Sonntag, 19. Juli 2015

148 Herrliches Gewitter


Der Orion schaut am Rücken liegend nicht viel anders aus, als am Himmel jagend. Nur sein Gürtel hat sich ein wenig verschoben. Das Schlechtwetter kam in mehreren Schritten. Erst schickte es Vorboten, die nur kurzen Regen brachten, dann schien wieder die Sonne. Am Morgen habe ich geglaubt, der Himmel verspricht einen herrlichen Sonnentag, jetzt wartet alles auf das Unwetter, das der Donner ständig ankündigt. Auch der Wald steht still wie in erstarrter Anspannung, als müßte er seine ganzen inneren und äußeren Kräfte sammeln, um sich dem zu Erwarteten stellen zu können. Nur die Vögel scheinen sich noch um nichts zu kümmern – so weit ich es mitbekomme tun sie wie immer. Bei den Fliegen und Bremsen ist das etwas anderes, sie waren schon den ganzen Morgen über besonders lästig. Nur jetzt sind auch sie ziemlich still, so kurz vorm Gewitterausbruch.
Nur eine Fliege kreiste kurz in der Hütte herum, flog wieder hinaus, wieder herein, wieder hinaus...

In der Hütte ist es dunkel, nur durch die offene Tür kommt einigermaßen Licht herein. Das Gedonner wird lauter, die Pausen dazwischen kürzer. Die ersten Regentropfen fallen. Es ist soweit. Erleichternd, daß es losgeht. Auch die Vögel sind jetzt still. Es schüttet. Kurz wird der Regen schwächer, dann schwillt er wieder an. So geht das ein paar mal hin und her. Es scheppert und prasselt am Hüttendach, denn jetzt beginnt es zu hageln. Läßt aber gleich wieder nach. Und wird wieder stärker und dichter. Ich schließe die Hüttentür.

Es ist wahr, man müßte das nicht als Ereignis beschreiben, das sich ankündigt, dann beginnt, dann voll loslegt und schließlich wieder aufhört, mit allen Spielarten dazwischen, sondern könnte es auch beschreiben als Kontinuum verschiedener Intensitäten der relativen Anwesenheit seiner Elemente. Als ein Kontinuum, das nie anfängt und aufhört.

Jetzt nimmt die Intensität des Element Helligkeit ab und die des Elements Dunkelheit zu. Das Element Hagel wurde intensitätsmäßig überhaupt ins Wartestadium der Potentialität zurückgezogen, die Intensität des Elements Regen nimmt ab. Dem Element Alpendohle (oder war es ein Raubvogelelement ? Mein Kontinuum hat's nichts genau mitbekommen, vermutlich war das Element Aufmerksamkeit in zu niederer Intensität eingeschaltet.) hat das Kontinuum sein Schreielement auf mittlere Intensität gestellt. Das Element Regen wird auf Intensität Null gefahren. Wer sitzt da am Mischpult? Sitzt da wer am Mischpult? Gibt es ein Mischpult? In welchem Studio passiert das? Gibt es überhaupt ein Studio? Und überhaupt!

Der Hagel ist vorbei, der Regen läßt nach. Eine Alpendohle schreit, oder war das ein kleinerer Raubvogel? (Zu Hause im Internet nachschauen!) (Habe ich nicht gemacht.) Der Regen hat komplett aufgehört. Irgendwo wird Holz gehackt. Der Donner klingt nur mehr von Ferne, ohne jede Bedrohung. Die Vögel zwitschern in voller Intensität. Die dunkle Wolkenfront hat sich nach Osten verlagert. Ein Flugzeug mit Kondensstreifen stößt nach und sticht in sie hinein. Es gibt schon blaue Flecken am Himmel, nur mehr ein paar Wolkenfetzen und Nebelschwaden ziehen in den Bergwäldern herum. Die Sonne kommt gerade heraus und scheint, das Donnergrollen aus dem finsteren Wolkenreich im Osten scheint eine protestierende Antwort zu sein.

Jetzt leuchten die Wiesen wieder grün und die neu errichtete Hütte fast gelb.
Plötzlich ist es ganz still. Völlig überraschend. Ich höre auch keinen einzigen Vogel. Auch nicht das Rauschen der Bäche. Nur den Luftzug im Kamin ganz leicht. Mehr spüre ich ihn, als daß ich ihn höre. Und jetzt das Geräusch einer Bürste, die durchs Haar fährt.

Jetzt sind wieder alle da, Vögel und Bach. Die Hüttentür ist wieder offen und scheint auch mein Gehör geöffnet zu haben.

Das äußere Kontinuum hat seine verschiedenen Intensitäten laufend geändert. Das Kontinuum, das ich „Ich“ nenne, und ein Element des größeren, umfassenderen Kontinuums ist, auch.

Draußen ziehen Nebelschwaden herum, langsam über die Bäume, Sträucher, Lichtungen, Felsen und Wiesen.





©Peter Alois Rumpf Juli 2015 peteraloisrumpf@gmail.com

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