148 Herrliches Gewitter
Der Orion schaut am Rücken liegend
nicht viel anders aus, als am Himmel jagend. Nur sein Gürtel hat
sich ein wenig verschoben. Das Schlechtwetter kam in mehreren
Schritten. Erst schickte es Vorboten, die nur kurzen Regen brachten,
dann schien wieder die Sonne. Am Morgen habe ich geglaubt, der Himmel
verspricht einen herrlichen Sonnentag, jetzt wartet alles auf das
Unwetter, das der Donner ständig ankündigt. Auch der Wald steht
still wie in erstarrter Anspannung, als müßte er seine ganzen
inneren und äußeren Kräfte sammeln, um sich dem zu Erwarteten
stellen zu können. Nur die Vögel scheinen sich noch um nichts zu
kümmern – so weit ich es mitbekomme tun sie wie immer. Bei den
Fliegen und Bremsen ist das etwas anderes, sie waren schon den ganzen
Morgen über besonders lästig. Nur jetzt sind auch sie ziemlich
still, so kurz vorm Gewitterausbruch.
Nur eine Fliege kreiste kurz in der
Hütte herum, flog wieder hinaus, wieder herein, wieder hinaus...
In der Hütte ist es dunkel, nur durch
die offene Tür kommt einigermaßen Licht herein. Das Gedonner wird
lauter, die Pausen dazwischen kürzer. Die ersten Regentropfen
fallen. Es ist soweit. Erleichternd, daß es losgeht. Auch die Vögel
sind jetzt still. Es schüttet. Kurz wird der Regen schwächer, dann
schwillt er wieder an. So geht das ein paar mal hin und her. Es
scheppert und prasselt am Hüttendach, denn jetzt beginnt es zu
hageln. Läßt aber gleich wieder nach. Und wird wieder stärker und
dichter. Ich schließe die Hüttentür.
Es ist wahr, man müßte das nicht als
Ereignis beschreiben, das sich ankündigt, dann beginnt, dann voll
loslegt und schließlich wieder aufhört, mit allen Spielarten
dazwischen, sondern könnte es auch beschreiben als Kontinuum
verschiedener Intensitäten der relativen Anwesenheit seiner
Elemente. Als ein Kontinuum, das nie anfängt und aufhört.
Jetzt nimmt die Intensität des Element
Helligkeit ab und die des Elements Dunkelheit zu. Das Element Hagel
wurde intensitätsmäßig überhaupt ins Wartestadium der
Potentialität zurückgezogen, die Intensität des Elements Regen
nimmt ab. Dem Element Alpendohle (oder war es ein Raubvogelelement ?
Mein Kontinuum hat's nichts genau mitbekommen, vermutlich war das
Element Aufmerksamkeit in zu niederer Intensität eingeschaltet.) hat
das Kontinuum sein Schreielement auf mittlere Intensität gestellt.
Das Element Regen wird auf Intensität Null gefahren. Wer sitzt da am
Mischpult? Sitzt da wer am Mischpult? Gibt es ein Mischpult? In
welchem Studio passiert das? Gibt es überhaupt ein Studio? Und
überhaupt!
Der Hagel ist vorbei, der Regen läßt
nach. Eine Alpendohle schreit, oder war das ein kleinerer Raubvogel?
(Zu Hause im Internet nachschauen!) (Habe ich nicht gemacht.) Der
Regen hat komplett aufgehört. Irgendwo wird Holz gehackt. Der Donner
klingt nur mehr von Ferne, ohne jede Bedrohung. Die Vögel zwitschern
in voller Intensität. Die dunkle Wolkenfront hat sich nach Osten
verlagert. Ein Flugzeug mit Kondensstreifen stößt nach und sticht
in sie hinein. Es gibt schon blaue Flecken am Himmel, nur mehr ein
paar Wolkenfetzen und Nebelschwaden ziehen in den Bergwäldern herum.
Die Sonne kommt gerade heraus und scheint, das Donnergrollen aus dem
finsteren Wolkenreich im Osten scheint eine protestierende Antwort zu
sein.
Jetzt leuchten die Wiesen wieder grün
und die neu errichtete Hütte fast gelb.
Plötzlich ist es ganz still. Völlig
überraschend. Ich höre auch keinen einzigen Vogel. Auch nicht das
Rauschen der Bäche. Nur den Luftzug im Kamin ganz leicht. Mehr spüre
ich ihn, als daß ich ihn höre. Und jetzt das Geräusch einer
Bürste, die durchs Haar fährt.
Jetzt sind wieder alle da, Vögel und
Bach. Die Hüttentür ist wieder offen und scheint auch mein Gehör
geöffnet zu haben.
Das äußere Kontinuum hat seine
verschiedenen Intensitäten laufend geändert. Das Kontinuum, das ich
„Ich“ nenne, und ein Element des größeren, umfassenderen
Kontinuums ist, auch.
Draußen ziehen Nebelschwaden herum,
langsam über die Bäume, Sträucher, Lichtungen, Felsen und Wiesen.
©Peter
Alois Rumpf Juli 2015 peteraloisrumpf@gmail.com
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