiesen.
Das meinige Kontinuum freut sich darüber, es findet es wunderschön.
Es empfindet dieses ruhige Dahinfließen
beglückend. Es könnte es stundenlang anschauen, behauptet zumindest
das sätzeformulierende Element.
Wieder hackt jemand Holz. Eine Kuh
schreit fast wie ein Esel. „Fast“ heißt natürlich gar nicht,
nur im „Anlaut“ klingt es wie die Ouvertüre zu einem
Eselsgeschrei, aber dann ist gleich Schluß und die Ouvertüre
beginnt wieder von vorne.
Jetzt heult eine Motorsäge beinahe
idyllisch. Ich erinnere mich an jugendliche Mopeds im Wald. Die Lust,
das Gas aufzudrehen. Dabei hatte ich immer Angst und bin extrem
vorsichtig gefahren.
Ich selber verwende die Motorsäge
nicht. Das war nur so eine Idee. Und das war auch eine ganz andere
Alm.
Der Himmel ist jetzt grau, irgendwo
dort oben wird jetzt Orion jagen. Ob er meine Signatur erkennt? Oder
sieht er nur im Finstern, wie wir ihn nur im Finstern sehen,
zur richtigen Nacht- und Jahreszeit? Gibt es ihn überhaupt? Auch das
war nur so eine Idee?
Mein Leben ist voll von nur so Ideen.
Manche sind lustig, manche tun auf bedeutungsschwer.
Mein Seidel mit Wasser ist leer. Zwei
akurate Löwen brauen seit 1860 Bier – steht drauf, während der
mitteleuropäische Sternenhimmel vor mir klarsichtverhüllt am Tisch
liegt.
Obwohl es Nachmittag ist, wird es jetzt
sehr dunkel. Ich zünde eine Kerze an und gehe Butter kaufen. Nein,
ich verschiebe es, denn gerade beginnt der Regen auf das Hüttendach
zu prasseln und wird schnell stärker. Und noch stärker. Es schüttet
mit Vollgas, wenn man das sagen darf. Auch der Regen hat Lust,
voll aufzudrehen. Ob er auch Angst kennt? Ich glaube es nicht. Regen
hast du manchmal Angst? Als Antwort wird er gleich schwächer, aber
Donner und Blitz scheuchen ihn vorwärts, er hat keine Zeit zum
Zurückschauen und dreht wieder auf.
Ein Donnerschlag läßt die Hütte
zittern; die Blitze zucken in immer kürzeren Abständen. Das
Herstellen des Gleichgewichts der Intersitäten scheint dem Kontinuum
draußen schwer zu fallen oder ist das auch nur eine Idee? Wie
Anfang, Hauptteil, Schluß? Eine Fliege kümmert das nicht und läuft
über mein Papier.
Kontinuum ist auch falsch, denn dann
müßte es die Zeit wirklich geben. Obwohl es sie nicht wirklich
gibt, habe ich jetzt viel Zeit.
Jetzt bin ich in einer anderen
Zeitrille; ich gehe in der Hitze die neue Donau entlang, unter den
monströsen Bauten der Autobahnen hindurch. Die Sonne brennt, die
Luft ist heiß und ohne Linderung. Ich finde einen Platz zum
Schwimmen. Hunde schnüffeln an unserem Zeugs herum, deshalb bleibe
ich wachsam. Im Wasser berühren mich Wasserpflanzen und ein Fisch.
Wir bleiben nicht lange und gehen den Weg wieder zurück zur U-Bahn.
Rillenwechsel. Jetzt bin ich wieder retour. Ich sitze
allein in der Hütte. Der Regenschleier um die Hütte herum hat sich
verzogen, aber es regnet noch. Mit geringer Intensität.
Ich bin jetzt kurz vor die Hütte unter
das Vordach getreten. Die Luft duftet nach Reinheit und Fülle. Keine
asketische Reinheit, sondern die, die nach der Fülle des Lebens
riecht, wo alle Wesen das Wasser aufsaugen, wachsen, später dann in
der Sonne blühen, sich voll füllen mit Kraft, mit dem nassen Segen.
Ich denke an den Eisenstein-Film. Dieser warme Sommerregen, fruchtbar
und nährend. Schöner Regen!
In der Hütte ist es wieder heller; der
Regen nimmt wieder zu und gleich wieder ab. Die Gipfel der Berge sind
von Wolken verhüllt, die schroffen ebenso wie die sanften. Jetzt
könnte ich um die Butter gehen. Bis ich mit dem Anziehen fertig
bin, hat es wieder – intensiv – zu schütten begonnen. Ich habe
den Regenschleier von Westen anrücken gesehen, dachte, es geht sich
noch aus. Also bin ich wieder in die trockene Hütte.
Nebelschwaden ziehen jetzt im Eiltempo
durch. Zum Abschied streichen sie sanft und leise über die Wipfel
der Bäume. Es wird dunkel. Das hat vielleicht schon mit der
Abenddämmerung zu tun. Obwohl es noch nicht so spät ist, aber die
Sonne steht tief, hinter ihren Wolken verhüllt. Vielleicht schon
hinter hinter den nordwestlichen Bergen.
Es blitzt und donnert wieder und
regnet. Für mich sind diese ziehenden Nebelschwaden und Wolkenfetzen
wie Verheißungen. Daß es möglich ist davon zu schweben, langsamer
oder schneller, wie es einem halt paßt, den Regenballast als
dankbares Erbe zurücklassend, den Ballast, den der Reisende nicht
brauchen kann und die Bleibenden eventuell schon – solange sie
bleiben wollen.
Jetzt nehme ich einen Schluck Wasser,
das von einer Quelle hinter mir am südlichen Berg kommt, wo manchmal
am Grat die Geweihe der Hirsche zu sehen sind.
In dieser Ruhe erfaßt mich eine
Unruhe; ich stehe auf, setzt mich wieder hin, stehe auf, gehe die
paar Schritte vor die Hüttentür, und wieder zurück. Auch darin
liegt etwas Erholsames. Ich trete wieder vor die Tür und beobachte
vier Nebelfetzen, die zu einem Tanz anheben, im wahrsten Sinnes des
Wortes, denn die ersten Bewegungen aller Vier gehen nach oben, dann
drehen sie sich, sinken wieder herunter, steigen wieder auf,
zerteilen sich, kommen wieder zusammen; ein leichter, stiller Tanz
ganz ohne Stampfen, dann verflüchtigen sie sich, lösen sich auf,
sind nicht mehr da.
Neue Nebelschwaden rücken heran,
steigen hinauf, verfangen sich in den Bäumen, sinken beim Aufsteigen
in den Bergwald hinein.
Jetzt zieht ein langgestreckter
Nebelfetzen einen Steilhang hinauf mit einer Spalte im Fels wie ein
Kamin; und oben angekommen wirft sich das Nebelwesen wie in einem
Salto rückwärts aus der Felswand und verharrt in dieser Bewegung:
senkrecht die Felswand hinauf und dann waagrecht von der Felswand
weg. Weiter geht es nicht, denn dann verschwindet der Nebel und eine
neue Nebelschwade zieht im Kamin hinauf und wirft sich wieder nach
hinten. Das geht eine Zeitlang, dann geht dieser Tanz zu Ende. Doch
bald steigt ein neues Nebelwesen in die Steilwand ein, aber dieses
schwebt weiter hinauf und verweigert den Salto rückwärts – es
steigt über die Kuppe hinauf.
Jetzt kommt richtiger Wind auf und
drückt an die Tür. Ich gehe nochmals hinaus um zu schauen.
Jetzt jagen die Wolken dahin, hoch oben
im wilden Geleit.
In der Hütte herinnen ist es dunkel
geworden. Drei Kerzen geben ein gelbes, schwaches, heimeliges,
schönes Licht. Eine Unlust, all die menschengemachten Gegenstände
hier zu identifizieren, hindert mich daran, sie zu beschreiben. Ich
höre ein Surren in meinen Ohren, und im Herd ein Ziehen und manchmal
den Wind. Das Feuer im Herd ist am Verlöschen, nur etwas Glut ist
noch da. Ab und zu ein leises, vereinzeltes Knistern und Knacken. Die
Gegenstände hier versinken in einer angenehmen, trüben Dunkelheit,
wie in einem bewußtseinsverlöschenden Schlaf. Selbst den gestickten
Spruch an der Wand könnte ich jetzt nicht lesen. Vor mir am Tisch
leuchten ein paar Sterne von meiner phosphoriszierenden Sternenkarte.
Andromeda, Dreieck, Widder, der Kopf vom Walfisch und ein Stückchen
vom Stier.
©Peter
Alois Rumpf Juli 2015 peteraloisrumpf@gmail.com
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